Haar:"Manchmal werden wir 14 Stunden beschallt"

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Die Idee zur Freiluftbühne ist Intendant Matthias Riedel-Rüppel während der Corona-Pandemie gekommen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Der Ärger über Open-Air-Veranstaltungen des Kleinen Theaters wird immer größer: Anwohner fühlen sich von Intendant Riedel-Rüppel und Bürgermeister Bukowski zu Unrecht als Meckerer hingestellt, die den Kulturbetrieb generell ablehnten. Im Rathaus bemüht man sich nun zu vermitteln.

Von Bernhard Lohr, Haar

Die Bewohner der Hausnummer 15 wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Es klingelt, dann steht jemand von einem lokalen Fernsehsender vor der Tür, das Mikro in der Hand. Die Kamera läuft und es kommt die Frage: "Wollen Sie, dass das Kleine Theater wegkommt?"

Daniel Schaarschmidt hat diese Szene am Dienstag nach eigener Darstellung genau so erlebt. Er fühlt sich in eine völlig falsche Ecke gestellt. Mit anderen Nachbarn schreibt er seit Wochen E-Mails an das Rathaus der Gemeinde Haar, weil alle Bewohner des sogenannten Jugendstilparks unter den Open-Air-Veranstaltungen des Theaters leiden, die zum Teil nur 40 Meter von ihren Wohnungen entfernt stattfinden. Keiner sei gegen das Theater, sagt Schaarschmidt.

Und ebenso äußern sich die anderen elf Nachbarn, die sich wenige Stunden nach der Geschichte mit dem Kamerateam auf der Terrasse der Apfelwiese 15 treffen. Sie schildern alle ihre Leidensgeschichten und legen Dokumente über massive Lärmüberschreitungen vor. Und sie berichten von ihrer Enttäuschung darüber, dass das Rathaus sie ignoriere.

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So wie sie es am Dienstagabend auch erleben. Kurz nach dem unangekündigten Besuch der TV-Reporter kommt den Schilderungen der Nachbarn zufolge Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) mit Intendant Matthias Riedel-Rüppel aus dem Theater und stellt sich nur wenige Meter entfernt Interviewfragen. Auf die Anwohner gehe er nicht zu, berichten diese. Dabei wäre es die Gelegenheit gewesen, endlich ins Gespräch zu kommen, sagen sie. Haars Bürgermeister bestätigt auf Anfrage den Ablauf. Der Sender habe im Rathaus um ein Interview gebeten, genau dazu sei er zum Kleinen Theater gekommen. Die Gespräche mit den Anliegern führe Theaterchef Matthias Riedel-Rüppel seit langem. Dieser suche den Austausch und gehe empathisch auf die Leute zu.

Das Wohnhaus mit der Adresse Apfelwiese 15 liegt nur wenige Meter vom Theater und vom Open-Air-Gelände entfernt. Bei einem Besuch im Jugendstilpark äußern sich zwölf Anwohner zu den aus ihrer Sicht unhaltbaren Zuständen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Diese erleben allerdings seit einer Woche, dass der Konflikt, der bisher über E-Mails und das eine oder andere persönliche Gespräche gelaufen ist, hohe Wellen schlägt. Seit Bürgermeister Bukowski die Angelegenheit mit einem Statement öffentlich gemacht hat, ist der Tenor, dass sich da Leute beklagen, die doch gewusst hätten, wo sie hinziehen. Das Theater sei lange vor ihnen dagewesen. Einen regelrechten Sturm der Entrüstung gab es im Netz, als Riedel-Rüppel dort postete, dass ein Nachbar den Standort des Theaters infrage gestellt habe. Einer spricht im Chat von "geborenen Querulanten".

Doch sind sie das wirklich? Oder haben da nicht einfach Nachbarn ein berechtigtes Interesse auf Ruhe, irgendwann in der Nacht.

