Pullach:Amaniel und der süße Klang der Heimat

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Die Krar ist eine afrikanische Leier und das Nationalinstrument der Eritreer. Sie geht wohl auf die altgriechische Kithara zurück. (Foto: Angelika Bardehle)

Der 16-jährige Amaniel ist aus Eritrea geflüchtet. Heute lebt er auf der Burg Schwaneck. Beim Verarbeiten seines Traumas und Ankommen in Deutschland hilft ihm nun ein Lautenbauer.

Von Melanie Artinger, Pullach

"Schon ein ganz kleines Lied kann viel Dunkel erhellen", wusste Franz von Assisi. Musik begeistert Menschen von Geburt an, berührt im Innersten und kann heilende Wirkung entfalten. So gibt die Musik auch Amaniel (Name geändert) wieder Kraft. In seiner Heimat Eritrea wurde Amaniels Familie wegen ihrer Musik verfolgt. Er selbst saß drei Jahre lang im Gefängnis, bevor er sich zur Flucht nach Deutschland entschied.

Das dabei Erlebte kann der 16-Jährige nur schwer verarbeiten. Seit Oktober lebt er mit mittlerweile 87 minderjährigen Flüchtlingen auf der Burg Schwaneck in Pullach. In den ersten Wochen war Amaniel sehr verschlossen, er weinte viel. Besonders vermisst der Junge seine Familie, er vermisst aber auch die Musik. Als die Jugendlichen auf der Burg Vorschläge zu ihrer Freizeitgestaltung einbringen dürfen, meldet sich Amaniel zu Wort. Gerne würde er wieder einmal die Krar (gesprochen "Kerar") spielen.

Das eritreische Instrument gibt es hier nicht - also bauen sie eines

Keiner der Betreuer kennt das Instrument. Ein Jugendlicher malt es auf, es werden Bilder gegoogelt. So erfahren die anderen: Die Krar ist das Nationalinstrument der Eritreer. Diese Form der Leier geht zurück auf die altgriechische Kithara. Das meist fünfsaitige Instrument dient hauptsächlich zur Gesangsbegleitung und wird bei Hochzeiten oder anderen traditionellen Festen gespielt.

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Kaufen kann man das trapezförmige Zupfinstrument hierzulande nicht. Aber selbst bauen, das müsste doch gehen, meint Christine Salfer vom Kreisjugendring (KJR). Sieben weitere Jugendliche aus Eritrea sind Feuer und Flamme für die Idee. Sie wollen unbedingt mitmachen. Zwei von ihnen können das Instrument zwar noch nicht spielen, aber auch das wollen sie sich möglichst bald von den anderen beibringen lassen.

Lautenbauer Gerhard Söhne unterstützt die Aktion

Salfer macht sich auf die Suche nach einem Instrumentenbauer und findet ihn in Gerhard Söhne. Der Lautenbauer aus Krailling hat sein Handwerk in Amerika gelernt. Während des Studiums lernte er einen Amerikaner kennen, der sich mit historischen Instrumenten beschäftigte. Diese Begegnung weckte in Söhne die Begeisterung für den Instrumentenbau. Auch Söhne kannte die Krar zuvor nicht. Doch der Lautenbauer recherchiert, entwirft Schablonen und bereitet einzelne Bauteile in, wie er sagt "bayrisch-eritreischer Gestaltung", vor. Samstags trifft er sich mit den Jugendlichen, zeigt ihnen jeden Handgriff.

Wegen seiner eigenen Liebe zu Musikinstrumenten könne er sich "gut vorstellen, wie wichtig es für ihren Seelenhaushalt ist, dass die Jungs ein solches Instrument haben", sagt Söhne. Genau aus diesem "therapeutischen Ansatz" heraus verfolgt Salfer das Projekt und organisiert im Kreativraum der Volkshochschule eine Werkstatt. Für die Betreuerin des KJR ist es wichtig, dass die jungen Männer auch die Möglichkeit erhalten, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen. "Es genügt nicht, dass die minderjährigen Flüchtlinge gut untergebracht sind und erzieherisch begleitet werden", sagt Salfer. "Es geht vielmehr um eine ganzheitliche Bildung und Integration." Dazu gehöre auch ein Freizeitangebot.

Lautenbauer Gerhard Söhne aus Krailling unterstützt den Instrumentenbau ehrenamtlich. (Foto: Angelika Bardehle)

"Die eineinhalb Jahre, die die Jugendlichen hier in Pullach verbringen, sind eine wahnsinnig prägende Zeit", findet Salfer. "Alles was man da lernt, behält man sein Leben lang. Diese Chance sollten wir unbedingt nutzen." Die fünf jungen Männer stehen um den Bohrständer herum und beobachten alles genau. Wer die dazugehörige Erklärung zuerst versteht, übersetzt. Es wird diskutiert, Gerhard Söhne muss Fragen beantworten. Manchmal auch mit Händen und Füßen.

Seit Amaniel wieder Krar spielt, ist er offener geworden

Noch einmal zeigt er, worauf man achten muss. Auch beim Anbringen der Schraubzwinge helfen sich die Jungs gegenseitig, einer hält die Seitenteile des Korpus, der andere schraubt die Zwinge fest. Die Form des Schalllochs bestimmt jeder selbst: Kreise, Sterne oder Herzen. Aus einfachem Fichtenholz entstehen so in Gemeinschaftsarbeit klangvolle und individuelle Instrumente.

Als Amaniel seine Krar schließlich zum Stimmen in die Hand nimmt, zeigt sich seine tiefe Verbundenheit zu dem Instrument. "Es ist, als ob sie ein Teil von ihm ist, wie ein Körperteil, das ihm vorher gefehlt hat," beobachtet Christine Salfer. Seit er wieder die Krar spielt, hat sich der 16-jährige Eritreer seinen Mitmenschen viel stärker geöffnet. Er scherzt mit seinen Mitbewohnern, ist fröhlich. "Er ist ein anderer Junge geworden und das Instrument hat sicher einen wichtigen Beitrag in Amaniels Entwicklung geleistet. Das ist das Schöne an diesem Projekt," freut sich Salfer.

Oft kann man dieser Tage den Klang der Krar im Treppenhaus der Burg hören. Dann kommen die Jugendlichen aus ihren Zimmern und hören zu. Für sie ist das ein Stück klingende Heimat. Geht es nach Christine Salfer, soll das Projekt nicht mit dem fertig gestellten Instrument enden. Sie plant ein Fest, bei dem eritreisch gekocht wird - und natürlich mit der Krar musiziert.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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