Integration:Diesseits von Afrika

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"Es bringt nichts, wenn ausnahmsweise mal einer nett zu dir ist": Edith Otiende-Lawani. (Foto: Claus Schunk)

Die Juristin Edith Otiende-Lawani aus Haar kämpft für ein besseres Miteinander und gegen das Image Afrikas als Krisenkontinent. Jetzt strebt die gebürtige Kenianerin über die SPD in die Politik - und hat durchaus Ambitionen.

Von Leo Kilz, Haar

Wer Edith Otiende-Lawani anruft, hat sie sofort am Telefon. Die 35-Jährige ist immer erreichbar. Muss sie auch. Denn die Haarerin hat eine Mission. Im Jahr 2017 gründete sie den Verein "Giving Africa a New Face" - "Afrika ein neues Gesicht geben". Der Name ist Programm. Ihr Verein setzt sich für einen Paradigmenwechsel sowohl in der Entwicklungszusammenarbeit als auch in der Integration ein.

Otiende-Lawani kam als Au-pair aus Kenia nach Haar, heute ist sie eine der einflussreichsten Persönlichkeiten und wichtigsten Ansprechpartnerinnen der afrikanischen Diaspora-Community im Landkreis München. Nach einem Jahr in ihrer Gastfamilie begann sie ihr Jurastudium in München. "Ich wollte schon in Kenia Juristin werden, um Menschen, die unterdrückt werden, zu unterstützen", erzählt die Arbeits- und Vertragsrechtlerin.

Kulturelle, politische und witschaftliche Vielfalt

Der afrikanische Kontinent wird nach Ansicht von Otiende-Lawani in der deutschen Öffentlichkeit als Krisenherd gesehen. Dieses Bild will sie ändern, will die Chancen, die in den 1,2 Milliarden Bewohnern der 54 Staaten des Kontinents schlummern, in den Vordergrund rücken. Die kulturelle, politische und wirtschaftliche Vielfalt des Kontinents wolle sie sichtbar machen. Darum ging es auch bei der jüngsten Veranstaltung des Vereins in Haar. Unter dem Motto "Das bin ich, das sind wir" sollten Menschen aus Gambia, Nigeria, Ghana, Togo und dem Senegal mit anderen Bürgern des Landkreises über eine inklusive Gesellschaft diskutieren. Wie kann Integration gelingen? Und welche Erfahrungen machen Menschen mit Migrationsgeschichte rund um München? Die Diskussion zu diesen Fragen lief nur schleppend. Teilnehmende aus der Diaspora hielten sich zurück und die deutschen Teilnehmer scheiterten daran, die richtigen Fragen zu stellen.

Eine Teilnehmerin sah in den Amtssprachen Englisch und Französisch ein Zeichen für die Diversität der afrikanischen Kultur. Statt nach den mehr als zweitausend afrikanischen Sprachen zu fragen, beschäftigte sie sich mit den Sprachen der europäischen Kolonialherren. Und für einen Teilnehmer, der 19 Mal nach Afrika gereist ist, bleibt Afrika "ein Kontinent, der Menschen zusammenbringt", weil er ein russisches Ehepaar auf einer Safari kennengelernt hat. Mit Kultur und Lebensstil der einheimischen Bevölkerung hatte all das wenig zu tun. Doch Edith Otiende-Lawani gibt nicht auf, will genau deshalb weiter gegen Parallelgesellschaften kämpfen. "Wir können nicht erwarten, dass man uns anders kennenlernt, wenn wir unsere Geschichten nicht erzählen" sagt sie. Das Dialogformat war für "Giving Africa a New Face" eine Premiere. Bisher hielten Referenten Vorträge.

Seit 2019 arbeitet die Juristin auch in der Wirtschaft an besseren deutsch-afrikanischen Beziehungen: Sie ist Gründerin der Unternehmensberatung "The Bridge Consulting". Dort möchte sie deutschen Unternehmen den Einstieg in die afrikanischen Märkte erleichtern. Mit Delegationen afrikanischer Unternehmer setzt sie sich für den Transfer von Technologie und Know-how ein. Zuletzt begleitete Edith Otiende-Lawani Botschafter, Minister und Wirtschaftslenker aus der Elfenbeinküste in das bayerische Wirtschaftsministerium.

"Wenn Corona uns eines gelehrt hat, dann dass wir global denken müssen", findet die cross-sektorale Aktivistin. Entwicklungshilfe meint Otiende-Lawani damit aber nicht, ihr geht es um Beziehungen auf Augenhöhe. Solange es um Spenden und nicht um strukturelle Veränderungen geht, bleibe das Nord-Süd Gefälle ein Verhältnis von oben herab. Strukturelle Veränderungen - das sei auch in der Integrationsarbeit der springende Punkt: "Es bringt nichts, wenn ausnahmsweise mal einer nett zu dir ist", stellt Otiende-Lawani klar. Sie will Gremien, die den Interessen von Eingewanderten Gehör verschaffen, eine Politik, "die zuhört und umsetzt".

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Seit kurzem gehört die Haarerin dem Vorstand der SPD München-Land an, Genossin ist sie schon einige Jahre. Migration ist ihr großes Thema auch in der Partei. Integration fördern und Fluchtursachen bekämpfen, dem will sie sich auch politisch verschreiben. Weder im Wahlkampf noch in den laufenden Koalitionsverhandlungen in Berlin, seien diese Themen präsent, beklagt Otiende-Lawani. "Nur wenn es im Rahmen einer Krise für Europa relevant wird, findet das Thema bisher Beachtung."

"Ich wünsche mir", sagt sie, "eines Tages die Integration, unser Miteinander auf höherer Ebene mitzugestalten." Strebt die 35-Jährige also in den Bundestag? "Ich nehme einen Schritt nach dem anderen", beschwichtigt Edith Otiende-Lawani. Ein Bundestagsmandat wäre aber natürlich nicht verkehrt, gibt sie zu.

© SZ vom 06.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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