Ein Besuch am Kleinen Theater zeigt, dass sich dort im Vergleich zu früher einiges verändert hat. Es gibt auf einer vor einigen Jahren noch freien Wiese, die fast an die neuen Wohnblocks mit den Hausnummern 15 und 17 angrenzt, mittlerweile eine - auch so auf einem Plakat benannte - Fläche für das "KT-Sommer-Open Air". auf dieser steht eine Bühne mit Lautsprecheranlage, Biertische sind platziert und vier Buden, an denen es Speisen und Getränke gibt. Halterungen für Absperrbänder stehen herum. Der eigentliche Biergarten, auf der anderen Seite des Theaters, heißt es von den Nachbarn, werde praktisch nicht mehr genutzt.

In der Open-Air-Area sei in manchen Wochen fast täglich Programm. "Manchmal werden wir 14 Stunden beschallt", sagt Nicole Brückner, die über Daniel Schaarschmidt im ersten Stock wohnt. Es beginne mit den Proben am Nachmittag. Ein anderer Nachbar berichtet von lärmenden Arbeitern, die spät in der Nacht Bierbänke und Bühnenaufbauten scheppernd auf Lkw verladen. Er zückt sein Handy und spielt eine Tonaufnahme ab, die das dokumentiert.

Die umstrittene Veranstaltungsfläche am Kleinen Theater. (Foto: Sebastian Gabriel)

Einige Nachbarn haben Lärmprotokolle geführt. Eine Frau dokumentierte bereits im Sommer 2022 innerhalb von zwölf Wochen 29 Veranstaltungen, die sie nach eigenen Worten als deutlich belastend empfunden hat. Einige Anwohner kommen mit Messgeräten auf Belastungen von 75 Dezibel in ihrer Wohnung, bei geschlossenem Fenster, was in etwa dem Geräusch eines alten Staubsaugers entspricht. Michael Zeitz sagt, es sei "psychischer Stress", der schon nach der Arbeit beginne, wenn er überlege, was ihn zuhause erwarten werde. "In einer Sommernacht hat man manchmal gerne das Fenster offen." Aber das sei undenkbar. "Der Puls geht hoch, der bleibt hoch." Daniel Reddig wohnt einige Hundert Meter weiter entfernt, bekommt aber nach seiner Darstellung wegen der Schallreflexion durch das große, zentral gelegene ehemalige Klinikgebäude im Jugendstilpark einiges an Lärm ab.

Seit der Pandemie wurde das Freiluftgelände eher ausgebaut

Los ging alles in der Corona-Pandemie, als das Kleine Theater die Open-Air-Fläche eröffnete. Damals, im Sommer 2020, sagt Carmen Gnann, habe man sich schon beklagt und sei davon ausgegangen, das werde sich nach Corona wieder geben. Doch dann ging es weiter und dieses Jahr stellen die Bewohner fest, dass das Freiluftgelände eher ausgebaut wurde. Die Buden vermittelten schon nicht mehr den Eindruck, dass es sich um eine vorübergehende Installation handle.

Ist das überhaupt genehmigt? Die Gemeinde erklärt auf Anfrage, die Wiese der Gemeinde sei "dem Theater wie in den vergangenen Sommern als Veranstaltungsfläche zur Verfügung gestellt worden". Zur rechtlichen Grundlage erklärt das Rathaus, man solle sich an das Theater wenden. Theaterleiter Matthias Riedel-Rüppel sagt: "Ja, klar ist das genehmigt. Es läuft über die Gemeinde."

Im Sommer 2020 ging es los mit dem Open-Air-Programm. (Foto: Claus Schunk)

Derweil scheint nach der jüngsten Aufregung der Wille zu wachsen, aufeinander zuzugehen. Die Gemeinde beteuert, sie plane Ende August einen runden Tisch mit den Anliegern, die sich ans Rathaus gewandt hätten. Der Gemeinderat verabschiedete am Dienstagabend einstimmig eine Solidaritätsadresse an das Theater, in der es aber auch heißt, man werde stets darauf achten, "dass die Belastungen für die Anwohnerinnen und Anwohner durch die Besucher gering gehalten werden". Intendant Matthias Riedel-Rüppel sagt, er habe außer dem fest eingeführten Feierabend am Mittwoch keine Außenveranstaltung für 2024 gebucht. Viele Veranstaltungen würden längst schon nach innen verlegt. Er sei nicht nur Intendant, sondern auch Mensch. Er wolle keinen Streit und strebe ein gutes Auskommen mit den Nachbarn an.

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