Klassik:Schön und schmerzhaft

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Ist bei dem von ihr initiierten Musikfestival wieder selbst mit einem Mammutprogramm dabei: die Pianistin Sophie Pacini. (Foto: Claus Schunk)

Die Pianistin Sophie Pacini, die das mehrtägige Ayinger Musikfestival "Nuancen" voriges Jahr ins Leben gerufen hat, begeistert mit der Gitarristin Laura Lootens am ersten Abend im Sixthof. Ein Stück wird dem jüngst verstorbenen Kulturimpresario Michael Wöllinger gewidmet.

Von Udo Watter, Aying

Es hat schon seinen Sinn, dass Mnemosyne in der griechischen Mythologie die neun Musen geboren hat. Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung: Voraussetzung und Urgrund jeglicher Kunst. Die deutsch-italienische Pianistin Sophie Pacini, die sagt, dass "Musik ohne Erinnerung nicht möglich ist", hat eines ihrer Alben "Rimembranza" genannt und am Eröffnungsabend des von ihr initiierten Musikfestivals "Nuancen" im Ayinger Sixthof spielte sie daraus ein besonders bewegendes Stück - außerplanmäßig.

Der Anlass war ein trauriger. Das berühmte Liebesthema aus Ennio Morricones Soundtrack zu "Cinema Paradiso" widmete Pacini dem in der vergangenen Woche verstorbenen Michael Wöllinger, Mitgründer und langjähriger Vorsitzender der Ayinger Gmoa Kultur. Der Mann, der bei der Erstauflage des Festivals 2023 noch für den Ton verantwortlich zeichnete, hat in der Gemeinde etliche kulturelle Highlights auf den Weg gebracht - sogar Pacinis erstes Klavier-Recital: Die in Aying aufgewachsene Pianistin war damals elf Jahre alt, wie sie am Donnerstagabend erzählte. "Er war so was wie ein künstlerischer Ziehvater." Schön und schmerzhaft zugleich ist dann ihr Vortrag von Morricones Thema, das in unnachahmlicher Art eine Melancholie entfaltet, welche die Grenze zur Sentimentalität vielleicht touchiert, aber nie überschreitet.

Für längere Trauer war dieser Abend allerdings nicht gemacht. "Er hätte gewollt, dass wir es krachen lassen", meinte Pacini mit Blick auf Wöllinger und lieferte mit der "Ungarischen Rhapsodie" Nr. 6 von Franz Liszt gleich im Anschluss ein furioses pianistisches Bravourstück. Besonders der finale Abschnitt mit temporeichen, repetitiven Oktav-Läufen ist spektakulär.

Wie schon im vergangenen Jahr hat sich die renommierte Künstlerin, die weltweit konzertiert, auch heuer wieder ein individuelles Mammutprogramm gegönnt: An drei Abenden tritt die gebürtige Münchnerin auf, teilt sich die Konzerte freilich mit anderen, talentierten und namhaften Musikern. Am Donnerstag war dies die erstaunliche, junge Gitarristin Laura Lootens, am Freitag der Cellist Boris Andrianov und am Sonntag zum Abschluss steht ein Abend mit dem Blechreiz Brassquintett an. Zudem steigt am Sonntagmorgen noch eine Matinee mit zwei richtig jungen Künstlern: Andrea Cicalese (Violine) und Antonio Del Castillo (Akkordeon).

Die Konzerte waren heuer, wie auch 2023, schnell ausverkauft, inzwischen gibt es schon eine Warteliste für kommendes Jahr. Sogar die Promidichte war hoch: Unter anderem waren Maxi Schafroth, Florian Brückner und Gerd Anthoff am Donnerstag im Publikum. Die Erfolgsgeschichte des Festivals, das inzwischen auch vom Kulturfonds Bayern unterstützt wird, scheint sich also fortzusetzen. "Ich bin so stolz auf diesen Ort hier", sagte Pacini mit Blick auf den von der örtlichen Brauerei zur Verfügung gestellten Sixthof, "und so dankbar, dass jetzt die Ayinger Gmoa Kultur die Organisation übernommen hat". Und mit Augenzwinkern: "Jetzt sind wir seriöser aufgestellt."

Hochseriös war freilich auch der musikalische Beginn: Die 32-Jährige hatte sich mit Beethovens "Waldstein"-Sonate ein Schwergewicht der Klavierliteratur ausgewählt, bei dem sie nicht nur ihre große technische Klasse zeigte (von ein, zwei kleinen Unsauberkeiten abgesehen), sondern auch ihre interpretatorische Reife demonstrierte. Die besten Beethoven-Werke sind gleichsam essenzielle Tongemälde, in denen große Gefühle und Gedanken kompositorisch ausgemalt werden. Eine reflektierte Künstlerin wie Pacini setzt das mitreißend um, durchaus auch mit manch überraschender Akzentuierung und individualistischer Tempogestaltung. Was ihr dabei vielleicht noch mehr liegt als berückender Klangfarbenzauber, ist das kontrastive Ausgestalten und die dramaturgisch stimmige Steigerung.

Die Deutsch-Belgierin Laura Lootens besticht mit ihrer Bühnenpräsenz. (Foto: Claus Schunk)

Ähnlich wie Pacini, die ihre Stücke gewohnt eloquent einleitete, verlor auch die 1999 in Marktoberdorf geborene Deutsch-Belgierin Laura Lootens ein paar Worte zu den von ihr gespielten Werken. Die klassische Gitarristin, die 2022 den bedeutenden Andrés-Segovia-Wettbewerb in Spanien gewann, hat sich in ihren jungen Jahren schon ein hohes Renommee erspielt und das unterstrich sie in Aying. Dass sie mit Isaac Albinez' "Asturias" den populären "Allzeithammer" der klassischen Gitarrenliteratur (obwohl ursprünglich für Klavier geschrieben) im Sixthof spielte, war womöglich der Tribut an ein Publikum, dass sonst eher den Klang anderer Instrumente gewohnt ist.

Am Ende geben die beiden "Ladies in Red" gemeinsam eine Zugabe

Packende Wirkung hat ihre Interpretation auf jeden Fall gezeitigt, aber nicht nur hier, sondern auch beim Vortrag von Joaquim Malats "Serenata Española" entfaltete die mit unaufdringlich-bezwingendem Bühnencharisma gesegnete Lootens diesen besonderen Zauber, der sich einstellt, wenn technisches Können und künstlerische Durchdringung des Stoffs Hand in Hand gehen. Für einige Zuschauer wahrscheinlich auch neu zu erfahren, dass Paganini nicht nur der "Teufelsgeiger" war, sondern auch begabter Gitarrist, der für dieses Instrument zudem komponierte. Lootens demonstrierte eindrucksvoll, dass der exzentrische Italiener romantisch-verspielte Melodien schuf.

Auf befremdende Art verzaubernd war zudem ihre Interpretation der mystisch-verstimmten "Due Canzoni Lidie" von Nuccio D'Angelo und das "Capriccio Diabolico" von Mario Castelnuovo-Tedesco. Am Ende spielten die beiden "Ladies in Red", wie Pacini es ausdrückte, noch gemeinsam eine Zugabe: das Arrangement einer Beethoven-Variation über ein Mozart-Thema. Ein schöner Abend, die Musen dürften begeistert gewesen sein.

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