Marode Kirchenbauten:Den Glauben verloren

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Auch das gibt es: Kirchenpfleger Helmut Hopmann hat mit großem Einsatz in St. Otto viel erreicht. (Foto: Claus Schunk)

Kirchenmauern bröckeln, Friedhöfe verfallen, Kindergärten werden nicht saniert: Weil auch im Landkreis viele Bauvorhaben vom Bearbeitungsstau im Ordinariat betroffen sind, ergreifen Pfarreien selbst die Initiative.

Von Ulrike Schuster

Zehn Jahre sind mittlerweile vergangen, aber aus dem Ordinariat hat sich kein Mensch gemeldet. Pfarrer Werner Kienle aus Heimstetten wartet dennoch weiter - und hofft.

"Aber rechnen tue ich mit nichts mehr."

Das Pfarrzentrum von St. Peter im Kirchheimer Ortsteil müsste rundum saniert werden. Im Mauerwerk sind Risse, die Dachrinnen sind undicht, der Putz bröckelt, vom Kirchturm hängen die Ziegel und so richtig warm wird's im Kirchenschiff auch nicht mehr. Eine Sache ist nach acht Jahren aber geschafft: Die Kosten sind geschätzt. Auf 3,2 Millionen Euro hat die Planungstruppe der Erzdiözese München und Freising die Komplettauffrischung beziffert.

In der Not helfen sich die 3000 Gläubigen der Pfarrei selbst. 300 000 Euro Spenden haben sie seit 2007 für die Sanierung gegeben. Geht das Sammeln in dem Tempo weiter, dauert es noch ziemlich genau 100 Jahre, bis das Geld beisammen ist. Um den Baustart mitzuerleben, müsste Pfarrer Kienle also 159 Jahre alt werden.

St. Peter ist nur eines von fast 24 Projekten im Landkreis, die vom Bearbeitungsstau in der Erzdiözese München und Freising betroffen sind. Darunter sind Anträge auf Neubauten für Horte, Kindergärten und Tagesstätten - etwa in Garching und Oberschleißheim - sowie Sanierungen von Kirchen. In Baierbrunns St. Peter und Paul lagen zwischen Antrag und Sanierung von Friedhofsmauer und Dorfkirche jeweils sechs Jahre. In Pullach musste die Dreifaltigkeitskirche fünf Jahre lang auf die Innenrenovierung warten. Einen neuen Glockenturm und ein neues Dach für Gräfelfings St. Severin hat man 2013 grundsätzlich befürwortet, aber seitdem ist nichts weiter passiert. "Aufgrund der Bindung der finanziellen und personellen Ressourcen kann die weitere Planung nicht kurzfristig eingeleitet werden", schreibt das Baureferat der Diözese. Jenseits der Landkreisgrenzen geht es nicht flotter voran: 607 Alt-Anträge stapeln sich im Baureferat des Erzbistums. Die ältesten, die darauf warten, bearbeitet zu werden, tragen einen Stempel aus dem Jahr 2007.

Die renovierte Kirche St. Otto in Ottobrunn. (Foto: Claus Schunk)

Geld ist nicht das Problem

Das Problem ist nicht das Geld. Dem Erzbistum München und Freising geht es außerordentlich gut. Jährlich fließen Hunderte Millionen Euro aus Kirchensteuern, Immobilienvermietung und Unternehmen aufs erzbischöfliche Konto. 570 Millionen Euro waren es 2015, sechs Millionen Euro mehr als 2014. Über die Rekordsumme von 735 Millionen Euro durfte das Erzbistum 2015 verfügen. Es gehört damit zu den vermögensstärksten Bistümern weltweit.

Das Problem ist auch nicht ein Mangel an Personal. In der Abteilung "Bauen" des Ordinariats sind allein 23 Architekten und Ingenieure ausschließlich damit beschäftigt, sich um den Erhalt und Neubau von Kirchen und Pfarreien zu kümmern. Für Generalvikar Peter Beer ist der Grund des Übels ein "systematisches Problem". Es müssten Bedingungen geschaffen werden, damit "wir faire Verfahren haben, bei denen gute Architekten Chancen haben", sagt Beer. Was er meint: Die Vergabe von Aufträgen an den geeignetsten Architekten mit dem besten Angebot, ermittelt in einem fairen Wettbewerb nach ordentlicher Ausschreibung. Bisher hätten das dem Vernehmen nach "alte Zöpfe" im Ordinariat verhindert.

Helmut Hopmann, 80, ist Kirchenpfleger von St. Otto in Ottobrunn. Mit seinem Einsatz hat er es geschafft, dass die Kirche in Rekordzeit saniert wurde. (Foto: Claus Schunk)

Die gewaltige Schieflage, die in einer revisorischen Bestandsaufnahme ermittelt wurde, teilten Generalvikar Beer und Finanzdirektor Reif den 748 Pfarreien und Kirchenverwaltungen im vergangenen September mit: 360 Anträgen liegen danach unbearbeitet im Baureferat, in 121 Fällen hat die Verwaltung die Planungen immerhin abgeschlossen, bei 40 Projekten ist diese sogar fortgeschritten.

