Antisemitismus:"Die Erinnerungskultur hat nicht gefruchtet"

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Aufwühlendes Thema, hochkarätige Expertenrunde: Florian Gassner (zugeschaltet), Ludwig Spaenle, Terry Swartzberg und C. Bernd Sucher (v.l.) sprechen am Gymnasium Ismaning über Judenhass, ganz rechts Moderator Jeremias Alonso. (Foto: Florian Peljak)

Eine Expertenrunde diskutiert am Ismaninger Gymnasium über jüdisches Leben und rechten Hass in Deutschland. In einem sind sich die Teilnehmer einig: Es braucht mehr Begegnungen zwischen Juden und Nicht-Juden.

Von Celine Imensek, Ismaning

Bayerns Antisemitismus-Beauftragter, ein jüdischer Autor und Journalist, der Leiter der Initiative Stolpersteine München und ein Antisemitismus-Forscher treffen am Gymnasium Ismaning auf einer Bühne aufeinander. Wie vielseitig kann diese Podiumsdiskussion über Judenhass und rechte Hetze schon werden? Wie sich zeigt: sehr.

Vor allem die beiden anwesenden Juden, der ehemalige SZ-Theaterkritiker C. Bernd Sucher und Terry Swartzberg von der Stolperstein-Initiative, erzählen von sehr unterschiedlichen Erlebnissen mit dem Jüdisch-Sein. Dazu veranschaulicht Ludwig Spaenle hitzig und deutlich, welche Begegnungen er als Beauftragter der Staatsregierung macht. Die Perspektive von Florian Gassner, der von der British Columbia University in Vancouver per Video zugeschaltet ist, ergänzt das Gespräch vor etwa 350 Schülern, Lehrern und vereinzelten Eltern am Mittwochvormittag.

Für den Moderator sticht ebenfalls die Vielseitigkeit der Unterhaltung hervor: "Es war gut, auf der persönlichen Ebene vom Judentum in Deutschland zu hören. Dabei hat man gemerkt: Es ist nicht alles nur schwarz und weiß", sagt der Gymnasiast Jeremias Alonso. Er hat mit sechs Mitschülern unter der Leitung von Geschichtslehrerin Elisabeth Nowak die Veranstaltung im Rahmen eines Projektseminars organisiert.

So ist es Swartzberg wichtig, die positiven Seiten des jüdischen Lebens hervorzuheben: "Ich trage seit elfeinhalb Jahren meine Kippa. Es war ein Experiment, ob ich als Jude in Deutschland sicher bin. Die Antwort ist, ja!" Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat der gebürtige US-Amerikaner nach eigenen Worten sogar so viel Unterstützung und Anteilnahme von Nicht-Juden erfahren wie nie. Suchers Erfahrungen sind diametral: "Mich hat kein Nicht-Jude angerufen, um zu fragen, wie es mir geht." Der Einzige, der auf ihn zugegangen sei, ist ein katholischer Pfarrer gewesen. Der habe ihm auch sein Gästezimmer angeboten, sollte er sich nicht mehr sicher fühlen. "Ich habe keine Angst. Aber wenn ich Vorträge nur mit Polizeischutz halten kann, dann sollte ich eigentlich Angst haben", sagt der Autor und Theaterkritiker.

Spaenle spricht angesichts der Eskalation in Gaza von einer dramatischen Täter-Opfer-Umkehr. Den Überfall auf Kibbuzim in Israel beschreibt er als eine "unsagbare Explosion von Terror", doch seitdem beobachte er eine "Zusammenrottung derer, die Juden hassen" und meint damit Antisemitismus sowohl von rechts wie von links als auch muslimischen. Antisemitische Mails würden mittlerweile viel häufiger mit Klarnamen versendet. "Die offene Frechheit hat massiv zugenommen", so der ehemalige bayerische Kultusminister. Judenhass sei aber immer schon da gewesen.

Manche Juden in Deutschland hätten eine Wohnung in Tel Aviv - zur Sicherheit

In puncto Gedenkkultur sind sich die Teilnehmer einig: Eine Erinnerungskultur sei wichtig, an einer intensiven Begegnungskultur mangele es jedoch. Aber auch hier stellt Swartzberg seine Erfahrungen heraus: "Das jüdische Leben in Deutschland floriert und gedeiht bereits und viele Juden sehen Deutschland als sicheren Hafen." Sucher ist diese Einschätzung zu positiv; er erzählt von jüdischen Bekannten in Deutschland, die zur Sicherheit eine Wohnung in Tel Aviv hätten. Auch er plane, eine zu kaufen. "Wir sehen, dass die Erinnerungskultur nicht so gefruchtet hat. Deshalb ist es am besten, wenn sich Juden und Nicht-Juden so oft wie möglich treffen", sagt Sucher. Er würde am liebsten eine "Rent a Jew"-Firma gründen, um das Verständnis für die jüdische Kultur zu stärken.

Für den aus Vancouver zugeschalteten Dozenten Gassner ist ebenfalls das Zusammenkommen verschiedener Personengruppen wichtig: "In Deutschland beschäftigen wir uns immer mit dem Krieg, der Vernichtung und der Schuld", so der Kulturforscher. "In der Gesellschaft muss man aber kollektiv Lust auf Begegnungen mit jüdischem Leben machen."

Abschließend geht die Runde auf den Umgang mit antisemitischen Vorfällen ein. Der Schulleiter des Gymnasiums, Markus Martini, erzählt dazu von vereinzelten Vorkommnissen wie auf Schultischen aufgemalten Hakenkreuzen. Sucher und Swartzberg plädieren in solchen Fällen für Aufklärung. Auch Ludwig Spaenle rät: "Das Allerwichtigste ist, nicht darüber hinwegzuschauen und solche Sachen direkt anzusprechen. Das reicht in vielen Fällen schon, um jemanden zum Nachdenken zu bringen." Oft würden antisemitische Aussagen einfach nur wiederholt. In neun von zehn Fällen entsprängen diskriminierende Kommentare blanker Dummheit oder Unwissenheit.

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