Handwerk:Wenn die Altmeister aussterben

Lesezeit: 7 min

Schuhmachermeister Norbert Strama hat seine Werkstatt in Neubiberg mehr als 30 Jahre lang betrieben, mit zwischenzeitlich bis zu 18 Angestellten. (Foto: Claus Schunk)

Die Arbeitswelt in der Boomregion München verändert sich nachhaltig - Start-ups und Cluster kommen, eingesessene Betriebe verschwinden. Viele Besitzer finden keine Nachfolger, doch manche wagen Neues.

Von Angela Boschert, Bernhard Lohr und Kaja Weber , Landkreis München

Campus hier, Cluster dort: Manche reden schon vom Isar-Valley und scheuen nicht den Vergleich mit Kalifornien, wenn es gilt, die Innovationskraft der boomenden Region um München zu beschreiben. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn wo Neues entsteht, geht auch Altes, Bewährtes und Liebgewonnenes verloren. Sei es der letzte Schmied von Aying, der seinen Hammer zur Seite legt, sei es der alt eingesessene Metzger in Garching. Handwerker geben ihren Betrieb auf, Geschäfte schließen - andere passen sich an oder wagen mit neuen Ideen den Neuanfang. Die SZ sprach mit Handwerkern und Geschäftsleuten, deren Geschichte von Abschied oder von Schicksalen in einer Region erzählt, die sich verändert wie nie zuvor.

Der Bäcker

Ohne ein Teigbällchen und ein Stück Kuchen kommt man als Gast bei den Hornburgers in Aschheim nicht davon - selbst, wenn man kein Kunde ist. Seit knapp 70 Jahren gibt es ihre Bäckerei, seit 34 Jahren führen Hans und Inge Hornburger den Familienbetrieb in zweiter Generation - er backt, sie verkauft. Das Ehepaar hat den damaligen "Tante-Emma-Laden" in ein "reines Bäckereifachgeschäft" umstrukturiert, wie sie sagen. Es klingelt jedes Mal, wenn sich die Tür mit dem brezelförmigen Griff öffnet - und das passiert oft. Hier gehen viele Menschen ein und aus. Die Inneneinrichtung in dem schmalen Verkaufsraum ist seit 1948 weitestgehend unverändert geblieben. Zum 31. Dezember dieses Jahres nun schließen sie ihr Geschäft. Aus "Altersgründen", wie der 70-jährige Hans Hornburger sagt, "ich denke, es ist Zeit aufzuhören, den Ruhestand zu genießen". "Wohlverdient", wirft Inge Hornburger ein. Die Hornburgers haben zwei Söhne und zwei Enkel, aber keiner wollte das Handwerk weiterführen. Die Geschäftsräume mit Verkaufsbereich an der Erdinger Landstraße in Dornach werden nun an einen Bäcker mit mehreren Filialen verpachtet, der den Standort als Café ausbauen möchte. Und weiter auf handwerklicher Basis backen, das war ihnen ein Anliegen.

Nachfolgersuche
:Diese Handwerksbetriebe im Landkreis schließen

Sie haben das Ortsbild ihrer Gemeinden lange mitgeprägt. Doch die Suche nach einem Nachfolger blieb bei vielen Betrieben ohne Erfolg.

Der Buchhändler

Arnold Thünker, 59, ist in seinem Element. Er steht vor seinem Laden an der Alleestraße, die Sonne scheint ihm ins Gesicht, und immer wieder unterbricht er das Gespräch, weil er jemandem kurz ein "Guten Morgen" oder ein "Hallo" zuruft. Thünker führt die Buchhandlung Greindl in Unterschleißheim, die vor knapp einem Jahr aus dem siechen, von Leerstand und Tristesse gezeichneten IAZ-Einkaufszentrum am Rathausplatz rausgegangen ist. Die eigenen Ladenräume wurden an den Investor verkauft und Thünker ging in Miete in den neuen Laden, dessen buntes Umfeld er schätzt. Nebenan ein italienisches Restaurant, auf der anderen Seite ein Radlgeschäft - und die Bezirksstraße nicht weit. Thünker hat Licht und Schatten kennen gelernt. Vom großen Wert einer lebendigen, bunten Einzelhandelsstruktur für die Lebensqualität in einer Stadt ist er zutiefst überzeugt. Der Rathausplatz: "Das ist tiefste Depression", sagt er. Und er befürchtet, wenn der Investor jetzt dann seine Pläne dort umsetzt, dass nur Filialen von bekannten Ketten aufmachen werden. Vielfalt geht verloren. Genau die liebt er an der Alleestraße. Bei seinem neuen Standort spricht er beiläufig liebevoll sogar von einem "Kiez", trotz mancher Probleme auch dort, weil an der Bezirksstraße nach seinem Geschmack schon zu viel Stromlienienförmigkeit herrscht. Inhabergeführte Läden seien unerlässlich, sagt Thünker, der am liebsten seine Buchhandlung in ein Kulturkaufhaus weiterentwickeln würde. Die Politik kümmere sich zu wenig um die Kleinen. Er fordert Visionen und Konzepte: "Man muss Ideen entwickeln, wie sieht es hier in 20 Jahren aus."

