Wirtschaft:Wo Azubis mehr sind als billige Arbeitskräfte

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Die Bäckerei Brot-Zeit in Grünwald legt Wert auf eine traditionelle, handwerkliche Ausbildung. Im Bild die beiden Gesellen Maximilian Wimmer und Keith Mak (von links). (Foto: Alessandra Schellnegger)

Zum Beginn des Ausbildungsjahres am 1. September bleiben viele Stellen unbesetzt. Dabei gibt es durchaus junge Leute, die die Vorteile einer Lehre zu schätzen wissen - wenn die Betriebe auf ihre Wünsche eingehen.

Von Joshua Sans, Landkreis München

Rohrleitungsbauer, Fitnesskaufmann, Konditor: Am 1. September beginnt für viele Lehrlinge im Landkreis München die Berufsausbildung. Betriebe, die einen Lehrling gefunden haben, können sich glücklich schätzen, denn aktuell liegt die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) auf einem Rekordhoch. Demnach konnten im vergangenen Jahr 42 Prozent aller IHK-Ausbildungsbetriebe in Deutschland nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. 36 Prozent dieser Betriebe haben nicht eine einzige Bewerbung erhalten. Wieso wollen offenbar immer weniger junge Menschen eine Berufsausbildung machen und was schätzen diejenigen, die sich dafür entschieden haben an ihrer Ausbildung?

"Die Ausbildung ist praxisorientiert, ich verdiene schon Geld und mir gefällt es, im Team zu arbeiten." Tobias Kaufmann ist gerade im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung bei der Atruvia AG in Aschheim. Der 22-Jährige ist zufrieden mit seiner Entscheidung für eine Berufsausbildung. Dem angehenden Fachinformatiker gefällt daran vor allem, dass er in der Praxis direkt umsetzen kann, was er vorher in der Theorie gelernt hat. Das sei im Studium anders gewesen, erzählt Kaufmann. Vor seiner Ausbildung hat er vier Semester Elektrotechnik studiert, nun programmiert er in seinem Ausbildungsbetrieb verschiedene Anwendungen. Obwohl er zufrieden ist, sieht er Verbesserungsbedarf in der Berufsschule: "Ich habe Abitur und muss Deutsch und Sozialkunde lernen. Das habe ich alles schon in der Oberstufe gelernt."

Tobias Kaufmann lernt Fachinformatiker in Aschheim und sagt: "Die Ausbildung ist praxisorientiert, ich verdiene schon Geld und mir gefällt es, im Team zu arbeiten." (Foto: privat)

Auch Luis Lindner ist glücklich mit seiner Entscheidung für die Berufsausbildung. "Ich komme gerne von der Arbeit nach Hause und bin dann fertig", sagt der 21-jährige angehende Hotelfachmann beim Best-Western-Hotel in Parsdorf über die Ausbildung verglichen mit einem Studium. Das einzige, was er an seiner Ausbildung verbessern würde, ist die Vergütung. Genau wie Tobias Kaufmann wohnt er noch bei seinen Eltern. Eine Wohnung im Großraum München lässt sich mit dem Gehalt eines Azubis kaum alleine finanzieren. Louis Lindner ist trotzdem zufrieden. Er möchte nach seiner Ausbildung in seinem Lehrbetrieb bleiben und plant jetzt schon, seinen Barkeeper-Schein zu machen. Auch Tobias Kaufmann schätzt die Weiterbildungsmöglichkeiten, die ihm sein Betrieb nach der Ausbildung anbietet.

