Berufsausbildung:Wo geht's hier zur Vier-Tage-Woche?

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Gitta Svoboda, die Vorsitzende des Fördervereins an der Realschule (vorne rechts), hat nicht nur die Berufsmesse organisiert, sie ist als Geschäftsführerin einer Firma für Aufzüge auch selbst mit einem Stand vertreten. Neben ihr (von links): die Auszubildende Hamina, Tochter Natascha sowie die Söhne Marc und Wolfgang. (Foto: Claus Schunk)

Früher mussten sich Schulabgänger um einen Ausbildungsplatz bewerben, heute werben die Firmen um Nachwuchs. Wie sich die Lage verändert hat, zeigt die Ausbildungsmesse an der Realschule Neubiberg.

Von Patrik Stäbler, Neubiberg

Nein, das 150 000 Euro teure Elektroauto wird an diesem Tag nicht verlost - auch wenn es vor der Realschule Neubiberg direkt neben einem Glücksrad steht. Vielmehr hat das Autohaus Simon Gruber aus Ottobrunn die schnittige Limousine zu Werbezwecken mitgebracht - zu dieser sechsten Ausbildungsmesse des Fördervereins der Realschule. Hier sollen Acht- bis Zehntklässler aus der Region einen Überblick bekommen, welche beruflichen Möglichkeiten ihnen nach dem Abschluss offenstehen. Und auch wenn die mehr als 50 Unternehmen aus den verschiedensten Branchen keine Autos verschenken, sondern nur Kugelschreiber, Lollis, Kappen sowie reichlich Informationsmaterial, so steht der Elektrowagen doch sinnbildlich für einen Trend, der auf dieser Messe allenthalben zu sehen und spüren ist: Die Betriebe müssen sich mehr denn je ins Zeug legen, um junge Menschen für eine Ausbildung bei sich zu begeistern.

"Die Voraussetzungen haben sich um 180 Grad gedreht", sagt Gitta Svoboda, die Vorsitzende des Realschul-Fördervereins. Früher hätten sich die potenziellen Azubis bei den Firmen beworben; heute dagegen sei es oftmals andersherum. Diesen Eindruck stützen auch die Zahlen der Agentur für Arbeit für die Stadt und den Landkreis München. Demnach kamen im Ausbildungsjahr 2021/22 auf 100 junge Menschen, die eine Lehre anfangen wollten, circa 160 gemeldete Stellen. In der Folge sei die Personalsuche vieler Betriebe erfolglos geblieben. Den größten Mangel habe es bei Kaufleuten, im Einzelhandel und Handwerk sowie bei medizinischen Fachangestellten in Arzt- und Zahnarztpraxen gegeben.

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"Wir haben aktuell fünfzig Prozent unserer Stellen besetzt. Früher waren es zu diesem Zeitpunkt schon deutlich mehr", sagt Marcus Seyock, der im ersten Stock der Neubiberger Realschule am Stand der Autohausgruppe Mahag steht. Dem Ausbildungsleiter des Unternehmens zufolge wird es immer schwieriger, geeignete Azubis zu finden. Seyock macht dafür unter anderem die Popularität des Gymnasiums verantwortlich. "Viele denken, dass man ohne Abitur nichts wert ist", sagt er. Dabei sei eine Ausbildung für viele junge Menschen der bessere Start ins Berufsleben. Der zunehmende Azubi-Mangel habe wiederum dazu geführt, dass Bewerberinnen und Bewerber inzwischen wählerischer seien als früher. Zudem stellten sie höhere Ansprüche, sagt der Ausbildungsleiter. "Erst neulich hat mich ein Bewerber gefragt, ob's bei uns eine Vier-Tage-Woche gibt."

Ein großes Problem ist laut Gitta Svoboda, dass viele junge Menschen kaum Vorstellungen davon haben, wie groß die Bandbreite an Ausbildungsmöglichkeiten ist. Genau hier setzt die Messe in der Realschule an, wo sich kaufmännische Betriebe ebenso präsentieren wie das Handwerk; dazu kommen Unternehmen aus der Hochtechnologie, der Touristik und dem öffentlichen Dienst sowie Rechtsanwaltskammern und Versicherungen. "Die Schülerinnen und Schüler haben hier alle Chancen, ein Bewerbungsgespräch auszumachen", sagt Gitta Svoboda. "Und im letzten Jahr sind sogar zwei mit einem Ausbildungsvertrag in der Tasche nach Hause gegangen."

Selbiger liegt bei Matthias Alves Gair seit einem Tag daheim auf dem Schreibtisch. Der 17-Jährige, der die 10. Klasse der Neubiberger Realschule besucht, wird im Herbst eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker beim Autohaus Simon Gruber in Ottobrunn anfangen. "Ich habe mich schon immer für Autos begeistert", sagt er. Zudem habe er bei einem Praktikum in dem Betrieb gute Erfahrungen gemacht. Den ersten Kontakt zu dem Autohaus habe er vor einem Jahr bei der Ausbildungsmesse in Neubiberg geknüpft, erzählt der Teenager aus Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Zwar gebe es auch in der Schule Unterricht zur Berufsvorbereitung. "Doch solche Messe sind viel besser. Weil man hier den unmittelbaren Kontakt zu den Unternehmen hat und mit den Leuten sprechen kann, die dort arbeiten."

Die Firmen präsentieren sich mit Filmen in den sozialen Medien

Die Möglichkeit der direkten Ansprache schätzt auch Maximilian Jakob. Er ist Personalleiter bei der Firma Kull & Weinzierl, die in München ein Hotel und fünf Restaurants betreibt, und sucht an diesem Tag in Neubiberg junge Menschen, die sich für eine Ausbildung als Koch, Hotel- oder Gastronomiefachfrau interessieren. Heutzutage müssten sich Unternehmen aktiv um Azubis bemühen, findet Jakob. Etwa mit Filmen in den sozialen Medien oder indem man sich auf Messen wie in Neubiberg präsentiere. Zudem versuche sein Betrieb, den potenziellen Azubis etwas zu bieten. "Bei uns bekommt jeder einen Trainingsplan mit Fortbildungsmöglichkeiten", sagt Maximilian Jakob. Dazu unterstütze man die Auszubildenden beim Führerschein und biete ihnen Dienstradleasing an.

"Man kann sich heute als Unternehmen nicht mehr zurücklehnen und darauf warten, dass die Azubis einfach kommen", sagt auch Fördervereinsvorsitzende Gitta Svoboda, die selbst Geschäftsführerin einer Aufzugsfirma ist. Sie zieht nach der sechsten Ausbildungsmesse in der Realschule Neubiberg ein betont zufriedenes Fazit: "Die Rückmeldungen waren fast ausschließlich positiv. Und einige Aussteller haben sich gleich fürs nächste Jahr wieder angemeldet."

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