Wenn ein Kind durch die große Eingangstür aus Glas geht und ins Foyer gelangt, ist alles gut: Ein großer Holztisch steht hier, zwei riesige Plüschbären warten zur Begrüßung auf der Bank am Tisch. Hier hat das Kind einen Platz, es ist in Sicherheit, jemand kümmert sich. Inobhutnahme nennt es sich, wenn ein Kind durch das Jugendamt aus seiner Familie genommen werden muss, weil sein Wohlergehen gefährdet ist. Es kommt dann zum Beispiel hierher, ins Clemens-Maria-Kinderheim in Putzbrunn. Der Schritt durch die Glastür ist ein großer, für die Eltern, wie für die Kinder, aber er ist auch eine Chance - eine Chance für eine Familie, zur Ruhe zu kommen, Hilfe zu erhalten, sich zu stabilisieren und hoffentlich bald wieder gemeinsam leben zu können.
Das Clemens-Maria-Kinderheim ist eine Einrichtung der Katholischen Jugendfürsorge der Erzdiözese München und Freising, das seit mehr als hundert Jahren seine Türen öffnet für Kinder, die kurzzeitig oder auch dauerhaft nicht in ihrer Familie leben können. Neben heilpädagogischen Wohngruppen, in denen Kinder und Jugendliche längerfristig gemeinsam leben, gibt es zwei Inobhutnahmegruppen für Kinder von drei Jahren an. Hier finden sie einen geborgenen Ort, den ihnen ihre Familien gerade nicht geben können. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie das Leben: eine Suchterkrankung eines Elternteils, Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung, eine psychische Erkrankung, die es Eltern zeitweilig nicht möglich macht, sich um ihr Kind zu kümmern.
Aber es gehören auch Kinder nach einer Scheidung extrem zerstrittener Eltern dazu. Manchmal sind es auch Kinder, die ihre Eltern überfordern, etwa weil sie ein ausgeprägtes Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) haben, was die Familiensituation immer wieder zum Eskalieren bringt. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2022 in Deutschland mehr als 66 400 Kinder in Obhut genommen. Betroffen sind Familien aller sozialer Schichten. In der Inobhutnahme in Putzbrunn können 16 Kinder betreut werden. Die Nachfrage ist groß, es gibt mehr Bedarf als freie Plätze.
Es sei immer ein Einschnitt, wenn die Kinder in Obhut genommen werden, sagt Heike Schecher, Bereichsleiterin der Inobhutnahme bei der Katholischen Jugendfürsorge. Aber es ist nicht das Ende eines Familienlebens. Vielmehr gehe es darum, Eltern und Kinder wieder zusammenzubringen. Damit das gelingt, gibt es ambulante Hilfen durch das Jugendamt für die Eltern und eine heilpädagogische Begleitung des Kindes im Kinderheim. Während dieser Zeit besuchen Eltern ihre Kinder in Putzbrunn und erhalten dort Unterstützung im Umgang mit ihren Kindern. "Elterntraining" nennt es Heike Schecher. Mehr als die Hälfte der in Obhut genommenen Kinder können später wieder zurück in ihre Familien.
Die Kinder erhalten die nötige Stabilität, um später nach Hause zurückkehren zu können
Ein Kind aufzunehmen, bedeutet mehr, als ihm ein Dach über dem Kopf zu geben. Es muss emotional aufgefangen werden, es braucht psychologische Begleitung und oft auch Entwicklungsförderung, sagt Schecher. Viele Kinder trennten sich nicht leicht von ihren Eltern. Sie benötigen dann besondere Unterstützung und vor allem so schnell wie möglich wieder Kontakt zu den Eltern. Eine feste Tagesstruktur hilft den Kindern, zur Ruhe zu kommen und einen Tages- und Nachtrhythmus zu finden, der bei vielen aufgrund der Lebensumstände völlig durcheinandergeraten ist.
Im Kinderheim ist die Wohngruppe das vorübergehende Zuhause. "Es soll so familienähnlich wie möglich sein", sagt Sabine Kotrel-Vogel, die das Heim leitet. Die Kinder besuchen ihre gewohnte Schule und den Kindergarten, wer keinen Kinderplatz hat, besucht die Spielgruppe im Heim. Nach dem Mittagessen werden Hausaufgaben gemacht, dann stehen oft Arzttermine an, eine Therapie, und - ganz wichtig - Freizeitaktivitäten. Beim Fußballspielen, Trommeln, Tanzen, Kinderyoga, Reiten, Chor und Theater entdecken die Kinder oft erstmals in ihrem Leben, was ihnen eigentlich Spaß macht. Das stärkt sie, meint Kotrel-Vogel. Das Heim macht eigene Kursangebote, die Kinder besuchen aber auch Vereine in der Gegend.
Damit die Kinder ihren Alltag gestalten können, sind sie auf Fahrdienste angewiesen. Das Kinderheim liegt in Putzbrunn am Waldrand, ohne Auto kommt man hier nicht weit. Im Kinderheim stehen Busse dafür bereit, "sie sind unsere Packesel und Transportdienste", sagt Kotrel-Vogel. Derzeit gibt es dringenden Bedarf für einen neuen Bus, der die Kinder zuverlässig und ohne Pannen an ihr Ziel bringt. Hier möchte der SZ-Adventskalender helfen und den Kauf eines neuen Fahrzeugs unterstützen.
Wenn es nach einem langen Tag Abend wird im Clemens-Maria-Kinderheim, ist das oft der Moment, an dem Kinder sich öffnen. Beim Abendessen in den Wohngruppen erzählen sie sich untereinander von Zuhause. "Da hören wir viel heraus, wo wir helfen und unterstützen können", sagt Schecher. Jedes Kind gehe zu unterschiedlichen Zeiten ins Bett, das gebe den Betreuern in der Wohngruppe Zeit, sich zu jedem ans Bett zu setzen, etwas vorzulesen oder zu singen. Es ist ein Moment der ganz persönlichen Zuwendung.
"Zu sehen, wie sich ein Kind verändert, ist das Schöne an der Arbeit", sagt Schecher. Kinder kommen zu allen Tages- und Nachtzeiten durch die große Glastür ins Clemens-Maria-Kinderheim. Es ist immer eine Krisensituation. Anfangs wirken sie manchmal verloren und unsicher. Doch im Zusammenleben mit anderen Kindern entwickeln sie sich weiter, werden zu gestärkten kleinen Persönlichkeiten. Es ist ein neuer Lebensabschnitt, der für sie im Clemens-Maria-Kinderheim beginnt. Mit einem Schritt durch die Tür.
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Überweisungen sind auf folgendes Konto möglich: "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V.", Stadtsparkasse München, IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00, BIC: SSKMDEMM