Der Metzger

Christian Eberl steht für die Zukunft des Metzgerhandwerks im Landkreis. Der 37-jährige Chef der gleichnamigen Metzgerei in Höhenkirchen hat vor neun Jahren den Betrieb seiner Eltern übernommen. Und er ist mit Leidenschaft dabei. Er schlachtet nicht selbst, aber was bei ihm an Wurst und Fleischwaren in der Auslage liegt, stammt zu 99 Prozent aus seiner Produktion. Leicht ist das Geschäft für kleine, eingesessene Betriebe wie etwa den von Eberl freilich nicht. Fleisch und Wurst gibt es beim Bioladen wie beim Discounter genauso. Und dann sind da noch die Ketten mit vielen Filialen. "Es läuft alles über die Masse", beklagt Eberl. Die Verbraucher wollten kaum etwas für Lebensmittel bezahlen. Der Staat schröpfe die Handwerker mit hohen Steuern und Abgaben und die Löhne seien viel zu niedrig. Als das "größte Manko" bezeichnet der Metzgermeister den Mangel an Fachkräften und erzählt von einem Kollegen, der wegen fehlender Mitarbeiter daran scheiterte, in Bad Tölz eine Filiale zu eröffnen. Eberl selbst sieht sich mit seinem Laden in Höhenkirchen, auch ohne Filialen, gut aufgestellt. Wer als Kleiner überleben wolle, sagt er, der müsse sich etwas einfallen lassen. Manche gingen stärker ins Catering, böten Imbiss und Mittagessen an. Andere Metzger entwickelten sich in Richtung Feinkost, auch mit Käse- und Fischangebot. Eine große Hürde für Alteingessene ist dann irgendwann die Nachfolgeregelung. Der gut gehende Metzger Stadler in Garching musste schließen, weil kein Nachfolger da war und auch sonst keiner den Laden weiterführen wollte. Bei der Metzgerei Eberl ist das noch lange kein Thema. Wer weiß, ob nicht eins der drei Kinder später ins Geschäft einsteigen will?

Die Floristin

Wenn dieser Tage bei Gertrud Eberle, 65, die Kunden im Laden stehen und auf einen Strauß warten, drehen sich die Gespräche immer wieder um das eine Thema: Die alteingesessene Blumenhändlerin schließt nach 26 Jahren ihren Laden am Bürgerplatz in Garching. Für sie geht ein Lebensabschnitt zu Ende und für die vielen treuen Stammkunden endet eine Ära. "Es hat sich viel verändert", sagt Eberle. Heute gibt es Blumen an jeder Ecke, beim Discounter für ein paar Euro, im Supermarkt und im Baumarkt sowieso. Die Laufkundschaft sei eher weniger geworden in all den Jahren, sagt die passionierte Floristin. Doch viele Kunden seien zu Stammkunden geworden. Das helfe ihr bis heute, den Laden erfolgreich zu führen, erzählt sie. Und zwischen den Zeilen hört man auch heraus, dass in ihrem Geschäft nicht nur Waren anonym über den Tresen gereicht werden. Eberle kennt die Lieblingsfarben, die ihre Kunden im Strauß gebunden haben wollen. Kunden holen Blumen zur Taufe des Enkels, zur Hochzeit der Bekannten und zum 70. Geburtstag des Großvaters. Man lebt zusammen, lernt sich kennen und unterhält sich übers Leben. Eberles Blumen-Atelier ist ein sozialer Treffpunkt. Sie gehe schlicht in Rente, sagt Eberle, ohne Verbitterung, einen Nachfolger habe sie nicht für ihr Geschäft. Derzeit machten viele Läden in Garching zu, sagt Eberle, weil alle zur gleichen Zeit damals aufgemacht hätten. Ein Generationenwechsel, erklärt sie.

Der Schuster

Der Orthopädie-Schuhmachermeister Norbert Strama aus Neubiberg hat mehr als 30 Jahre lang eine Werkstatt in Neubiberg betrieben. Einheimische und ausländische Kunden schwören auf ihn. Er stellte maßgefertigte Schuhe und Einlegesohlen her, für Kunden im Laden ebenso, wie für Verletzte, die sozusagen gerade aus dem Operationssaal kamen. Zu ihnen fuhr er in die Klinik und vermaß ihre Füße dort, damit ihre Schuhe vor dem Bett standen, sobald sie sich wieder auf die eigenen Füße stellen durften. "Ich bin auf meine Kundschaft eingegangen und habe am besten gearbeitet", beschreibt er die Gründe für seinen Erfolg. Noch immer erreichen den Neubiberger Bestellungen aus Amerika, ganz Europa und Saudi-Arabien.

