Steueroase am Rande Münchens:"Letztlich lebt Grünwald auf Kosten der Stadt"

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"Dass das eigentlich nicht die Art des Wirtschaftens sein kann, das leuchtet doch jedem ein.": die Grünen-Landtagsabgeordnete Claudia Köhler aus Unterhaching. (Foto: Claus Schunk)

Die Grünen-Finanzpolitikerin Claudia Köhler kritisiert massiv das bestehende Steuersystem, das manche Unternehmen und Gemeinden ausnutzten. Sie erzählt von Scheinfirmen, mangelnder Solidarität und fehlenden Kontrollen durch die Finanzbehörden.

Interview von Iris Hilberth, Unterhaching

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Claudia Köhler hat keine Scheu vor großen Zahlen. Einnahmen, Ausgaben, Bilanzen sind ihr Metier. Aktuell leitet die 55 Jahre alte Unterhachingerin als stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Staatshaushalt und Finanzfragen die Haushaltsberatungen für den Freistaat Bayern, weil sich der Vorsitzende in Quarantäne befindet. In einer Sitzungspause spricht sie mit der SZ über die Briefkastenfirmen in Grünwald, über die Gerechtigkeit von Hebesätzen und den Mangel an Solidarität unter Kommunen

SZ: Als Finanzexpertin und als Gemeinderätin in Unterhaching, ist man da neidisch auf Grünwald? Denken Sie manchmal, die haben alles richtig gemacht, da fließt das Geld?

Claudia Köhler: Ein bisschen neidisch ist man als Kommunalpolitikerin schon. Weil das für eine Gemeinde viel mehr Verfügungsmasse bedeutet, wenn man so riesige Gewerbesteuereinnahmen hat. Ich war brutal neidisch, als wir unsere Geothermie an Grünwald hergegeben haben, kurz vor dem Break-even-Point. Jetzt würde sie angesichts der Preise für fossile Energie guten Gewinn abwerfen. Es geht eigentlich aber nicht um Neid. Grünwald kann sich den niedrigen Hebesatz nur leisten, weil es große Gemeinden in der Nachbarschaft gibt, die das nicht können, weil sie viel mehr Infrastruktur zur Verfügung stellen müssen als kleine. Letztlich lebt Grünwald auf Kosten der Stadt.

Aber ist es nicht moralisch verwerflich, wenn Firmen anderswo die Infrastruktur nutzen und in Grünwald angemeldet sind und dort ihre Steuern zahlen?

Das ist das andere Problem. Und es zeigt eigentlich eine Schwachstelle in unserem System auf. Manches ist legal möglich, wir empfinden es aber als ungerecht. Das hat auch dazu geführt, dass man jahrzehntelang der Nachbargemeinde ein Gewerbegebiet vor die Nase gesetzt hat. Das hat Unterhaching mit Taufkirchen ja genauso gemacht. Momentan laufen wir Gefahr, dass die Frischluftschneise bei uns vor der Haustür von Neubiberg zugepflastert wird. Da stimmt also etwas im System nicht, es muss deshalb aber noch nicht illegal sein. Der andere Punkt sind natürlich die illegalen Sachen, Scheinfirmen und Steuerbetrug. Viele Firmen, die über Jahrzehnte nicht geprüft werden. Das ist natürlich nur möglich, wenn es nicht entsprechende Kontrollen gibt.

Eine gut gesicherte Festung: die Burg Grünwald. (Foto: Claus Schunk)

Die Gemeinde Grünwald sagt ja, es sei nicht ihre Aufgabe, die Firmen zu kontrollieren. Kann man es sich da als Gemeinde so einfach machen und entspannt zurücklehnen?

Die Gemeinde ist tatsächlich nicht zuständig, definitiv nicht, sondern die Finanzämter des Freistaats. Da muss man ganz klar sagen: Edmund Stoiber hat brutal die Behörden runtergespart und wir hinken bis heute hinterher. Wir sind ja gerade in den Haushaltsberatungen für den Freistaat Bayern und haben wieder einen Antrag auf mehr Stellen für die Finanzbehörden gestellt, konkret für Anwärterstellen, der wieder einmal von der Koalition in Bayern abgelehnt wurde. Unsere Ämter können auch nur mit dem Personal arbeiten, das sie haben. Man muss auch noch dazusagen: In der Corona-Pandemie wurde ein Großteil der Belegschaft aus den Finanzbehörden abgezogen in die Gesundheitsämter, um da auszuhelfen. Ist ja klar, dass dann die Betriebsprüfungen nicht im erforderlichen Rahmen stattfinden können.

Lag es wirklich nur am Personalmangel, dass sie zu wenig unternommen haben? Oder muss sich prinzipiell etwas ändern?

