Interview mit der Kreisheimatpflegerin:Kämpferin für die Kulturlandschaft

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Christine Heinz sieht ihr Amt als Scharnier zwischen Erhalt und Erneuerung. Die Ismaningerin sagt aber auch: "Wenn wir zu viel bauen, gibt es diesen Alpenblick nicht mehr."

Von Irmengard Gnau

Warum hat der Landkreis München so einen außergewöhnlichen Zuschnitt und seinen Verwaltungssitz außerhalb des eigenen Gebietes, nämlich in der Au, mitten in der Stadt München? Wie ist die Mooslandschaft zwischen Oberschleißheim und Ismaning entstanden und welche Bedeutung hatte sie? Wer hat die Schlösser und Gutshöfe errichtet, die den Landkreis zieren und woher stammen Orts- und Flurnamen? Solche und viele mehr Fragen wissen die Kreisheimatpfleger am Landratsamt zu beantworten. Im vergangenen Jahr - still und heimlich aufgrund der Corona-Pandemie - hat Christine Heinz aus Ismaning das Amt der Heimatpflegerin für den Landkreis München übernommen. Sie will die Historie der so verschiedenen Orte noch besser erlebbar machen und so auch Jüngere für das Thema begeistern.

SZ: Sie haben im vergangenen Jahr das Amt der Kreisheimatpflegerin von ihrem Vorgänger Alfred Tausenpfund übernommen. Wie sind Ihre zentralen Aufgaben?

Christine Heinz: Einerseits bin ich Ansprechpartnerin für die Ortsheimatpfleger und die Menschen, die sich in den Kommunen um die Ortsgeschichte kümmern. Wir versuchen, uns regelmäßig zu treffen, das nächste Mal Anfang Oktober in Ismaning. Aber ich bin auch für jeden Bürger da, der etwas über seine Heimat erfahren möchte. Und wenn ich die Fragen nicht selbst beantworten kann, bemühe ich mich, die richtigen Ansprechpartner zu finden.

Was hat Sie an diesem Ehrenamt gereizt?

In dem Kreis der Ortsheimatpflegerinnen und Ortsheimatpfleger bin ich seit 20 Jahren dabei, bisher als Angestellte und Ortsheimatpflegerin der Gemeinde Ismaning. Daher kenne ich die Themen und wusste, wie hilfreich es ist, sich dort zu vernetzen. Trotzdem hatte ich im Hinterkopf schon immer mal ein paar Gedanken, was man ändern könnte. Als ich gefragt wurde, ob ich das Amt der Kreisheimatpflegerin übernehmen möchte, dachte ich: Wenn ich die Chance habe, da selbst tätig zu werden, sollte ich das auch tun.

Wo möchten Sie konkret anpacken?

Wir müssen ein bisschen digitaler und moderner werden. Der Altersdurchschnitt derjenigen, die sich für Heimatpflege interessieren und die Ortschroniken schreiben, ist relativ hoch. Als ich vor 20 Jahren erstmals zum Kreis der Heimatpfleger hinzugekommen bin, war ich in doppelter Hinsicht die Ausnahme: Ich war eine der ganz wenigen Frauen und ich war die einzige unter 50. Inzwischen hat sich sehr viel getan, vor allem bei den Archivaren, weil mehr und mehr Gemeindearchive nicht mehr ehrenamtlich geführt werden von pensionierten Verwaltungsmitarbeitern, sondern eigenes Personal dafür angestellt wird. Damit verjüngt sich dieser Kreis automatisch. Da tut sich also was, und das jetzt noch über ein, zwei Amtsperioden zu begleiten, finde ich spannend.

Wie kann Heimatpflege digital aussehen?

Auf der Homepage des Landratsamts soll sich einiges tun, wir wollen beispielsweise einen kleinen Film über die Heimatpfleger drehen und die Portale für Veranstaltungen und ähnliches ausbauen. Der neue Kulturreferent im Landkreis, Rainer Klier, hat da auch vieles angestoßen. Außerdem sind wir gerade dabei, die Landkreisbibliothek digital zu erfassen. Dort sollen die Veröffentlichungen über die Ortsgeschichte der einzelnen Kommunen gesammelt werden. Die große Idee ist, alles etwas zu verjüngen ohne den altgedienten Heimatpflegern etwas wegzunehmen. Das muss ein guter Mittelweg sein.

Sie haben die zusätzlichen Hauptamtlichen angesprochen. Kann man hier auch einen Bewusstseinswandel sehen, dass die Erforschung der Ortsgeschichte einen höheren Stellenwert in den Kommunen bekommt?

Ja, da hat sich sicher etwas getan. Gesetzlich ist jede Gemeinde verpflichtet, ein Archiv zu führen, aber wie und in welcher Intensität sie das tut, ist jeder selbst überlassen. Für manche Gemeinden bedeutet Archiv auch nur, dass sie die Akten in einer Ecke stapelt und da liegen sie dann. Ich habe in Ismaning hingegen miterlebt, wie wertvoll ein gut geführtes Archiv für eine Gemeinde ist. Denn es gibt immer wieder Anfragen, aus der Verwaltung, aus der Politik oder auch von Bürgern. Heute interessieren sich ja auch viele Menschen wieder für ihre eigene Familiengeschichte, da gibt es einen Bewusstseinswandel.

Woher kommt dieser Trend?

Ich bin ja studierte Volkskundlerin, damals im Studium haben wir gelernt: Je globaler die Welt wird, desto stärker wird das Bedürfnis, sein eigenes kleines Umfeld zu erfassen. Diese Theorie beweist sich gerade. Und dazu gehört eben die Familiengeschichte oder auch die Ortsgeschichte.

Was macht den Landkreis denn heimatkundlich betrachtet so spannend?

Üblicherweise haben Landkreise ja eine möglichst zentral gelegenen Kreisstadt. Schon da fällt der Landkreis München heraus: Er hat keine Kreisstadt, die liegt historisch bedingt in München - die Au war ja einst ein eigener Ort. Er ist also von der Verwaltungsstruktur außergewöhnlich, geografisch außergewöhnlich, und er ist mit seinen 29 Kommunen in sich wahnsinnig vielfältig. Das zu greifen, ist auch eine Herausforderung - zum Beispiel ist es für den Landkreis sehr schwierig, eine gemeinsame Identität zu stiften. Auch, weil sich so vieles nach München hin orientiert, denken Sie an das Autokennzeichen oder die Vorwahl.

Als Kreisheimatpflegerin haben Sie künftig auch bei der Bauplanung mit den Kommunen zu tun.

Ja, ich bin Vertreterin der öffentlichen Belange und heimatpflegerischen Interessen bei der Flächennutzungs- und Bauleitplanung. Das heißt, ich achte darauf, dass etwa Bodendenkmäler nicht beeinträchtigt werden. Außerdem werde ich darauf hinweisen, dass die Kulturlandschaft erhalten bleibt. Wir haben hier eine wunderschöne Kulturlandschaft, die dafür mitverantwortlich ist, dass es im Landkreis so lebenswert ist. Ich weiß, die Planungshoheit der Gemeinden ist ein hohes Gut. Aber ab und an mal mahnend zu sagen: "Ihr wollt hier bauen, weil der Alpenblick so schön ist, aber wenn wir zu viel bauen, gibt es diesen Alpenblick nicht mehr", das gehört auch zu meinen Aufgaben.

© SZ vom 11.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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