Energiewende:Im Blindflug auf dem Weg zum Klimaschutz

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Damit die Politik einen besseren Überblick hat, könnten Photovoltaikanlagen auf Hausdächern in ein Projektregister einfließen, sobald sie errichtet werden. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Windkraft, Photovoltaik und Co. - die Datenlage im Landkreis München hinkt der Realität hinterher. Wegen der Defizite des im Landratsamt erstellten Treibhausgasberichts gibt der Kreistag die Aufgabe an die Energieagentur ab.

Von Bernhard Lohr, Landkreis München

Der aktuelle Treibhausgasbericht des Landkreises München attestiert Aschheim große Fortschritte: Um zwei Tonnen ist dort der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen pro Einwohner im Vergleich zum vorhergehenden Bericht gesunken. Doch wer nur etwas genauer hinschaut, kommt schnell zu der Frage, was die vermeintlich aktuelle Zahl von 15 Tonnen CO₂-Ausstoß pro Kopf überhaupt wert ist in einem Bereich, in dem Sondereffekte eine große Rolle spielen können und in dem sich die Verhältnisse rasant verändern. Der Bericht 2023 basiert nämlich auf Zahlen aus dem Jahr 2020. Vor drei Jahren aber trieb die Corona-Pandemie den Energieverbrauch nach unten. Auf der anderen Seite wurden seitdem zig Photovoltaikanlagen installiert, Wärmepumpen angeschafft und Nahwärmeleitungen verlegt. Der oberste KlimaschutzmManager im Landratsamt, Philipp Schramek, sagt zur Einordnung der Klimaschutzaktivitäten denn auch: "Wir fahren relativ blind."

Der erst im zweijährigen Turnus vorgestellte Treibhausgasbericht des Landkreises ist ein bedeutsames Werk, alleine der Umfang beeindruckt mit mehr als 100 Seiten Text und 64 Seiten Datenanhang. Es ist der Versuch einer großen Rundumschau: Initiativen werden vorgestellt wie etwa die Bürgerenergie-Genossenschaft Unterhaching oder auch die Neubiberger Klimaschützer von der Initiative "Klimaneutral 2035". Dazu kommt viel konkretes, mühsam erhobenes Zahlenmaterial: 186 Wärmepumpen gab es laut Bericht 2020 allein in Aschheim, dazu ein 30 Kilometer langes Wärmenetz. Der Gesamtenergieverbrauch im Landkreis München sank von 483 000 Megawattstunden auf 464 000. Das sind dann Vergleiche von 2018 zu 2020 - gezogen im Jahr 2023.

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Das Problem mit der mangelnden Aktualität des Treibhausgasberichts bereitet den Klimaschutzmanagern und den am Thema politisch Interessierten seit Jahren Kopfzerbrechen, erst recht seit sich die Entwicklung mit dem Einbau von Wärmepumpen oder der Ausbau der Windkraft beschleunigt. Was ist, wenn etwa die AFK-Geothermie-Gesellschaft eine neue Bohrung in die Tiefe treibt? Wann geht das in den Treibhausgasbericht ein? Deshalb wird in den Gremien des Kreistags darüber diskutiert, den Bericht als Momentaufnahme zu belassen und durch ein Projektregister zu ergänzen, in das aktuelle Daten einfließen.

So könnte jede neu installierte Photovoltaikanlage auf Hausdächern zeitnah in die Datenbank eingehen, Windkraftanlagen im Forst sowieso. Das Register würde abgeschlossene, im Aufbau befindliche und geplante Projekte abbilden, um feststellen zu können, ob sich der Landkreis mit seinen Klimaschutzaktivitäten noch auf dem "Zielerreichungspfad" befindet, wie es im Verwaltungsdeutsch heißt. Erstellen würde das Register ein externer Dienstleister in Zusammenarbeit mit den Rathäusern. Der Kreis, so der Plan, würde bis zu 150 000 Euro dafür bereitstellen, 2024 sollte die Datenbank als Controlling- und Planungstool zur Verfügung stehen.

Ein Projektregister könnte zu noch mehr Bürokratie führen

Doch auch wenn Landrat Christoph Göbel (CSU) für dieses "sinnvolle Werkzeug" wirbt, im Energieausschuss des Kreistags konnte er sich vorige Woche nicht durchsetzen. Es wurden Bedenken laut, ob die Mehrarbeit und die Mehrkosten nicht vor allem ein mehr an Bürokratie bringen. Stefan Kern (CSU) warnte vor Mehrbelastung in den Verwaltungen, FDP und Freie Wähler pflichteten bei. Auch ÖDP-Kreisrätin Jolanta Wrobel stellte infrage, ob die Bürgermeister weitere Meldepflichten mit Jubel aufnehmen würden. Natascha Kohnen (SPD) sprach von "merklichen Zweifeln" in Reihen der SPD.

Eine Entscheidung wurde vertagt. Dafür stieß auf breite Akzeptanz, die Erstellung des Treibhausgasberichts federführend an die Energieagentur Ebersberg-München zu übertragen. Die von Mitarbeitern im Landratsamt initiierte Aktion "Zukunft+", bei der Bürger, Unternehmen und auch Behörden wie das Landratsamt selbst und die Rathäuser Klimaschutzzertifikate erwerben können, um Klimaschutzprojekte auch im lokalen Umfeld zu finanzieren, übernimmt künftig ebenfalls die Energieagentur. Und die kümmert sich fortan auch um die Förderlotsen, die Bürger durch das Dickicht der Zuschussvergaben bei Klimaschutzfragen führen.

Zudem gibt der Landkreis im Bereich Klimaschutz sogar einige Aktivitäten auf, von denen man sich nicht mehr große Effekte erwartet. Auf diese Weise soll Personal frei werden, um etwa Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen zu beschleunigen. So will man "Fair Trade"-Aktivitäten personell weniger unterstützen, ohne die Zertifizierung als Fair-Trade-Landkreis aufzugeben. Auch vom Zukunftspreis will man sich verabschieden, zumindest in der bisherigen Form. Das Konzept sei überholt, sagte Landrat Göbel im Ausschuss. Der Ältestenrat des Kreistags soll klären, wie ehrenamtliches Engagement im Klima- und Naturschutz weiter zu würdigen ist.

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