Jede Bestellung wurde und wird zuverlässig ausgeführt - so hat es Strama, der schon immer Schuster werden wollte, von der Pike auf gelernt. 1972 siedelte er nach Deutschland um und machte hier im Jahr 1979 den Meisterbrief. Im Oktober 1985 eröffnete er seine Werkstatt mit Laden an der Neubiberger Hauptstraße. Bis zu 18 Angestellte arbeiteten dort. Der liebevoll "Schuster-Batzi" genannte Strama wurde vereidigter Sachverständiger, war stellvertretender Innungsobermeister und engagiert sich zudem in der Freiwilligen Feuerwehr und seit 2010 für die Freien Wähler im Gemeinderat Neubiberg. Der Laden lief, doch Strama suchte schon aus Altersgründen nach einem Nachfolger. Plötzlich wurde seine Frau Resi von heute auf morgen in den Rollstuhl gezwungen. "Sie war die Chefin im Laden", erzählt er in liebevollem Ton. Wer sie kennt, weiß: Resi stand an der Kasse, vermaß die Füße der Patienten, kümmerte sich um Kundenanfragen, Büroarbeiten, die Buchhaltung oder die Abrechnung mit den Krankenkassen.

"Bis die Handwerker wieder lernen, dass Handwerk goldenen Boden hat, sind die Altmeister tot"

Trotz dreijähriger Suche, fand sich kein Nachfolger. "Wer den Meisterbrief hat, macht sich nicht mehr selbständig", meint Strama. Die formalen Anforderungen sind zu hoch und oft nicht zu verstehen. "Trotz Kassenzulassung, muss ich für jedes Paar Einlegesohlen einen Kostenvoranschlag machen und brauche insgesamt fünf bis sechs Formulare. Warum? Auch muss ich im Laden eine behindertengerechte Toilette haben. Neben der im Haus für Weiterbildung ist das vermutlich die Einzige in Neubiberg. Was entscheide ich als Selbständiger überhaupt noch selbst?", fragt er sich.

Das Schuhmacherhandwerk änderte sich. Ein guter Schuh hält ein Leben lang und lässt sich reparieren. Das Obermaterial ist aus Leder, die Lederbrandsohle ist an die Laufsohle aus gutem Gummi angenäht. Nichts wird geklebt, wie heute, wenn die Qualität und Kraft des Klebers über die Haltbarkeit des Schuhs entscheidet und Sohlen aus PVC sind. "Aus einer PVC-Sohle kann man etwa 5000 Plastiktüten herstellen, aber reparieren lässt sie sich nur ungenügend", sagt Strama. Doch nicht nur Materialien, Herstellungsprozess und die Arbeitsweise haben sich geändert. "Wo ist das ganze geschulte Personal?", fragt Strama und ergänzt, es gebe kaum noch Auszubildende, weil ein Master mehr zähle als ein Meisterbrief. "Bis die Handwerker wieder lernen, dass Handwerk goldenen Boden hat, sind die Altmeister tot", sieht er seinen geliebten Beruf zugrunde gehen.

Der Autohändler

Als Stefan Baudisch Ende August in einer Betriebsversammlung verkündet, dass er das von ihm in zweiter Generation geführte Autohaus in Garching schließt, ist das ein Paukenschlag. Sein Vater Erich hatte den VW- und Audi-Händler seit 1963 aufgebaut und den Familienbetrieb 1996 an seinen Sohn übergeben, der ihn in der Folge erweiterte. Doch nun stellt Baudisch zum 30. November die Geschäftstätigkeit ein, weil er in eigentlich guten Zeiten keine Perspektive mehr sieht. Die Entscheidung begründet er vor seinen Mitarbeitern mit dem seit Jahren steigenden wirtschaftlichen Druck von Seiten des Marktes und der Hersteller. Letztendlich aber führt er das "schier unüberbrückbare" Problem an, dass keine neuen Mitarbeiter für die Werkstatt gefunden werden können. Der Fachkräftemangel in der Region hat dem Betrieb demnach also den Garaus gemacht. "Der Arbeitsmarkt ist leergefegt", sagt Baudisch. Weiter will er sich im Moment nicht zu der geordneten Liquidation des Betriebs, die nicht mit einer Insolvenz zu verwechseln ist, äußern. Erst wolle er das Geschäft abwickeln, lässt Baudisch ausrichten, der ansonsten vor allem betont, dass man sich um neue Jobs für die Mitarbeiter kümmern will. Die Aussichten stünden für gut ausgebildete Fachkräfte in der Region München ja gut.

© SZ vom 02.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: