Wolf-Ferrari-Haus Ottobrunn:Zwischen Kulturauftrag und RTL 2

Lesezeit: 3 min

Die sperrigen Stoffe von Regisseur Bernd Seidel kollidieren manchmal mit den Wünschen des Abo-Publikums. Ein Gespräch darüber, was Theater darf.

Von Udo Watter, Ottobrunn

Der Regisseur Bernd Seidel ist als künstlerischer Berater des Wolf-Ferrari-Hauses verantwortlich für die Zusammenstellung des Ottobrunner Kulturprogramms. Während die generelle Resonanz konstant hoch ist, hat es jetzt in Bezug auf die neue Spielzeit auffällige Abwanderungs- oder Wechselbewegungen bei einem speziellen Abo-Zweig gegeben. Der Grund, so vermutet Seidel: Er habe das Angebot "gewaltig modernisiert", also auch kontroverse, sperrige Stücke eingebaut. Unter anderem inszeniert der 63-Jährige selbst eine Tragikomödie, bei der sich ein Mann in eine Ziege verliebt. Unzumutbar? Ein Gespräch über Konventionelles, Gefälliges und Irritierendes in der Kulturlandschaft.

SZ: Das gemischte Abo im neuen Spielplan, das auch ihre eigene Inszenierung beinhaltet oder das schräge Musical "Shockheaded Peter (Struwwelpeter)", scheint in Ottobrunn nicht auf ungeteilte Gegenliebe zu stoßen.

Seidel: Ja, es ist frustrierend. Es gab über 50 Kündigungen und 50 Wechsel zu anderen Abo-Sparten. Und das nur wegen eines Stückes. Das ist ein modernes Stück von Edward Albee ("Die Ziege oder wer ist Sylvia?", Anm.d. Red.), das unter anderem mit dem Tony Award, dem wichtigsten Theaterpreis der USA, ausgezeichnet wurde. So eine Reaktion der Abonnenten ist schon bemerkenswert.

Ist ein Stück, bei dem ein Mann Sex mit einer Ziege hat und Fragen moralischer Grenzüberschreitungen thematisiert werden, dem Publikum nicht zumutbar?

Das Abo-Publikum ist ja allgemein nicht mehr das jüngste und möchte vielleicht gar nicht mehr aufgerüttelt oder irritiert werden. Ich möchte jetzt nicht über das so genannte konventionelle bürgerliche Publikum schimpfen, aber vielleicht ist das ja ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend: einerseits die Sehnsucht nach leichter, gefälliger Unterhaltung. Und ja, auch dass man wieder konservativer, eventuell sogar reaktionärer wird.

"Wagemutige Produktionen werden nicht gekauft"

Wie meinen Sie das konkret?

Dass man weniger Neugier auf und Verständnis für das Fremde, das Andere hat.

In München gibt es aber schon auch viele junge Theaterbegeisterte, die sich gerne ungewöhnliche und radikale Stücke ansehen.

Klar gibt es einen Unterschied zwischen der Großstadt und der Vorstadt, wobei man natürlich sagen muss, dass auch die Leute, die zu den Kammerspielen gehen, hauptsächlich einem bestimmten, relativ kleinen Milieu angehören. Aber es stimmt: In den Bürgerhäusern wird es immer schwerer, Aufregendes, Innovatives anzubieten.

Dabei haben Sie doch in Ottobrunn in den vergangenen Jahrzehnten etliche Stücke inszeniert, die nicht gerade leichte Kost waren. Eigentlich müssten sich die Ottobrunner an Sie gewöhnt haben.

Ich möchte auch nicht falsch verstanden werden. Mir liegen meine Ottobrunner Zuschauer, auch die älteren, sehr am Herzen. Es ist auch so, dass gerade meine unkonventionellen, eigenwilligen Inszenierungen von der Publikums- und Pressereaktion verstärkt Beachtung gefunden haben - nicht nur wegen der besonderen Inhalte, sondern auch der Art der Umsetzung. Zudem fanden nach den Aufführungen großartige Diskussionen mit dem Publikum statt. Ist das nicht eigentlich das richtige Theater, das nicht nur die Realität abbildet, sondern fantasievoll andere Sphären beschreibt?

Aber nicht alle Besucher in Ottobrunn gehen da mit.

Ganz generell, glaube ich, dass das Publikum früher offener war. Die großen Theateragenturen bieten inzwischen auch hauptsächlich Komödien an. Die würden gerne andere Wege gehen, können aber nicht, weil diese wagemutigen Produktionen nicht gekauft werden. Extravagante Stücke haben wenig Raum. Also bieten alle Fun und Unterhaltung an. Und die Bürgerhäuser und Kulturzentren zeigen es. Das ist nicht mein Verständnis von Kultur und Theater.

Sie möchten also mit ihren Inszenierungen noch etwas bewirken?

Ich bin ein Spät-68er. Das Theater hat für mich auch einen Kulturauftrag. Es soll aufwühlen, mutig sein, neugierig machen, zum Nachdenken anregen. Es soll jedenfalls nicht der verlängerte Arm von RTL II oder anderen Spaßsendern sein.

Wie aber wollen Sie gerade jüngere Zuschauer ins Theater locken?

Das ist in der Tat eine schwierige Frage: Das Kulturpublikum ist, nun ja, etwas überaltert. Man sieht als Schauspieler schon viel graues und weißes Haar beim Blick in den Saal. Das Theater spielt natürlich nicht mehr die gesellschaftliche Rolle wie früher, es gibt so viele andere Medien und Informationskanäle. Trotzdem möchte ich junge Leute wieder motivieren, dorthin zu gehen. Ich bin ein emotionaler Mensch und glaube an die Veränderungskraft der Kunst.

Ottobrunn
:Das Innehalten der Ego-Maschinen

Regisseur Bernd Seidel inszeniert die Farce "Zu spät! Zu spät! Zu spät!" in Ottobrunn als Abrechnung mit der Coaching-Industrie und kritisiert die Floskelhaftigkeit einer Oberflächenkultur.

Von Udo Watter

Neben Ihrem Stück wird in dem besagten Abo-Zweig noch der Comedy-Auftritt von Bademeister Schaluppke angeboten, eine Struwwelpeter-Musical-Variante und die Theateradaption von "Die Wanderhure". Vielleicht dachten manche Abonnenten ja bei letzterem, dass es sich auch um ein Skandalstück handelt.

Seidel (lacht kurz): Ja, könnte schon möglich sein. Aber ich glaube, die meisten kennen das schon aus dem Fernsehen. Und ehrlich gesagt, hat ja auch das von mir inszenierte Stück nichts wirklich Skandalöses: Dass da jemand mit einer Ziege vögelt, ist nicht so wichtig. Es geht einfach um Grenzüberschreitungen, moralische Fragen und darum, was Liebe aus uns macht. Es ist eine Komödie mit Tiefgang, wenn nicht sogar Abgründen.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft im Theaterbereich, speziell im Wolf- Ferrari-Haus?

Ich denke und hoffe, dass sich auch kritischeres, junges Publikum und aber auch ältere kritische Theaterbegeisterte ins Theater locken lassen. Ich hoffe auf einen regen Zuspruch auch für meine Ziege, übrigens ein absolut spannendes Stück, und auch für die anderen Produktionen. Ich bin davon überzeugt, dass meine kleine Innovation zukünftig Früchte tragen wird, ohnehin bin ich ja noch mindestens zwei Jahre für das Wolf-Ferrari-Haus in Ottobrunn tätig - und Hand aufs Herz, ich würde gerne noch ein paar Jahre dranhängen, ich habe meinen Tatendrang noch längst nicht verloren.

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: