Diskriminierung:"Antisemitismus ist Rassismus"

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Die musikalisch-szenische Collage "An allem sind die Juden schuld! Heute anders als vor 100 Jahren?" des Theater- und Musikvereins NRW versammelt Lyrik, Prosa und Chansons der 1920er-Jahre bis heute. (Foto: Veranstalter)

Mit einem musikalisch-literarischen Themenabend thematisiert das Neubiberger Kulturamt alte und neue Judenfeindlichkeit. Integrationsbeauftragte Stéphanie Danneberg hofft, dass dadurch Vorurteile abgebaut werden.

Von Angela Boschert, Neubiberg

22 Prozent der Menschen in Deutschland haben laut einer Umfrage schon selbst Rassismus erfahren. So steht es im Lagebericht "Rassismus in Deutschland: Ausgangslage, Handlungsfelder, Maßnahmen", den die Integrationsbeauftragte des Bundes, Reem Alabali-Radovan (SPD), vergangene Woche vorgestellt hat. "Rassismus existiert nicht nur in Form von gewalttätigen Anschlägen. Er hat auch strukturelle Auswirkungen, die in fast allen Lebensbereichen zu Benachteiligungen führen können, so etwa bei der Bildung, Arbeit oder bei der Gesundheit", heißt es in dem Bericht weiter. Damit Herkunft kein Schicksal ist, müsse man gemeinsam Strukturen aufbrechen und den Kampf gegen Rassismus weiter intensivieren, fordert Alabali-Radovan, die seit Februar 2022 auch Bundesbeauftragte für Antirassismus ist. Um dieses Ziel kümmern sich im Landkreis München bereits viele Akteure - etwa das Kulturamt der Gemeinde Neubiberg, das am kommenden Donnerstag zu der Aufführung "An allem sind die Juden schuld! Heute anders als vor 100 Jahren?" einlädt. Das Stück zeigt mit vielen Text- und Liedbeispielen, wie sich Menschen damals und heute mit den Ereignissen um sie herum auseinandersetzen und wie speziell jüdische Menschen in einen Zwiespalt geraten zwischen Kofferpacken und dem Glauben, dass es in einer aufgeklärten Gesellschaft keinen Antisemitismus mehr geben darf.

Doch es gibt ihn. "Antisemitismus ist Rassismus", sagt Stéphanie Danneberg, die Integrationsbeauftragte der Gemeinde Neubiberg, die die Aufführung nach Neubiberg geholt hat. Und Rassismus manifestiert sich in Vorurteilen, Ausgrenzung und Diskriminierung bis hin zu Hasskriminalität. Immer führt er dazu, dass bestimmte Gruppen als nicht zugehörig markiert, als minderwertig, kriminell oder bedrohlich stigmatisiert werden - Eingewanderte ebenso wie Geflüchtete, Schwarze, Muslime, Juden oder Sinti und Roma. Das Stück ist im Kontext des bundesweiten Themenjahres "321 - 2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" entstanden, an dem sich die Gemeinde auch mit der Wanderausstellung "Du Jude! - Alltäglicher Antisemitismus in Deutschland", einer Online-Veranstaltung mit dem Berliner Rapper Ben Salomon für Schüler, und weiteren Aktivitäten beteiligt hat.

Dass Antisemitismus während der Corona-Pandemie Konjunktur hatte, ist kein Zufall

Als gebürtige Französin hat Danneberg selbst zwar noch nie gegen sich gerichtete xenophobe Äußerungen erlebt. "Aber ich bin ja auch keine Farbige", sagt sie. Sie habe miterlebt, wie dunkelhäutige Frauen mit Kinderwagen in der U-Bahn fremdenfeindlich angesprochen wurden. "Weil Umstehende eingegriffen haben, war diese Situation schnell bereinigt, aber Rassismus und Diskriminierung sind weiterhin aktuell. Sie sind nicht erst durch die Corona-Pandemie wieder hochgekocht, sie sind nie überwunden worden." Antisemitismus sei der älteste Verschwörungsmythos der Welt, er komme in Phasen, wie etwa während der Corona-Zeit oder im Mittelalter wegen der Pest oder wegen der wirtschaftlichen Nöte zwischen den zwei Weltkriegen, erklärt die promovierte Historikerin. Immer dann, wenn es um Fragen des Überlebens gehe, wenn Menschen Not litten oder einen Schuldigen für einen bedrohlichen Zustand suchten, gebe es derartige Auswüchse.

Stéphanie Danneberg ist auch für die Integration der Geflüchteten in der neuen Containerunterkunft in Neubiberg zuständig. (Foto: Catherina Hess/)

"Wenn Impfverweigerer mit Judenstern rumlaufen und sagen, wir sind diskriminiert - und das scheint jetzt salonfähig zu werden -, dann ist das für mich ebenso indiskutabel wie die damit einhergehende Verharmlosung des Holocaust durch Tragen des Sterns", sagt Danneberg. Auch in Frankreich seien Querdenker mit Judenstern bei Demonstrationen mitgelaufen. Man müsse immer wieder darauf hinweisen, wie falsch das ist. Es gehe ihr nicht nur um Antisemitismus, sondern allgemein darum, Vorurteile gegenüber anderen Ethnien, Kulturen, Geflüchteten abzubauen: "Wir brauchen mehr Toleranz!", sagt Danneberg, die auch Ansprechpartnerin für die aktuell über 50 Geflüchteten in der Containerunterkunft auf der Landebahn Neubiberg ist.

Die musikalisch-szenische Collage "An allem sind die Juden schuld! Heute anders als vor 100 Jahren?" soll dazu beitragen. Sie lehnt sich an ein satirisches Couplet von Friedrich Holländer und versammelt Lyrik, Prosa und Chansons der 1920er-Jahre bis heute. Die Texte und Musikstücke von jüdischen Autoren, Publizisten und Komponisten befassen sich mit dem Antisemitismus und seinen Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft. Der bittersüße Abend ist für Erwachsene und Schüler gleichermaßen gedacht. Es spielt der Theater- und Musikverein NRW, die musikalische Leitung liegt bei Axel Weggen, der auch am Klavier sitzt. Im Anschluss an die Aufführung stellt sich das Ensemble den Fragen der Schüler und Theaterbesucher und erläutert die sich in den Texten spiegelnden jüdischen Perspektiven.

"An allem sind die Juden schuld! Heute anders als vor 100 Jahren?", Theaterprojekt und literarische Collage mit Musik am Donnerstag, 19. Januar, 19 Uhr, Aula der Grundschule Neubiberg, Rathausplatz 9, Abendkasse 20 Euro. Karten für 18 Euro, ermäßigt 10 Euro, gibt es im Vorverkauf in der Gemeindebibliothek Neubiberg, der Buchhandlung Lentner und über München Ticket. Bis 18 Jahre ist der Eintritt kostenfrei.

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