Das starke Geschlecht:Zaghaft an die Macht

Lesezeit: 5 min

Die starke Frau in Sauerlach: Bürgermeisterin Barbara Bogner. (Foto: Claus Schunk)

Frauen sind an der Spitze von Rathäusern immer noch selten. Warum ist das so? Die SZ hat die fünf Bürgermeisterinnen im Landkreis gefragt

Von Sabine Wejsada

Wenn Anfang März in Putzbrunn und Baierbrunn gewählt wird, dann werden es wieder einmal die Männer unter sich ausmachen: Bei den Bürgermeisterwahlen in den beiden Gemeinden tritt keine Frau an. Während Frauen mittlerweile in vielen Kommunalverwaltungen als Kämmerin oder Hauptamtsleiterin Spitzenämter besetzen und als Zweite oder Dritte Bürgermeisterin das Gemeindeoberhaupt vertreten, ist der Posten des Rathauschefs immer noch überwiegend in Männerhand.

Bayernweit werden nur etwa neun Prozent aller Rathäuser von Frauen geleitet und auch im Landkreis München mit seinen 29 Städten und Gemeinden kann man nach dem Rückzug der Baierbrunner Bürgermeisterin Barbara Angermaier die Frauen im kommunalen Spitzenamt buchstäblich an einer Hand abzählen: Mit Barbara Bogner (Sauerlach), Gabriele Müller (Haar), Ursula Mayer (Höhenkirchen-Siegertsbrunn), Susanna Tausendfreund (Pullach) und Uta Wüst (Gräfelfing) sind die Bürgermeisterinnen eindeutig in der Minderheit.

Mehr Mädchen auf den Gymnasien, bessere Noten, tolle Abschlüsse

Warum treten so wenig Frauen bei Bürgermeisterwahlen an? Haben sie Zweifel, dass sie das Amt ausfüllen können? Oder sind es die Männer in den politischen Parteien und Gruppierungen, die den Job lieber für sich beanspruchen und die Kandidaturen unter sich auskarteln?

Was ist los in einem Landkreis, in dem mehr Mädchen als Jungen aufs Gymnasium gehen, bessere Abiturnoten schreiben und die Hochschulen mit ausgezeichneten Abschlüssen verlassen? Wie kommt es, dass der Anteil von Frauen an der Spitze der Rathäuser ähnlich gering ist wie in den Vorstandsebenen von Dax-Unternehmen und anderen Großkonzernen?

Deutschland hat eine Kanzlerin, Frauen sitzen im Bundestag und in den Länderparlamenten. Doch ein solch exponierter Posten wie der des Bürgermeisters ist offenbar immer noch nicht Frauensache.

"Ich denke, es ist ein gesellschaftlicher Spiegel, dass so wenige Frauen das Amt des Bürgermeisters innehaben", sagt Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund, die bei der Kommunalwahl 2014 fast 70 Prozent der Stimmen holte. Gemeinderat oder Bürgermeister - das sind früher absolute Männerdomänen gewesen, da hatten Frauen nichts verloren. Aber auch heute sei es für Frauen nach wie vor schwierig, das kommunale Spitzenamt zu erreichen, sagt die Grüne.

"Man muss durchsetzungsfähig sein."

Tausendfreund hat dazu eine dezidierte Meinung: In den Parteien würden Frauen nach wie vor zu wenig wahrgenommen und aufgebaut. Weil Männer den Job lieber selbst machen? Nicht unbedingt. "Bürgermeisterin zu werden, ist nicht das typische Berufsziel von Frauen", sagt die 54-Jährige, selbst Politprofi: Zwei Legislaturperioden lang gehörte die Grüne dem Bayerischen Landtag an, sechs Jahre lang war sie stellvertretende Landrätin und Jahrzehnte im Gemeinderat. "Das war eine gute Basis."

Aber eben nur die halbe Miete. Es sei freilich auch eine Frage der Persönlichkeit, sagt Tausendfreund, um sich das exponierte Amt der Bürgermeisterin zuzutrauen. Da hilft Frauen ihre vielfach anerzogene Zurückhaltung wenig: "Man muss durchsetzungsfähig sein, sich nicht im Kleinklein ergehen und genügend Selbstbewusstsein haben." Auch um es mit den Männern aufzunehmen, die bei der Wahl unterlegen sind und danach im Gemeinderat auf Fehler der Chefin warten.

Gabriele Müller, 58 und seit 2014 SPD-Bürgermeisterin von Haar, kann das nur bestätigen: "Eine Frau und dann auch noch eine Rote" - diese Kombination sei für so manchen nur schwer zu ertragen. Doch das dürfe einen nicht anfechten. "Man muss eher in einem positiven Fluss bleiben", sagt sie. "Und eine gewisse Sicherheit in sich haben, innerlich aufgeräumt sein, nicht alles auf sich beziehen."

Für Müller stand schon als Jugendliche fest, dass sie sich politisch engagieren will. Im Jahr 2000 rückte sie in die SPD-Fraktion im Haarer Gemeinderat nach, 2006 wurde sie Zweite Bürgermeisterin. Von dort war es nicht mehr weit bis nach ganz oben im Rathaus. "Ich hatte Lust, das Heft in die Hand zu nehmen, zu gestalten." Und den Mut, sich einer Wahl zu stellen.

