Landtagswahl: FW-Kandidatin Ilse Ertl:Kämpferin für die einfachen Leute

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Ilse Ertl ist in Töging am Inn aufgewachsen, lebte lange in Ismaning und ist inzwischen in der Nähe von Moosburg zuhause. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Tierärztin Ilse Ertl hat in Ismaning zur Politik gefunden, wohnt heute bei Moosburg und kandidiert für die Freien Wähler im südlichen Landkreis. Wenn sie sich in Rage redet, klingt sie manchmal wie eine Linke oder Grüne.

Von Bernhard Lohr, Ismaning

Auch wenn sie außerhalb ihrer Partei nie ein öffentliches Amt innehatte, das Gesicht von Ilse Ertl kennt man mittlerweile. Erst vor einem Jahr war es im Bundestagswahlkampf auf Plakaten im Landkreis München zu sehen. Jetzt ist die Frau mit den rotblonden Locken und dem obligatorischen weißen Hosenanzug erneut auf der Bildfläche. Ilse Ertl, 53, ist fast nahtlos in den Landtagswahlkampf gewechselt und tritt jetzt im Stimmkreis München-Land Süd für die Freien Wähler an. Die Chancen auf ein Mandat sind mit Listenplatz 29 gering. Ihr Sendungsbewusstsein schmälert das nicht.

Und so dauert es beim verabredeten Treffen auf der Terrasse des Neuwirts in Ismaning nur wenige Minuten, bis Ilse Ertl kämpferisch anprangert, was ihrer Meinung nach in Bayern und auf der Welt falsch läuft. Ungerechtigkeit, wo man hinschaue, nicht zuletzt bei den Medien, die die Freien Wähler stiefmütterlich behandelten und stattdessen der AfD Aufmerksamkeit schenkten. Die "anständige Alternative" lautete der Slogan der Freien Wähler zur Bundestagswahl. Und der passt in Ertls Augen weiter. Andere machten "Politik zugunsten von Konzernen, Politikern und wenigen Reichen", sagt sie. Die Freien stünden für "bodenständige Politik für den Bürger".

Das hat etwas von einer Generalabrechnung mit dem Politikbetrieb, wie er derzeit oft zu hören ist, wobei sich Ertl bei ihrer gerne mit einem Schuss Empörung vorgebrachten Kritik, die sie auch in der Asyl- und Flüchtlingspolitik anschlägt, von einer AfD klar abgrenzt. Manchmal klingt die stets betont adrett gekleidete promovierte Tierärztin wie eine Grüne oder eine Linke, wenn sie auf ein Recht auf gesunde Lebensmittel pocht, den Einsatz von bedenklichen Pflanzenschutzmitteln verteufelt und fordert, dass Kinder an Schulen etwas über gute Ernährung erfahren. Sie tritt wie Freie-Wähler-Chef Huber Aiwanger für eine Stärkung des ländlichen Raums durch eine forcierte Digitalisierung ein, für mehr Lehrer und Ganztagsschulen und nennt als ein Steckenpferd den Tierschutz: Einführung eines Tierwohl-Labels und kurze Transportwege zum Schlachthof fordert sie. Tiere seien ihr einziges Hobby, sagt Ilse Ertl. Zwei Hunde, zwei Rinder und das Pferd Rasputin gehören zu ihrem Leben. Und die Tierarztpraxis, die sie seit 15 Jahren als Selbständige führt. Die Arbeit vereinnahme sie "rund um die Uhr", sagt Ertl. Nennenswerter Urlaub: Fehlanzeige.

Die Frau, die so zurückhaltend, in ihrem Habitus sogar brav wirkt, wird zur Kämpferin fürs "Bodenständige" und den einfachen Bürger, sobald sie sich politisch äußert. "Ich habe natürlich einen Sinn für die einfachen Leute, weil da das Normale ist", sagt sie. Nachvollziehbar wird das, wenn man ihren Werdegang kennt. Ertl stammt aus einfachen Verhältnissen. Sie wuchs in Töging am Inn nahe Mühldorf auf, ihr Vater war Bauarbeiter, ihre Mutter ging putzen. Sie arbeitete nach der Hauptschule als Briefträgerin, bis sie ein Buch in die Hand bekam, in dem Aufstiegs- und Erfolgsgeschichten erzählt werden. Plötzlich sei ihr klar geworden, dass sie etwas tun müsse, wenn sie nicht ein Leben lang anderen den Kaffee kochen wolle, sagt sie. Ertl legte in zwei Jahren das sogenannte Begabtenabitur ab und studierte Tiermedizin, obwohl oder gerade weil Freunde warnten, wie schwer das sei. "Und es ging", sagt sie.

Ilse Ertl weiß, wo sie herkommt und lebt jetzt ein Leben, das früher weit weg schien. Dabei machte sie mit ihren politischen Ambitionen einen Sprung. Das Kommunale touchierte sie nur. Ertl lebte vor Jahren in Ismaning, war verheiratet und wurde von Rudi Essigkrug, dem führenden Kopf der Freien Wählergemeinschaft am Ort, für eine Kandidatur auf einem hinteren Platz der Gemeinderatsliste gewonnen.

Den ohnehin nicht erwarteten Einzug in den Gemeinderat verpasste Ertl, aber sie wurde nach vorne gehäufelt und leckte Blut. Mittlerweile kandidierte sie, die heute alleine nahe Moosburg lebt und dort ihre Praxis hat, zwei Mal für den Bundestag und einmal für den Landtag. Sie ist Kreisgeschäftsführerin der Freien Wähler und Mitglied im Vorstand der Landesvereinigung. Sie räumt ihr geringes Interesse am Lokalen ein. Sie wolle dort hin, wo die vielen Übel ihre Wurzel hätten.

Wie viele Missstände es in ihren Augen in Bund und Land gibt, erfährt man im Gespräch. Aber vor allem beim Blick auf Facebook. Mehr als 2000 sogenannte Freunde bedient sie mit ihren dezidierten Meinungen zum Tagesgeschehen. Die 53-Jährige preist dort den linken US-Demokraten Bernie Sanders als Freien Wähler der USA, sie ruft aus Anlass der Moschee-Eröffnung durch den türkischen Präsidenten in Köln den Politikern zu, "offen aber auch wachsam" gegenüber dem Islam zu sein. Sie kritisiert den Bau von Stromtrassen und den "Renten-Klau". Manchmal überrascht sie mit Detailwissen, wobei man sich freilich fragt, wie valide die eine oder andere zitierte Studie ist.

Leicht zu greifen ist die 53-Jährige nicht, die sich von ihrer Kandidatur nicht davon abhalten ließ, dass sie bei der Nominierungsversammlung von einer Handvoll Freie-Wähler-Vertretern erst im zweiten Wahlgang aufgestellt wurde. Ilse Ertl sagt, sie wolle Dingen auf den Grund gehen. Und sie will kämpfen. Beim Treffen im Ismaninger Neuwirt reckt sie einen Finger hoch. Ein von Blut durchtränktes Pflaster ist zu sehen. Das zweite Mal habe sie als Tierärztin heute ein Hund gebissen, sagt sie. "Das ist eine gute Übung für die Politik."

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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