Haarer Fastenpredigt:Lob für die frühere "Gwandlaus"

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Beim virtuellen Starkbierfest im Kleinen Theater stärkt Bruder Jürgen Bürgermeister Bukowski den Rücken. Ansonsten geht der Krüglredner mit der Politik hart ins Gericht.

Von Bernhard Lohr, Haar

"Halleluja Andreas", ruft Klosterbruder Jürgen. Der vorgebliche Kirchenmann wirkt beeindruckt. Denn Andreas Bukowski, der vor einem Jahr ohne Amt und Würden war, sitzt nun in Trachtenoutfit als Bürgermeister vor ihm im fast leeren Saal des Kleinen Theaters in Haar. Kurz vor dem ersten Lockdown und der Kommunalwahl im März 2020 hatte Jürgen Kirner alias Bruder Jürgen dem CSU-Herausforderer und Wahlkämpfer noch attestiert, der SPD-Bürgermeisterin wie eine "Gwandlaus" im Nacken zu sitzen. Und jetzt bildet Rathauschef Bukowski mit Bezirkstagspräsident Josef Mederer, Klinikchef Martin Spuckti und Markus Schleu von der Ayinger Brauerei das Publikum bei dieser sonderbaren Premiere: ein Starkbierfest online, ohne Live-Publikum.

Phasenweise erinnert die Veranstaltung an ein gestreamtes Fußballspiel im leeren Stadion. Man hört alles: den beiläufigen Satz nach dem Anzapfen, dass das Bier nun echt gut schmecke. Das Räuspern und Stühlerücken. Und wenn die vier, fünf auf Abstand im Saal sitzenden Gäste applaudieren, klingt das so wie beim Trainerstab, der vom Spielfeldrand Stimmung zu machen versucht.

Die Technik funktioniert problemlos

Doch es funktioniert wie bei einem guten Kick: Die Technik läuft, die Regie des im Livestream bei vielen Kulturveranstaltungen erprobten Teams rückt die Akteure profimäßig ins Bild, fast so als wäre man bei ARD oder ZDF. Und die Hauptdarsteller zeigen sich in Form. Andreas Bukowski zapft weitgehend unfallfrei sein erstes Fass als Bürgermeister an, bevor er vor einem üppig bestückten Brotzeitbrett sitzend die Pointen über sich ergehen lässt, die BR-Moderator Kirner wie sonst im Fernsehen bei den "Brettlspitzn" platziert.

Dem neuen Bürgermeister im "Outback des Münchner Ostens" stärkt Bruder Jürgen den Rücken, der unterlegenen Gabriele Müller ruft er zu: "Gräme dich nicht!" Ein Spaß sei es nicht, im klammen Haar in Corona-Zeiten Verantwortung zu tragen. Er rät Bukowski, der schon manche Turbulenz erlebt hat, "a bisserl Dominanz an den Tag zu legen". Er solle sich eine "gehörige Portion Mobbingresistenz" zulegen. Er sei geschickt, attestiert er dem Bürgermeister. "Grün ist das Schwarz von Morgen", verkündet Fastenprediger Jürgen mit dem Masskrug neben sich von der Kanzel herab. Das habe er wie der Ministerpräsident erkannt. Wobei Söder rot werden müsste, so wie er als Schwarzer sich heute in grünes Gewand kleide.

Wo bleibt das Politiker-Diplom?

Den Ansprüchen von Bruder Jürgen werden nur wenige Politiker gerecht. Es gebe leider kein Politiker-Diplom, nicht bei der Hanns-Seidel-Stiftung, nirgendwo. Was treiben die nicht alles: der Kultusminister Piazolo von den Freien Wählern, der von moderner Technik überfordert, die Schüler im Lockdown ins "geistige Nirwana" führt; der Bundestagsabgeordnete Florian Hahn aus Putzbrunn, der als stellvertretender Generalsekretär der CSU den Diener gibt: "Das geht ganz schön ins Kreuz, das Buckeln", sagt Bruder Jürgen. Über die Politiker der AfD sagt er dagegen nicht viel. Ein "Herr, vergib ihnen" könne man sich sparen. "Denn sie wissen, was sie tun."

Bruder Jürgen wird zwischendurch auch sehr ernst und ruft dazu auf, die AfD bei der Bundestagswahl aus dem Parlament zu entfernen. Politiker sieht er in großer Verantwortung und er legt moralisch die Latte hoch: Die wegen Masken-Deals in die Schlagzeilen geratenen Bundestagsabgeordneten Nüßlein und Löbel bezeichnet er als üble "Kriegsgewinnler" der Corona-Krise. Politiker sollten gute Arbeit machen statt schlechte Show. "Bezahlt die Schauspieler besser, dann gehen weniger in die Politik", sagt er - und bricht so auch eine Lanze für die Kultur.

"Die politischen Kronjuwelen" im Münchner Osten und deren Verfehlungen und Eitelkeiten" betrachtet Bruder Jürgen mit Augenzwinkern. Wobei: Die Chuzpe des Grünwalder Bürgermeisters, der sich monatlich Fahrtgeld für 1000 Kilometer ausbezahlen lässt, ist auch für ihn schwer zu verkraften. "Ich weiß gar nicht, wo der wohnt?" Der Haarer Zweite Bürgermeister Ulrich Leiner (Grüne) wird kurz zu Hause vor seinem Bücherschrank sitzend eingeblendet, als er für seinen Kampf um eine Trambahn bis Haar und an die Autobahn aufs Korn genommen wird. Erst den Autofahrern das Autofahren verleiden, und dann das Autofahren abschaffen - das sei die Strategie.

Am Ende gibt es Samba-Klänge

Die One-Man-Show der FDP von Peter Siemsen findet Würdigung, die SPD in Bayern und Haar hätten weniger Prozente als ein Eierlikör - "und der hat Eier". Dass der alte SPDler Peter Paul Gantzer als Neuer im Gemeinderat gleich die unbequemen Sitzmöbel beklagte, habe ihn als "verwöhntes Landtags-Popotscherl" ausgewiesen. Den Streit um Bukowskis werbewirksamen Kauf eines Elektroautos, in dessen Folge Gantzer dem Bürgermeister Vorwürfe machte, die dieser mit einer Strafanzeige konterte, vertieft Bruder Jürgen nicht. Bukowski, der manchmal eingeblendet wird, wirkt insgesamt nicht unglücklich über seine Rolle und greift immer wieder zu seiner Mass.

Die Band "Bavaschôro" mit Mitgliedern der Unterbiberger Hofmusik bringt im zweiten Teil des Abends Rio de Janeiro ins Wohnzimmer. Da geht es bunt zu, mit Samba und bayerischen Texten, und auch ein Lied "zum Kuscheln" ist bei dieser Starkbiergaudi dabei, wie Xaver Maria Himpsl zum Publikum sagt. "Ihr seid ja zu Hause."

© SZ vom 13.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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