Corona-Welle:"Die Hausarztpraxen sind voll"

Lesezeit: 4 min

Geimpft, getestet, genesen - vor allem letzteres gilt für immer mehr Menschen auch im Landkreis München. (Foto: Felix Hörhager/dpa)

Mehr als 3000 Menschen haben sich zuletzt im Landkreis München infiziert, doch viele Erkrankte werden gar nicht mehr registriert. Mediziner sehen nicht allein das Oktoberfest als Treiber der Infektionslage.

Von Iris Hilberth, Landkreis München

Der Mann kommt mit FFP2-Maske in den Supermarkt in Taufkirchen. Ein Anblick, der selten geworden ist. Wer nicht gerade mit Bus oder Bahn unterwegs ist oder zu Besuch im Krankenhaus, geht seit geraumer Zeit maskenfrei. Obwohl die aktuellen Corona-Inzidenzen auch im Landkreis München seit einigen Tagen nur knapp unter der Tausendermarke liegen und damit wieder eine Höhe erreicht haben, die in den zwei vergangenen Jahren bei vielen trotz Mund-Nasen-Schutz ein ungutes Gefühl ausgelöst hat. Der Mann mit Maske zwischen Obst und Gemüse und mit gutem Abstand in der Schlange an der Fleischtheke will auch im Oktober 2022 sichergehen, niemanden anzustecken. Sein Test war zwar negativ, doch seine Frau liegt mit Corona im Bett.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Sie ist eine von vielen, die sich in den vergangenen sieben Tagen im Landkreis angesteckt haben, laut Robert-Koch-Institut (RKI) sind es 3058 gewesen. Vom Wiesn-Peak ist die Rede, das Oktoberfest hat auch jenseits der Stadtgrenze dazu beigetragen, die Inzidenz Anfang des Monats auf 972,7 zu treiben. Vor zwei Tagen betrug sie nach minimalem Auf und Ab 948,2, am Donnerstag meldete das RKI 874,1. Zahlen, die zwar zeigen, dass die Herbstwelle längst da ist, doch deren eigentliche Höhe sich nur erahnen lässt. Denn viele Fälle werden gar nicht mehr erfasst, weil Infizierte nach einem positiven Schnelltest einfach zu Hause bleiben und keinen zusätzlichen PCR-Test vornehmen lassen, der dann registriert würde. Im Gesundheitsamt geht man daher davon aus, "dass die Dunkelziffer nach wie vor sehr groß ist und die Zahlen in Wirklichkeit um ein Mehrfaches höher liegen".

Auf die offiziellen Zahlen dürften jeden Tag 250 hinzu gerechnet werden

Das bestätigen auch Ärzte. Friedrich Kiener, einer der ärztlichen Leiter im Unterschleißheimer Impfzentrum und niedergelassener Allgemeinmediziner, schätzt, dass man auf die täglichen Zahlen sicher nochmal 250 Fälle draufrechnen kann. Auch Oliver Abbushi, Versorgungsarzt des Landkreises und niedergelassener Hausarzt in Oberhaching, geht davon aus, dass die wirklichen Zahlen höher sind. "Die Hausarztpraxen sind voll und wir haben massiv positive Fälle", sagt er. Viele kämen zu ihm mit Erkältungssymptomen, aber negativem Schnelltest. "Wir machen dann einen PCR-Test und der ist häufig positiv", so Abbushi. Dass die Ergebnisse der Selbsttests häufig nicht sicher sind, betont auch Kiener. Schließlich würden diese meist im vorderen Nasenbereich abgenommen. "Wenn die Schnelltests dann positiv sind, befinden sich da schon wirklich viele Viren", sagt er. Der Rachenabstrich sei wesentlich deutlicher. Dass allein das Oktoberfest Schuld an der derzeitigen Infektionslage ist, sieht er aber nicht so. "Wir haben jedes Jahr um diese Zeit mit Erkältungsinfekten zu tun", sagt Kiener.

Also doch wieder strengere Schutzmaßnahmen erlassen? "Nein", sagt Kiener, da könne man auf die Eigenverantwortung der Leute setzen. Wer befürchtet, jemanden anstecken zu können, oder Angst hat, sich selbst anzustecken, trage eben eine Maske. Alles andere wäre übertrieben. Corona hat offenbar bei vielen Leuten etwas von seinem Schrecken verloren. "Sie haben festgestellt, es ist nicht so schlimm", ist Kieners Erfahrung. Gleichwohl berichtet der Oberhachinger Mediziner Abbushi, dass viele seiner aktuellen Corona-Patienten Fieber, Schüttelfrost, Schwäche und eine starke Bronchitis aufweisen. "Das dauert schon eine Woche", sagt er.

