Feldkirchen:Zwischen Ausbildung und Abschiebung

Lesezeit: 2 min

Farschad und Schokrula (von links, mit Lehrerin Ina Hallermann) haben sich mit ihren Mitschülern Gedanken über die gegenseitigen Erwartungen von Zuwanderern und Deutschen gemacht. (Foto: Claus Schunk)

Junge Flüchtlinge bereiten sich in Feldkirchen auf ein Berufsleben in Deutschland vor - viele in ständiger Angst.

Von Irmengard Gnau, Feldkirchen

Wie klappt das Zusammenleben in Toleranz in einer Gesellschaft, wenn deren Mitglieder aus unterschiedlichen Kulturen stammen? Was erwarten Migranten und Deutsche voneinander? Mit diesen Fragen sind Farschad, Schokrula und ihre Mitschüler täglich im Alltag konfrontiert. Die beiden Afghanen besuchen die Berufsschulintegrationsklasse in Feldkirchen. Seit Dezember 2016 werden dort junge Flüchtlinge auf die Anforderungen des Berufslebens in Deutschland vorbereitet. Für den Tag der offenen Tür, mit dem sich die Einrichtung am Freitag Interessierten vorgestellt hat, haben Farschad und seine Mitschüler sich Gedanken über die gegenseitigen Erwartungen von Neuankömmlingen und Alteingesessenen gemacht.

Um eine Ausbildung zu machen, müssen die Deutschkenntnisse stimmen

Ihre Ergebnisse präsentieren die zehn jungen Männer, die aus Afghanistan oder Eritrea stammen, auf Deutsch. Fleißig und pünktlich, hilfsbereit und zuverlässig sollten die Neuen sein, keinen Streit anfangen und schnell Deutsch lernen. Dafür sind sie vor allem hier: Um ihre Deutschkenntnisse innerhalb von zwei Jahren so weit voranzubringen, dass sie danach eine Ausbildung beginnen können und in der Berufsschule gut mitkommen. Den dafür nötigen allgemeinbildenden Abschluss können Flüchtlinge im Alter von 16 bis 21 Jahren in den Berufsintegrationsklassen erwerben.

Die Außenstelle in Feldkirchen, bei welcher die staatliche Berufsschule München-Land mit dem Beruflichen Fortbildungszentrum der bayerischen Wirtschaft (BFZ) kooperiert, ist inzwischen der größte Schulstandort dieser Art im Landkreis und einer der größten in Oberbayern. Etwa 200 Schüler besuchen aktuell die zehn Klassen. Der Landkreis hatte das Projekt in dem ehemaligen Bürogebäude vorangetrieben; entsprechend erfreut zeigte sich Landrat Christoph Göbel (CSU) beim Tag der offenen Tür über das Gelingen. "Ich bin überzeugt, dass Bildung und Sprache wichtige Säulen der Integration in diese Gesellschaft sind", sagte Göbel. Feldkirchens Bürgermeister Werner van der Weck (SPD) zeigte sich angetan von den Sprachfortschritten der Schüler und ermutigte diese, ihre Bemühungen fortzusetzen.

Neben Sprachunterricht vermitteln die Lehrkräfte auch Grundlagen in anderen Bereichen, etwa Mathematik, aber auch Lesen und Schreiben für all diejenigen, die in ihrer Heimat noch nie eine Schule besucht haben. Auch das deutsche Bildungssystem sowie Ethik und Kommunikation stehen auf dem Lehrplan - wichtige Elemente für das Zusammenleben.

Tag der offenen Tür der Berufsintegrationsklassen
:Zusammenleben in Toleranz

Die Schüler der Klasse 10M haben sich mit der Frage beschäftigt, was Neuankömmlinge und Alteingesessene voneinander erwarten.

Gegenseitigen Respekt haben auch Farschad und seine Mitschüler auf ihrem Plakat notiert, als Anforderung an Migranten wie auch Deutsche. Außerdem wünschen sich die jungen Männer von den Alteingesessenen mehr Verständnis für die Situation vieler Flüchtlinge, die in ihren Heimatländern schreckliche Erfahrungen gemacht haben. Einen Lacher erntet die Gruppe mit dem Zusatzwunsch: "Es wäre gut, wenn die Deutschen nicht so überpünktlich wären."

Die Angst vor einer Abschiebung belastet viele der afghanischen Schüler

Dabei ist vielen der Schüler gerade gar nicht zum Lachen zumute. Besonders bei vielen Afghanen sind Angst und Frust spürbar. Sie müssen fürchten, abgeschoben zu werden. Die Bleibeperspektive für junge alleinstehende Männer aus Afghanistan ist schlecht, mehrere Schüler berichten von abgelehnten Asylanträgen, Negativbescheiden.

Doch ohne Bleibeperspektive finden sie keinen Ausbildungsplatz, bereits vereinbarte Anstellungen platzten. Einige Schüler bringt diese Perspektive um den Schlaf, sie können sich nicht konzentrieren. Warum sie in ein kriegsgebeuteltes Land zurückkehren sollen, wie es die politische Linie der Bundesregierung vorgibt, ist ihnen völlig unverständlich. Das Problem sei sehr präsent, bestätigen Lehrkräfte. "Das kann man nicht schönreden, die Angst ist da", sagt etwa Nikolas Zok. Auch für die Lehrer und Sozialpädagogen ist diese Situation eine Herausforderung. Lehrerin Ina Hallermann sieht angesichts dessen Bedarf für weitere Fortbildungen für sich und ihre Kollegen, insbesondere für ihre tägliche Arbeit mit Schülern, die Traumata zu verarbeiten haben.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: