Brunner-Prozess in München:Der lange Weg zum Tatort

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Neun Minuten für drei Kilometer: Die Polizei brauchte lange zum S-Bahnhof Solln, zu dem Dominik Brunner sie rief. Und das, obwohl die Beamten während ihrer Fahrt per Funk informiert wurden, dass inzwischen am Bahnsteig eine Schlägerei im Gang war.

Susi Wimmer

Wenn es darum geht, Leib und Leben zu schützen, dann ist für die Polizei Eile geboten: Bei Unfällen mit Verletzten etwa oder Raub schalten die Beamten Blaulicht und Martinshorn ein, um schnell am Tatort zu sein. Als Dominik Brunner am 12. September 2009 die Polizei alarmierte und von einem bevorstehenden Raub sprach, verzichtete die Polizei aber auf Blaulicht und Horn. Von der Alarmierung bis zum Eintreffen der Streife am Sollner S-Bahnhof vergingen zwölf Minuten - obwohl die Inspektion nur drei Kilometer entfernt liegt.

Um 16.05 Uhr wählt Dominik Brunner den Notruf. Die Einsatzzentrale alarmiert die Inspektion, um 16.08 Uhr steigen die Beamten in den Streifenwagen - und sind um 16.17 Uhr am Sollner S-Bahnhof. Nach neun Minuten. (Foto: Reuters)

Drygalskiallee 33. Ein grauer Plattenbau, hier ist die Polizeiinspektion 29 untergebracht. An jenem 12. September hatte Brunner um 16.05 Uhr die Polizei alarmiert, drei Minuten später, so sagt Staatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch, fuhr die Streife hier los. Direkt vor der Inspektion ist der Mittelstreifen so abgesenkt, dass die Beamten sofort nach links in Richtung Süden drehen können. Nimmt man als Ortsunkundiger die Strecke über die Herterichstraße und fährt unter Einhaltung von Tempo 30 durch das alte Solln, steht man nach gut sechs Minuten am S-Bahnhof. Nahezu ohne Ampeln und erheblich schneller geht es über die Hofbrunnstraße: Dann dauert es nur vier Minuten bis zum Bahnhof.

Um 16.05 Uhr wählt Brunner den Notruf. Zwei Minuten Gespräch. Die Einsatzzentrale alarmiert die Inspektion, um 16.08 Uhr steigen die Beamten in den Streifenwagen - und sind um 16.17 Uhr am Sollner S-Bahnhof. Also nach neun Minuten. Und das, obwohl sie während ihrer Fahrt per Funk informiert werden, dass nun am Bahnsteig eine Schlägerei im Gang ist und die Beamten auf Sondersignale umschalten. Um 16.12 Uhr ertönt das Martinshorn, die Streife müsste da schon mindestens die Hälfte des Anfahrtsweges zurückgelegt haben. Trotzdem vergehen noch mal fünf Minuten, bis sie vor Ort ist. Der Rettungsdienst, der erst um 16.13 Uhr verständigt wurde, ist noch vor der Polizei am Bahnhof.

Zum Aufbau des Einsatzes will sich die Staatsanwaltschaft nicht äußern, sie verweist auf die Zuständigkeit der Polizei. Das Präsidium, so ein Sprecher, wolle zu den Anfahrtszeiten "nichts sagen". Gut zehn Tage benötigte die Polizei nach dem Tod von Dominik Brunner, um ein Zeitprotokoll des Einsatzes vorzulegen. Man wolle "alles prüfen und sattelfest machen", hieß es damals. Und angesichts der Wegstrecke, die der Streifenwagen habe zurücklegen müssen, sei die Zeitspanne "völlig in Ordnung".

Was den Aufbau des Einsatzes anbelangt, so erklärte die Polizei kurz nach Brunners Tod, dass als Einsatzgrund "verdächtige Personen" angenommen wurden und man deshalb nicht sofort mit Blaulicht losgefahren sei. Jetzt, im laufenden Prozess, ist Brunners Stimme zu hören, wie er dem Beamten in der Einsatzzentrale sagt, "da sind zwei, die andere ausrauben wollen". Der Beamte fragt nach: "Woher wissen Sie, dass das ein Raub ist?" "Weil sie es gesagt haben", antwortet Brunner. Es steht also ein Raub bevor, Brunner sagt, er werde mit den Jugendlichen in Solln aussteigen. Brunner kündigt eine bevorstehende Straftat an, doch die Polizei aktiviert dennoch nicht die Sondersignale. "Brunner klang ruhig und gefasst, er hat keine akute Bedrohungssituation formuliert", sagt Polizeisprecher Damian Kania.

Ob die Polizei es mit Blaulicht und Martinshorn rechtzeitig zum S-Bahnhof geschafft hätte, ob allein der Klang der Sirene die Täter gestoppt hätte, lässt sich nicht mehr beantworten. Als die Polizei um 16.17 Uhr eintraf, lag Brunner schon bewusstlos auf dem Bahnsteig.

© SZ vom 02.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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