Unterrichtsprogramm:Schweinestall statt Klassenzimmer

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Manche Kinder haben noch nie in ihrem Leben ein Schwein gesehen, geschweige denn gestreichelt: Schülerinnen der 7. Klasse der Carl-Steinmeier Mittelschule in einer Ferkelbox im Stadtgut Riem. (Foto: Claus Schunk)

"Jedes Kind sollte im Laufe seiner Schulzeit mindestens einmal auf einem Bauernhof gewesen sein": Unterwegs mit einer siebten Klasse der Mittelschule Hohenbrunn auf dem Stadtgut in Riem, wo der Besuch in der Ferkelbox besonderen Spaß bereitet.

Von Laura Geigenberger, Hohenbrunn/München

Schwer zu sagen, wer bei dieser Begegnung lauter quietscht: die Menschen- oder die Schweinekinder? Die Siebtklässler der Hohenbrunner Carl-Steinmeier-Mittelschule sind jedenfalls kaum zu den rosafarbenen Ferkeln in die Box gestiegen, schon herrscht vergnügtes Chaos: Die Tiere drängen sich grunzend um ihre nicht minder aufgeregten Besucher, Ringelschwänze hüpfen, Rüssel stupsen an Hosenbeine, Hände erkunden borstige Schweinerücken.

Nutztiere hautnah erleben, sie anfassen und füttern - genau diese Sinneserfahrung hat sich Klassenlehrer Jan Stolletzki für seine Schülerinnen und Schüler an diesem Tag erhofft. "Zum Teil ist es wirklich so, dass die im echten Leben noch nie ein Schwein oder eine Kuh gesehen, geschweige denn gestreichelt haben", berichtet der 28-Jährige. Um das zu ändern, war Stolletzki am Freitagvormittag mit seiner 18-köpfigen Klasse, der 7aM, von Hohenbrunn zum Stadtgut Riem gefahren.

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Der Bio-Betrieb im Münchner Osten ist vom bayerischen Landwirtschaftsministerium als "Erlebnisbauernhof" anerkannt und somit darauf spezialisiert, Schulklassen anhand von pädagogischen Konzepten die Grundlagen der Landwirtschaft näherzubringen. "Über das Erleben von authentischer Landwirtschaft soll den Kindern die Entstehung unserer Grundnahrungsmittel wieder nahegebracht werden, damit sie eine realistische Vorstellung davon bekommen, wo und wie unsere Nahrungsmittel erzeugt werden, und was ein Landwirt macht", sagt Katharina Binsteiner, die stellvertretende Behördenleiterin am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ebersberg-Erding.

Der "drastische Strukturwandel in der Gesellschaft" sorge dafür, dass der Anteil von Landwirten innerhalb der Gesamtbevölkerung - und damit die Kenntnis über die Landwirtschaft - immer geringer werde. Im Stadtgebiet München beispielsweise kommen laut Binsteiner auf rund 1,5 Millionen Einwohner nur mehr 95 Landwirte, im gesamten Einzugsgebiet seien es knapp unter 500. "Deshalb sollte jedes Kind im Laufe seiner Schulzeit mindestens einmal auf einem Bauernhof gewesen sein", ist sie überzeugt.

"Es ist wichtig, dass die Kinder mit anpacken": eine Mittelschülerin bei der Stallarbeit. (Foto: Claus Schunk)

Umso mehr Hoffnung setzt das Ministerium nun in seine 2012 gestartete Initiative "Erlebnis Bauernhof" und die derzeit teilnehmenden 791 Betriebe im Freistaat. Stand Juni 2023 haben rund 393 000 bayerische Schüler eines der angebotenen Bildungsprogramme besucht, deren Inhalte von Ökologie und Regionalität über Ackerbau, Energiegewinnung, Lebensmittelverarbeitung und Tierzucht bis hin zu landwirtschaftlichen Berufsgruppen reichen.

Das Prinzip, nach welchem den Kindern neues Wissen vermittelt werden soll, bleibe unabhängig vom Lernthema immer gleich, sagt die Erlebnisbäuerin des Stadtguts Riem, Julia Stark: "Es ist wichtig, dass die Kinder mit anpacken. Die sollen kennenlernen, dass all das Essen, das wir auf dem Tisch haben, verbunden ist mit viel Arbeit: körperliche Arbeit, Arbeit mit großen Maschinen und Arbeit, die sehr viel Zeit, sehr viel Herzblut und Engagement braucht."