Hat gute Erfahrungen mit der Gabe von Paxlovid gemacht: der Oberhachinger Arzt Oliver Abbushi. (Foto: Lennart Preiss/AFP)

Gute Erfahrung habe er inzwischen mit dem Medikament Paxlovid gemacht, dem Corona-Mittel, das auch Bundeskanzler Olaf Scholz wieder auf die Beine geholfen hat. Abbushi verabreicht es seinen Hochrisiko-Patienten, Betagten und Vorerkrankten. Einem Über-Achtzigjährigen etwa, dessen Immunsystem durch verschiedene Erkrankungen geschwächt sei und den es trotz fünfter Impfung mit hohem Fieber schwer erwischt hatte, habe diese Medikamentengabe gut geholfen.

Auch in den Alten- und Pflegeheimen des Landkreises ist seit Ende September wieder ein Anstieg der Infektionen zu verzeichnen. Laut Landratsamt sind aktuell etwas mehr als 40 Bewohner sowie etwa 20 Mitarbeitende in insgesamt 14 Einrichtungen mit Corona infiziert. Die steigenden Zahlen seien vor allem Ausbrüchen in einzelnen Einrichtungen geschuldet. Auch schwankten diese aufgrund der verkürzten Isolationsdauer. Nach wie vor müssen die Beschäftigten mehrmals pro Kalenderwoche Testnachweise vorlegen. Die Bewohner werden ebenfalls getestet, insbesondere wenn es zu Ausbrüchen kommt. Es werden bei Bedarf weiterhin Reihentestungen durch das Landratsamt in den Einrichtungen organisiert.

Die Anzahl der offiziellen Tests im Landkreis hat in den vergangenen Wochen wieder zugenommen. Mitte September zu Schuljahresbeginn zählte das Landratsamt insgesamt 2528 Testungen pro Woche, davon 994 PCR-Tests. Anfang Oktober waren es bereits 4388, davon 2821 PCR. Im Vergleich zu Ende Januar und Anfang Februar, als mit 25 021 beziehungsweise 24 531 Testungen der Höchststand erreicht war, ist das allerdings weiter recht wenig.

Die Nachfrage nach Booster-Impfungen hat deutlich zugenommen

Auch Impfungen sind stärker nachgefragt als etwa im Sommer. Vor allem seit der Einführung des neuen Impfstoffs sei die Nachfrage gestiegen und habe sich jetzt bei einem guten Durchschnitt am Tag eingependelt, teilt Wilhelm Horlemann mit, Sprecher des Malteser Hilfsdienstes, der das Impfzentrum in Haar betreibt. Auch Gerhard Bieber von der Johanniter Unfallhilfe, die in Oberhaching impft, stellt mit 50 bis 90 Besuchern am Tag eine "deutlich erhöhte Nachfrage" fest. 3164 Mal wurde laut Landratsamt in der ersten Oktoberwoche im Landkreis geimpft, im Juli waren es etwa 1000 Impfungen pro Woche. Hauptsächlich kommen Menschen zur zweiten Auffrischung (2695), Erstimpfungen sind weniger als 30 darunter. Teilweise bekommen Senioren und Vorerkrankte bereits den dritten Booster. "Bei ihnen ist es oft schon ein Jahr her, dass sie ihre vierte Impfung hatten", so Abbushi.

Den zweiten Booster empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) weiterhin nur für Personen über 60 Jahre und Vorerkrankte sowie mit besonderer Indikation, zu der auch starkes Übergewicht mit einem Body-Mass-Index von über 30 zählt. Im Impfzentrum Oberhaching hält man sich strikt an diese Empfehlung. In Haar hingegen teilen die Malteser mit: "Nach einem Gespräch mit dem Arzt ist es (fast) jedem möglich, sich boostern zu lassen. Die Ärzte können nach den individualmedizinischen Beratungen die Impfungen durchführen." Die individuelle Entscheidung, ob eine zweite Auffrischung sinnvoll ist, sehen Abbushi und Kiener vor allem bei den Hausärzten. "Die kennen ihre Patienten besser", sagt Abbushi.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungCorona
:Im kommenden Jahr muss es mit der Wiesn anders laufen

Niemand hat diesmal den Mumm gehabt, auf die Spaßbremse zu treten. Doch darüber zu streiten, ob das Oktoberfest ohne jegliche Schutzregelungen ein Fehler war, bringt wenig - Überlegungen für die Zukunft schon.

Kommentar von Joachim Mölter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: