Medizinisches Zentrum in Haar:Sprechstunde für komplizierte Fälle

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Am Haarer Klinikum finden Behinderte mit mehrfachen Erkrankungen in einer neueingerichteten Ambulanz individuelle Hilfe. Ärzte und Therapeuten betreuen die Patienten ohne Zeitdruck und Zwang zur Wirtschaftlichkeit.

Von Bernhard Lohr, Haar

Wenn Lisa von oben auf einen Parkplatz voller Autos schaut, fängt sie an zu sortieren. In ihrem Kopf steht dann der rote Mini neben dem roten Golf und der gelbe Van neben dem gelben Smart. Das ist Lisas Welt, wie sie ihre Mutter Doris Wittig-Moßner bei der Eröffnung des Medizinischen Zentrums für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) am Isar-Amper-Klinikum München-Ost beschreibt. Die 25-jährige Tochter leidet an Zwangsstörungen und anderen Erkrankungen, was Arztbesuche zur Herausforderung macht. Für solche Patienten gibt es neuerdings Hilfe in Haar.

Im Haus 16 des Klinikums, wo Anfang des Jahres das MZEB in Betrieb ging, werden mittlerweile 50 Patienten betreut, die wegen ihres komplizierten Krankheitsbilds bisher bei vielen Haus- oder Fachärzten nur mäßig gut aufgehoben waren. Wenn im Behandlungszimmer nur der Verschluss des Waschbeckens an einer falschen Stelle liege, könne ein Termin zum Blutabnahmen platzen, schildert Wittig-Moßner. In den Praxen fehle oft das Verständnis und die notwendige Zeit. Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU), die am Mittwoch zur offiziellen Eröffnung kam, attestierte der neuen Ambulanz einen "unschätzbaren Wert". Acht solche Einrichtungen existieren mittlerweile in Bayern, drei im Großraum München, jeweils mit anderer Schwerpunktsetzung. Zum Wunsch nach weiteren Ambulanzen in Bayern sagte Huml, es gebe in der Tat noch viel zu tun.

Abschalten, zur Ruhe kommen: Einen Snoezelenraum wird kein niedergelassener Arzt bieten können. Am Medizinischen Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) gibt es solch einen Entspannungsraum sehr wohl. Bezirkstagspräsident Josef Mederer (rechts) zeigte sich bei der Eröffnung beeindruckt. (Foto: Claus Schunk)

Die neue Ambulanz, an der neurologische und psychiatrische Kompetenzen des Isar-Amper-Klinikums gebündelt werden, soll keine Konkurrenz zu bestehenden Ärzten darstellen. Die Ärztliche Leiterin Astrid Peters-Weist sprach von einer Ergänzung der Regelversorgung. Man wolle eine kompetente Anlaufstelle sein und Vermittler. Patienten mit einem Grad der Behinderung von 70 und mehr sowie mit mehreren Diagnosen sind angesprochen. Man sei keine Notfallambulanz, so Peters-Weist. Vielmehr würden Termine mit Patienten gründlich und nach Dringlichkeit mit vier bis acht Wochen Vorlauf vorbereitet. Als schwierig hat sich Peters-Weist zufolge erwiesen, ein Netzwerk mit Ärzten aufzubauen, an die Patienten weitervermittelt würden. Man investiere viel Arbeit, aber komme dabei nur langsam voran.

Ein mühsamer Prozess

Es war auch ein steiniger Weg, die Ambulanz überhaupt ins Leben zu rufen. Kinder und Jugendliche, die etwa an Depressionen leiden, an Autismus-Spektrum-Störungen, Epilepsie oder Spastischen Lähmungen werden in sozialpädiatrischen Zentren versorgt. Doch mit dem 18. Lebensjahr ist Schluss. Erst 2015 wurde durch eine Novelle im Sozialgesetzbuch die Grundlage gelegt, diese Versorgungslücke zu schließen. Am Isar-Amper-Klinikum machte sich Martin Marziniak, Chefarzt der Klinik für Neurologie, für die neue Ambulanz stark. Er spricht von einen "mühsamen" Prozess bis zur Eröffnung. Zwei Jahre dauerten die Vorbereitungen und die Abstimmungen mit den Krankenkassen.

Margitta Borrmann-Hassenbach, Vorstand des Klinikbetriebs des Bezirks, beklagte die Ökonomisierung im Gesundheitswesen und die langwierigen Entscheidungsprozesse, die Innovation verhinderten. Als Glücksfall bezeichnete sie, dass der Bezirk und seine Kliniken nicht rein profitorientiert arbeiten müssten. Nur so sei solch eine Ambulanz umsetzbar. Geld verdiene man damit nicht.

Derzeit bietet das MZEB in Haar in der Ringstraße 16 zwei Mal in der Woche Termine an. Patienten werden von Tagesstätten oder sozialen Einrichtungen an die Ambulanz verwiesen, manche kommen über ihren Arzt oder auf eigene Initiative. Beim ersten Termin nimmt sich das Team um Oberärztin Peters-Weist bis zu drei Stunden Zeit. In der Folge werden Patienten vom MZEB begleitet. Im Ambulanzteam arbeiten Neurologen, Psychiater und Therapeuten diverser Fachrichtungen.

Gemeinsam entwickelt man Behandlungspläne mit dem vorrangigen Ziel, Symptome zu lindern, die Lebensqualität zu steigern und Angehörige zu unterstützen. Vielen hilft laut Peters-Weist schon zu wissen, dass sie kommen könnten. So wie Doris Wittig-Moßner und ihre Tochter: "Im MZEB sind wir kein Störfaktor."

© SZ vom 22.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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