Ottobrunn:Kunst, die berühren will und berührt werden darf

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Ja, man solle "unbedingt" über den Körper seiner Aphrodite streichen, sagt Wettbewerbssieger Benjamin Hauer. (Foto: Claus Schunk)

Die diesjährige Wettbewerbsausstellung des Kunstvereins zeigt nicht nur versierte Werke internationaler Meister, sondern überrascht mit Newcomern. Vielen Teilnehmern gemein ist, dass sie zu gesellschaftlichen Fragen aufrütteln wollen.

Von Angela Boschert, Ottobrunn

Wenn im Ottobrunner Rathaus alle zwei Jahre "Artiges" zu sehen ist, dann hat das nichts mit artig im Sinne von brav zu tun. Vielmehr stellt der örtliche Kunstverein die zu seinem Wettbewerb eingereichten Arbeiten aus. Die Werke der diesjährigen Finalisten aus insgesamt zehn Ländern zeigen hohen künstlerischen Anspruch und handwerkliche Qualität. Schon beim Betreten des Rathauses steht man vor dem Werk des aktuellen Preisträgers: der Skulptur "Aphrodite" von Benjamin Hauer, ein großer Torso aus Jura-Marmor, grazil und wenig aufdringlich gestaltet. Er fügt sich so harmonisch in die Architektur ein, als habe er schon immer dorthin gehört.

Die Schaumgeborene soll der Legende des Hesiodot zufolge vor etwa 2500 Jahren an der Westküste Zyperns aus dem Meer gestiegen sein. Und noch heute versuchen täglich Tausende Touristen, durch ein Bad in den dortigen Fluten Schönheit fürs ganze Leben zu erlangen oder nach dreimaligem Umschwimmen des Aphroditefelsens mit ewiger Liebe belohnt zu werden.

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Er habe schon als Student in der Glyptothek Stunden damit verbracht, antike Skulpturen abzuzeichnen, sagt der Bildhauer aus Breitbrunn am Chiemsee. Der menschliche Körper sei sein Thema. "Fassen Sie die Figur an, dann spüren Sie die Zartheit der Konturen und die Weichheit des Steins", fordert er auf. Ja, man solle "unbedingt" über den Körper seiner Aphrodite streichen und die Struktur des Juragesteins und Einschlüsse wie Muscheln ertasten. Bei seinem zweiten Werk, dem "Faltenwurftorso", erlebt man hingegen, wie samt-glatt ein optisch stark konturierter Kalkstein sein kann.

Um kleine Momente des Glücks, für die wir heute den Blick verloren hätten, geht es Lena Nikcevic. Nummer 20 ihrer Ölbilderserie "Auf der Suche nach dem Glück", an der sie seit Beginn der Corona-Pandemie arbeitet, zeigt farbige Blüten, die sich fröhlich dem ebenfalls farbig auf den braunen Bergrücken fallenden Regen entgegenstrecken. Zwei Menschen schauen oder schreiten im Hintergrund in die Ferne. Die vielschichtige Darstellung weckt Fragen und lässt innehalten. Das hat auch die Jury überzeugt, die Nikcevic dafür den zweiten Preis verlieh.

Mit ihrem "Glücksfisch" hat hat Amelie Paintner den dritten Preis gewonnen. (Foto: Claus Schunk)

Auch bei der Drittplatzierten Amelie Paintner aus Nürtingen geht es um dieses Thema. Ihr Werk "Glücksfisch" gehört zu einem Museumsführer für Kinder. Es sei ihre erste Buchillustration mit Text gewesen, erzählt die 22-Jährige. Bei ihr entfaltet sich mit Fineliner und Bleistift eine Spielwiese, die ganz nach dem Geschmack des niederländischen Künstlers M. C. Escher gewesen wäre. Man sieht in einem kugelförmigen Aquarium die schmucklose Küche einer Familie, der der Fang eines großen Dorsches ewiges Glück beim Fischen verspricht. Der Wechsel zwischen Erleben und Betrachten wird unmittelbar spürbar.

Die junge Künstlerin Antonia Richter aus Ottobrunn erhielt von der Jury einen Anerkennungspreis für ihr Acrylbild, das ein Hirschskelett zeigt, aus dessen Geweih Efeu herabfällt und das sie "Cold as Death" nennt. (Foto: Claus Schunk)

Die Darstellung "Cold as Death" fängt den Betrachter sofort ein. Die 17-jährige Antonia Richter aus Ottobrunn erhielt dafür eine "Anerkennung der Jury". Ihr Acrylbild eines Hirschskeletts, von dessen Geweih Efeu herabhängt, zeige, wie aus "vermutlich Totem wieder neues Leben sprieße", sagt die Künstlerin über ihr Werk. Die fünfköpfige Fachjury befand, ihr "konsequent umgesetztes Motiv belege ihre stringente Auseinandersetzung mit bildender Kunst". Den Applaus der rund hundert Besucher und ihren ersten Kunstpreis nahm Richter sichtlich überwältigt entgegen. Von ihr darf man noch einiges erwarten.

Im Ottobrunner Amtsgebäude sind sowohl junge Künstler zu entdecken als auch Altmeister wie der Architekt Peter Troje aus Haar oder die aus den Niederlanden stammende Christine Altona mit ihrem unaufdringlichen, an gesellschaftspolitischen Fragen orientierten Gobelin. Viele Künstler kommentieren auf teils erschreckende Weise die heutige Zeit, von Klimawandel und Hunger bis zum Tabuthema Tod. So zeigt das Tryptichon "Die Aufforstung" von Maren Okubo Kinder, die Setzlinge in schwarzen Boden pflanzen. Kein Lächeln, keine Freude, nur gesenkte Köpfe vor fahlem Grund zeigen, was die Stunde geschlagen hat. Die Ausstellung bietet großartige Kunst und viele Denkanstöße.

Nach der Corona-Zwangspause nutzen Künstler und Besucher die Gelegenheit zum Austausch

Die Besucher nutzten bei der Kunstpreisverleihung am Sonntagnachmittag die Gelegenheit, nach der Corona-Zwangspause miteinander und mit den Künstlern über Themen der Zeit und ihre Werke zu diskutieren. Dazu hatte sie die künstlerische Leiterin des Kunstvereins aufgefordert. Anna Arndt unterstrich leidenschaftlich, wie viel dieser Dialog den Künstlern bedeutet.

Noch bis 20. Oktober sind 55 der insgesamt 135 eingereichten Werke der Malerei, Textilkunst, Skulptur, Zeichnung sowie Steinobjekte im Rathaus Ottobrunn (Montag bis Freitag von 8 bis 12 Uhr, Donnerstag 14 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 16 Uhr, außer 6. bis 8. Oktober) und in der Galerie Treffpunkt Kunst in der Rathausgasse 5 (Samstag und Sonntag von 11 bis 16 Uhr) zu erleben.

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