Manches ist ja legal. Da würde auch eine Prüfung gar kein anderes Ergebnis bringen. Da ist der Fehler schon im Konstrukt. Meiner Meinung nach ist die Gewerbesteuer an sich schwierig, weil sie als Gewinnsteuer konzipiert ist. Selbst wenn die Anzahl der Unternehmen gleich bleibt in einem Ort, können durch Konjunkturschwankungen auch die Gewerbesteuereinnahmen schwanken. Die Kosten, die eine Gemeinde hat, sind aber relativ konstant, für Schulen, Kinderbetreuung, Straßensanierung, Versorgung mit Wasser, Entsorgung von Müll. Jede Kommune ist daher immer daran interessiert, noch mehr Gewerbe heranzuziehen und damit noch mehr Fläche zu versiegeln. Vielleicht auch mal ein Auge zuzudrücken. Oder sich dann eben im Wettbewerb zu überbieten, wer den niedrigeren Hebesatz anbieten kann. Damit schädigt man wiederum die Kommune, aus der die Firma dann abwandert.

Ist es nicht unsolidarisch gegenüber den anderen Gemeinden? Manche können bei diesem Wettbewerb nicht mithalten. Die haben vielleicht nicht den langen Atem, erst den Hebesatz zu senken und dann zu warten, bis die Firmen kommen.

Manche haben auch nicht mehr die Flächen zur Verfügung, um neues Gewerbe anzuziehen. Manche haben sich auch auf den Weg gemacht und gesagt, wir wollen eher nachhaltig mit unseren Flächen umgehen und sie nicht zuballern mit neuem Gewerbe. Die haben dann natürlich das Nachsehen, wenn es in einer bestimmten Branche mal Konjunkturschwankungen gibt und sie weniger Gewerbesteuer einnehmen. Unsolidarisch ist wahrscheinlich der Wettbewerb. Die Kommunen, die Stabilisierungshilfen brauchen, müssen einen Mindestsatz aufweisen, der dem Durchschnitts-Hebesatz in Bayern entspricht. Aber es reicht nicht. Wir sehen ja, wenn es so große Unterschiede allein in einem Landkreis gibt, ist das natürlich nicht gerecht.

Es gibt ja diesen Mindesthebesatz von 200 seit dem Jahr 2004. Davor gab es sogar Kommunen mit einem Hebesatz von Null. Muss man da gesetzlich nochmal nachbessern?

Ich weiß nicht, ob es einfach mit einem Vorschreiben des Hebesatzes getan ist. Das wage ich zu bezweifeln. Man müsste mal genauer hinschauen und sich auch eine Verteilung überlegen, so dass man zumindest für Regionen oder Kreise versucht, etwas besser abzustimmen zwischen den Kommunen. Ganz besonders, wenn die Kommunen direkt nebeneinanderliegen. Da gibt es noch Hausaufgaben. Man müsste ergebnisoffen diskutieren. Das ist natürlich Bundespolitik, aber das wird dauern. Man hat bei dem Größerwerden der Schere ganz lange zugeschaut. Auf jeden Fall abgestellt werden muss, dass die Öffentliche Hand Gebäude vermietet, die solche Briefkastenfirmen beheimaten.

Die Grünwalder sagen ja, sie hätten gar nicht die Absicht gehabt, Steueroase zu werden. Glauben Sie das?

Ganz am Anfang schon. Ich glaube auch, dass sie zunächst von großen Firmen profitiert haben. Aber inzwischen muss jedem, der dort politische Verantwortung trägt, klar sein, dass es wahnsinnig viele Briefkastenfirmen gibt in Grünwald. Circa 8000 Firmen bei circa 6000 Haushalten - dass das nicht normal ist, ist eigentlich klar.

Aber insgesamt profitiert ja auch der Kreis davon, oder?

Der Kreis bekommt natürlich über die Kreisumlage auch mehr in absoluten Zahlen. Aber ob das das Ziel ist? Der Kreis würde das Geld ja bei einer besseren Verteilung auf die Kommunen auch bekommen. Man muss sich das mal ein bisschen anschauen, es ist wirklich absurd, dass man da maximal einen Spind hat oder einen Briefkasten, dass es Klingelschilder gibt mit 40 Firmen. Dass das eigentlich nicht die Art des Wirtschaftens sein kann, das leuchtet doch jedem ein.

Die Gemeinde Pullach hat ja auch so einen niedrigen Hebesatz, nämlich 260, und in Ihrer Parteifreundin Susanna Tausendfreund eine grüne Bürgermeisterin. Muss die jetzt ein schlechtes Gewissen haben?

Nein, ich glaube nicht, dass man mit dem Hebesatz gleich ein schlechtes Gewissen haben muss. Für Pullach gilt das Gleiche: Die Bürgermeisterin ist nicht zuständig vor Ort, die Kontrollen der Finanzbehörden durchzuführen. Da ist wirklich der Freistaat in der Verantwortung, die Unternehmen zu prüfen. Zumal, wenn Fälle schon jahrelang durch die Presse gehen. Wenn wir mit den Ämtern reden, kommt immer wieder raus, dass Betriebe in einer gewissen Größe jahrzehntelang nicht kontrolliert werden können. Aber wie gesagt, manches wäre bestimmt legal, wenn man genauer hinschaut. Ich gehe davon aus, dass in einer grün geführten Kommune kein öffentliches Gebäude an Briefkastenfirmen vermietet wird.

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