Luis Lindner lernt Hotelfachmann in Parsdorf und sagt: "Ich komme gerne von der Arbeit nach Hause und bin dann fertig." (Foto: privat)

Den ausbildenden Unternehmen ist der Handlungsbedarf längst bewusst geworden. Der Großteil der IHK-Betriebe hat in den vergangenen Jahren durch verschiedene Maßnahmen versucht, die Berufsausbildung für junge Menschen attraktiver zu gestalten. Das zeigt eine kürzlich veröffentliche Umfrage des DIHK zur Anpassung der Unternehmen an die Wünsche der Generation Z. Demnach gaben 58 Prozent der befragten Unternehmen an, ihre Hierarchien für Azubis flacher gestaltet zu haben. Jedes zweite Unternehmen meldete, es habe die IT-Ausstattung seiner Azubis verbessert. Weitere wichtige Veränderungen sind laut Umfrage die Einführung neuer Lehr- und Lernkonzepte sowie das ermöglichen von "Azubi-Projekten", die es Lehrlingen ermöglichen sollen, Verantwortung für eigene Projekte zu übernehmen.

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Die Erfahrungen von Bäckermeister Nico Scheller zeigen, dass es sich lohnt, auf die Wünsche der jungen Menschen einzugehen. Der Bäckermeister und Geschäftsführer der Lokalbäckerei Brot-Zeit mit Sitz in Grünwald betreibt mehrere Backstuben und Läden im Landkreis München. Über mangelnde Nachfrage nach seinen Ausbildungsplätzen muss sich der 33-Jährige keine Sorgen machen. Dieses Jahr fangen gleich drei Lehrlinge ihre Ausbildung zum Bäcker in seinem Betrieb an. Zusätzlich beschäftigt Scheller zwei Lehrlinge in der Ausbildung zum Fachverkäufer, die bereits im zweiten Lehrjahr sind. Bei der Bewerbung achtet der Bäckermeister vor allem darauf, dass sich seine potenziellen Azubis mit der Unternehmensphilosophie identifizieren können.

"Azubis dürfen, sollen und können Verantwortung mittragen."

Bei der Lokalbäckerei Brot-Zeit steht die Handwerkstradition an erster Stelle. Nico Scheller ist es wichtig, dass seine Azubis die gleiche Liebe für das Backhandwerk mitbringen wie er selbst. Das Grundhandwerk lernen sie während der Ausbildung: Teigherstellung, Teigaufarbeitung und Ofenarbeit. Diese Ausbildungsinhalte stehen im Gegensatz zu automatisierten Prozessen, wie sie laut Scheller in vielen Backshops und Supermarktketten stattfinden würden. Neben der Vermittlung handwerklicher Grundfähigkeiten, bietet der Bäckermeister seinen Lehrlingen nach eigenen Angaben flache Hierarchien und fordert Eigenständigkeit: "Azubis dürfen, sollen und können Verantwortung mittragen."

Mit seinem erfolgreichen Konzept stellt Nico Scheller eher die Ausnahme als die Regel dar. Aktuell sind nach Angaben der Münchner Agentur für Arbeit noch 2794 Ausbildungsplätze in ihrem Zuständigkeitsbereich unbesetzt. Grund dafür sei die zunehmende Akademisierung. Immer mehr junge Leute verlassen die Schule mit dem Abitur. Laut einer Statistik des Demografie-Portals der Bundesregierung gab es 2020 erstmals mehr Studien- als Ausbildungsanfänger. Besonders an Gymnasien werde das Studium als bester Weg ins Berufsleben beworben, sagt Florian Reil von der IHK München und Oberbayern. Zu dieser Einschätzung kommt auch Tobias Kaufmann, der neben seiner Ausbildung als "Azubi-Scout" der IHK an Schulen geht, um dort von seiner Ausbildung zu erzählen: "Realschüler sind am ehesten interessiert an der Berufsausbildung, weil sie darauf getrimmt sind."

"Wir fordern von der Politik, dass die duale Berufsausbildung mehr wertgeschätzt wird", sagt Florian Reil. Laut ihm gilt es viele Baustellen zu bearbeiten. Vor allem die Berufsschulen müssten digitaler und personell sowie infrastrukturell besser aufgestellt werden. Der Bäckermeister Nico Scheller hingegen sieht die Verantwortung nicht nur in der Politik, sondern auch bei den Betrieben. Zu lange hätten diese ihre Azubis als billige Arbeitskraft betrachtet: "Wir sehen es nicht als selbstverständlich an, als Unternehmen Azubis zu bekommen."

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