In der Pfarrei St. Otto in Ottobrunn sind die Planungen sogar besonders weit gediehen. Innerhalb von nur drei Jahren, zwischen 2013 und 2016, wurden sechs Bau-Projekte beantragt, bewilligt, umgesetzt und vollendet. Rund 1,6 Millionen Euro hat die Auffrischung von Innen- und Außen-Kirche, Pfarrhaus und Pfarrheim, Kirchen-Appartements und Grünanlagen gekostet. 1,2 Millionen Euro kamen dafür vom Ordinariat.

An so viel Ergebnis in so kurzer Zeit ist Kirchenpfleger Helmut Hopmann, 80 und Typ unbeirrter Macher, stark beteiligt. Fünf Tage die Woche arbeitet der Ex-Ingenieur für sein geliebtes Ehrenamt. Wurde ihm ein Antrag nicht bewilligt - und häufig wurde der erste Versuch abgelehnt - rief er im Ordinariat an. Bekam er niemanden an den Hörer, marschierte er persönlich auf und ging nicht eher fort, bis ihm jemand zuhörte. "Ich war anstrengend, ich habe freundlich genervt", sagt der Hopmann. "Mir liegt unsere Kirche nun mal am Herzen. Deshalb kämpfe ich für sie." Die Bilanz gibt ihm Recht.

Wartet seit zehn Jahren auf eine Antwort aus dem Ordinariat: Pfarrer Werner Kienle vor der sanierungsbedürftigen Kirche St. Peter in Heimstetten. (Foto: Claus Schunk)

Zweimal im Jahr tagt der Vergabeausschuss

Das Prozedere bei Großprojekten dieser Art sollte so ablaufen: Erreicht der Antrag einer Pfarrei das Baureferat, wird er dem Strategischen Vergabeausschuss vorgelegt. Der ordnet das Vorhaben mit einer Dringlichkeitsziffer in einer Prioritätenliste ein. Danach beginnt die Vorplanung. Der Architekt geht auf die Baustelle und überlegt, was gemacht werden muss, welche Fachkräfte nötig sind und wie viel das Ganze kostet wird. Erst wenn Gesamtaufwand und Kosten ermittelt sind, kommt es zur finalen Entscheidung: Zuschuss genehmigen? Ja oder nein? Darüber entscheidet der Vergabeausschuss, der zweimal im Jahr zusammenkommt. Gibt dieser grünes Licht, übernimmt die Diözese 85 Prozent der Baukosten. Den Rest zahlt die Gemeinde. Bis es soweit ist, verstreichen Jahre.

Außer es herrscht Notstand. So wie im Fall des alten Dachstuhls in Jürgen Blöchingers Gemeinde St. Stephanus in Hohenbrunn. Der Dachstuhl von 1668 war völlig von Fäulnis zerfressen. Die Holzbalken wackelten bereits, sie drohten einzustürzen, Leib und Leben der Gläubigen waren bedroht. "Ist die Lage ernst, handelt die Diözese sofort", sagt der Kirchenpfleger. Ein Jahr lang dauerte die Sanierung, 700 000 Euro kostete sie.

Ganz so geschwind wie beim Dachstuhl von St. Otto muss es für Vikar Beer im Regelfall nicht ablaufen. Dennoch will er, dass eine schnellere Bearbeitung Standard wird, die Alt-Lasten rasch Zug um Zug abgearbeitet werden. Religiöses Erbe soll schneller wieder glänzen, die Kirche will "gestalten, kulturell präsent sein", sagt Beer. 84 Fälle gibt es derzeit in Stadt und Land München, in denen aus Papier-Plänen echte Baustellen geworden sind.

Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche"

Damit das gelingt, hat der Generalvikar das Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche", gewählt. Süßes heißt für die Pfarreien mehr Eigenverantwortung und mehr Geld. Bauvorhaben bis zu 100 000 Euro können die Kirchenstiftungen selbständig erledigen. Der Fördertopf für die Klein-Baustellen wurde zu diesem Zweck von 14 auf 16,5 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt. Bei Mittel- und Großprojekten ab 100 000 Euro haben Unternehmensberater das Sagen, um das Bauen "professionell abzuwickeln". Rund 20 Mann von Ernest & Young oder Thost steuern die Projekte und kontrollieren, ob Kosten- und Terminplan eingehalten werden.

Auch Personen und Ämter hat der Generalvikar aufgefrischt. Oberste Bauleiterin ist seit kurzem Susanne Birk, 40, früher Immobilienmanagerin. Christian Stumpf ergänzt das Referat mit seinem Wissen des Architekt. Er hat den neu geschaffenen Posten des Diözesanbaumeisters inne.

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