Für die Siebtklässler der Mittelschule Hohenbrunn steht bei ihrem Besuch in Riem "ökologische Tierhaltung" auf dem Stundenplan. Damit wolle sie den Kindern zeigen, dass Tiere auch "gefühlvolle Lebewesen sind, die einen guten Umgang verdient haben", so Stark: "Man muss sie gut kennen, um sie gut versorgen zu können, mit ganz viel Arbeit jeden Tag, 365 Tage im Jahr, um dann später ein gutes Essen für uns auf dem Tisch zu haben."

Auf der Wiese sammeln die Schüler für die Hasen Samira und Fritzi ein gesundes Kräuterfrühstück. (Foto: Claus Schunk)

Der erste Auftrag des Tages für die Klasse 7aM lautet deshalb: Eimer schnappen und raus auf die Wiese, um für die Hofhasen Samira und Fritzi ein gesundes Kräuterfrühstück zu sammeln. Die beiden Langohren hausen direkt vor dem Nutztierstall des Guts Riem; darin wohnen wiederum eine kleine Schafherde, ein Eselpärchen, vier Kühe sowie ein paar Sauen mit ihrem Nachwuchs.

Weil sie merkt, dass einige aus der Gruppe noch nie auf einem Hof waren, fängt Landwirtin Julia Stark mit ihrem Unterricht ganz von vorne an. Sie führt die Klasse zunächst umher, erklärt den Unterschied zwischen Gras, Heu und Stroh, lässt die Kinder auf den Ballen herumklettern und wartet geduldig ab, bis sie sich an den herumflitzenden Schwalben sattgesehen haben. Bevor es zu den Tieren in den Stall geht, gibt sie den Schülern neben dunkelblauer Arbeitskleidung auch noch Verhaltensregeln mit auf den Weg: die drei L: Man läuft "langsam", ist "leise" und zu den Tieren "lieb".

Die Schüler hatten weder Berührungsängste noch Ekel

Anfass-Verbote gibt es jedoch keine, im Gegenteil. Die Siebtklässler sollen sogar dabei helfen, die Schafe und sogar die Kühe auf die Weide zu treiben. Für den zwölfjährigen Semih, der die Wiederkäuer zwar schon mal gesehen hat, ihnen aber noch nie so nahegekommen ist, eine beeindruckende Erfahrung. "Weil die einfach so groß sind", staunt er.

Zurück im Stall bleiben eine Menge quirliger Ferkel - zu ihnen dürfen die Kinder als kleines Abschlussgeschenk in die Boxen steigen. "Die waren so süß!", strahlt Schülerin Lisa, als sie aus der Box kommt. Sie hat aber auch etwas gelernt: "Man sollte vor den Schweinen vorsichtig sein, weil die so neugierig sind und die Schuhe und so anschnuppern und alles mit der Nase anschauen." Tatsächlich hatte eines der Jungtiere zuvor recht stürmisch an ihrem Hosenbein gelutscht.

"Kinder müssen in Kontakt mit der Landwirtschaft kommen, damit sie ihnen etwas wert ist, damit sie etwas dafür tun", sagt Bäuerin Julia Stark. (Foto: Claus Schunk)

Klassenleiter Jan Stolletzki ist am Ende des Vormittages sichtlich stolz auf seine Schüler. "Die sind wirklich aufgegangen und hatten gar keine Berührungsängste oder Ekel. Sie haben sich getraut, die Tiere einfach gestreichelt und Heu verteilt", freut er sich. Es sind diese positiven Rückmeldungen, die Bäuerin Julia Stark davon überzeugen, dass es ihre Aufgabe ist, die Leidenschaft an der Landwirtschaft an jüngere Menschen weiterzugeben. Denn letztendlich schütze man nur, was man liebt, sagt sie: "Ich glaube, die Kinder müssen in Kontakt mit der Landwirtschaft kommen, damit sie ihnen etwas wert ist, damit sie etwas dafür tun. Und damit sie sehen: Die Landwirtschaft ist Arbeit, sie ist aber auch schön und sie ist für alle wichtig."

Noch bis 28. Juli sollen die Aktivwochen "Sommer.Erlebnis.Bauernhof" Schulklassen gezielt zur Teilnahme an dem Programm anregen. Ein Hofbesuch ist allerdings während des gesamten Schuljahres möglich. Informationen zu Programm und Anmeldung sind beim Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erhältlich unter www.stmelf.bayern.de/landwirtschaft/erwerbskombination/programm-erlebnis-bauernhof/index.html .

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