Noch immer gilt das klassische Rollenspiel

Natürlich habe sie sich gefragt, ob sie Bürgermeisterin kann, räumt Müller ein. Das machen Frauen. Ganz im Gegensatz zu Männern. "Die fackeln nicht lange, haben keine Selbstzweifel, sagen sich, das kann ich schon." Und sie haben meistens eine Frau an ihrer Seite, die sich um Kinder und Haushalt kümmert. Einen solchen Partner braucht es. "Ohne meinen Mann würde ich es nicht schaffen", sagt Müller.

In der Regel gilt aber auch heute noch das "klassische Rollenspiel", wie Müllers parteifreie Bürgermeisterkollegin Uta Wüst aus Gräfelfing sagt. Die 50-Jährige macht den Eindruck, dass sie es sich natürlich zutraut, eine Gemeinde zu führen. "Man braucht den Führungsanspruch", sagt Wüst, Mutter von zwei Kindern. Sie habe Quoten lange für überflüssig gehalten, "aber ohne geht es nicht". Sonst ändere sich nie etwas.

Was Frauen selbst dafür tun können, damit ihnen der Weg ins Rathaus offensteht? Sich besser vernetzen, sagt Wüst, also das tun, was Männer in allen Bereichen schon lange machen: fachlicher Input, strategische Ideen, gegenseitige Unterstützung. So gibt es regelmäßige Treffen für Kommunalpolitikerinnen aus der Region, organisiert von Münchens Dritter Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) und Kraillings Bürgermeisterin Christine Borst (CSU). Als Vorsitzende des Arbeitskreises "Frauen führen Kommunen" des Bayerischen Gemeindetags ist es ihr ein besonderes Anliegen, Frauen in kommunale Spitzenämter zu bekommen. Nicht nur für Uta Wüst sind derartige Veranstaltungen von größter Bedeutung, auch ihre Bürgermeisterkolleginnen schätzen den Erfahrungsaustausch und den Schulterschluss.

Sind sie dann einmal ganz oben, stehen die Frauen nach übereinstimmender Erfahrung der Rathauschefinnen im Landkreis München permanent auf dem Prüfstand, wie Ursula Mayer (CSU), seit 2002 Bürgermeisterin in Höhenkirchen-Siegertsbrunn, sagt: "Wir müssen mehr und besser liefern und stehen viel mehr unter Beobachtung, denken Sie nur an die Diskussion um Merkels Frisur."

Die 62-Jährige bezeichnet sich selbst als forsch und stabil, zwei Eigenschaften, die es braucht fürs Bürgermeisteramt. Viele Frauen seien das, davon ist Mayer überzeugt, doch die meisten wollten sich den Job nicht antun: "Der Politikerberuf hat kein hohes Ansehen, man muss davon ausgehen, dass man der Depp vom Dienst ist." Davor schreckten Frauen zurück.

Ein dickes Fell sei unerlässlich, man müsse sich viel gefallen lassen, das mögen Frauen nicht, glaubt Mayer. Und: "Frauen stecken leicht zurück. Wir haben nicht das Gorilla-Gebaren wie die Männer." Ihre Erklärung, warum nur wenige Frauen nach dem Bürgermeisteramt streben: "Machtausübung gilt nach wie vor nicht als ladylike, der Kampf mit der öffentlichen Meinung ist anstrengend." Vielleicht, so Mayer weiter, hätten Frauen auch Angst davor, Verantwortung zu übernehmen für den Ort.

Dass Baierbrunns Bürgermeisterin Barbara Angermaier im Dezember überraschend ihr Amt aufgegeben hat, bedauern ihre Kolleginnen. Über die Gründe wollen sie nicht spekulieren. Allerdings können sich Tausendfreund und Co. vorstellen, dass eine Frau eher zum Rücktritt bereit ist als ein Mann. Lavieren und aussitzen - das täten die wenigsten Frauen. Dann lieber einen Schlussstrich ziehen.

"Es muss einem auch mal etwas wurscht sein."

"Frauen wollen immer noch von allen gemocht werden, doch ein nettes Madl darf man als Bürgermeisterin nicht sein", sagt die Sauerlacherin Barbara Bogner, 57. Seit 2008 lenkt die alleinerziehende Mutter einer mittlerweile erwachsenen Tochter die Geschicke der Gemeinde. In den vielen Jahren hat sie gelernt, "Dinge nicht persönlich zu nehmen". Das sei existenziell. "Es muss einem auch mal etwas wurscht sein." Und: "Die Macht, die man bekommen hat, muss man auch ausüben wollen." Egal, wie "harmoniebedürftig" man sei. Frauen können das. Davon sind die Bürgermeisterinnen im Landkreis überzeugt.

Was sie sich für die Zukunft wünschen? Dass sich mehr Frauen trauen, den kommunalen Spitzenjob zu übernehmen. "Das Bürgermeisteramt kann jeder, ob Mann oder Frau", sagt Uta Wüst aus Gräfelfing. Und es ist ein Job, für den Frauen nicht schlechter bezahlt werden als Männer. "Das ist doch was", sagt Ursula Mayer. In noch einem sind sich die fünf Rathauschefinnen einig: Wichtig sei es, auch die Frauen selbst davon zu überzeugen, Frauen zu wählen, weil diese Bürgermeister können. Dazu muss das konservative Weltbild auch in einem so modernen Landkreis eingerissen werden. Dazu erzählt die Haarerin Gabriele Müller eine Anekdote von einem Gratulationsbesuch bei einem 85-Jährigen: Der habe bei ihrem Anblick vollkommen verständnislos ausgerufen: "Ja, haben wir denn keine Männer mehr?"

Doch. Aber eben auch fähige Frauen.

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: