Aus für Garchinger Tandembeschleuniger:Universitäten bremsen Forscher aus

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Der Tandembeschleuniger am Maier-Leibnitz-Laboratorium ist technisch auf dem neuesten Stand. Trotzdem steht die gemeinsame Anlage von TU und LMU vor dem Aus - weil das Gebäude Brandschutzmängel aufweist.

Von Gudrun Passarge, Garching

Die Tage des Beschleunigerlabors in Garching sind gezählt. Am 15. Januar 2020 soll der letzte Nutzungstag sein. Es ist das Ende einer wissenschaftlichen Einrichtung, die seit 1970 gemeinsam von Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und Technischer Universität (TU) betrieben wurde und deren Tandembeschleuniger nach Aussage des Betriebsleiters Ludwig Beck "technisch auf dem neuesten Stand" ist.

Als Ursache der Schließung geben die beiden Universitäten Brandschutzmängel im Gebäude und die damit verbundenen hohen Kosten bei einer Sanierung an. "Aus Sicht der Wissenschaftler empfinde ich es als enorm bedauerlich", kommentiert Stephan Paul die Schließung. Der Physik-Professor an der TU ist Vorsitzender des Forschungskollegiums am Beschleunigerlabor. Die Untersuchungen und Experimente an dem Teilchenbeschleuniger seien "fast konkurrenzlos weltweit" gewesen, so Paul.

Früher sei im Maier-Leibnitz-Laboratorium (MLL) hauptsächlich Kernphysik betrieben worden, sagt Betriebsleiter Beck, aber inzwischen werde der Beschleuniger überwiegend für Tests in der Materialanalyse, der Astrophysik und der Medizinphysik genutzt. So hätten beispielsweise die Physiker erst jüngst mithilfe des Geräts nachweisen können, dass vor etwa 2,5 Millionen Jahren in Erdnähe eine Supernova explodiert ist. Die Forscher haben das radioaktive Eisen-60 in der Tiefseekruste und im Schnee der Antarktis mit Hilfe des Beschleunigers nachgewiesen, ein Isotop, das auf der Erde normalerweise nicht vorkommt.

Es war immer ausgebucht

Beck arbeitet schon seit zwanzig Jahren im Maier-Leibnitz-Laboratorium. Schon bei seiner Einstellung habe es geheißen, es drohe das baldige Aus, erzählt er. Aber es ging weiter und war immer ausgebucht, wie er berichtet. Dass das Gebäude überholungsbedürftig ist, darüber bestehe kein Zweifel, sagt Beck. TU-Pressesprecher Ulrich Marsch erinnert daran, dass das Labor bereits 2015 wegen Brandschutzmängeln geschlossen worden sei. Aber der damalige TU-Präsident Wolfgang Herrmann, habe sich damals dafür eingesetzt, das Gebäude wenigstens so herzurichten, dass die Doktoranden ihre Arbeiten dort noch beenden konnten, so Marsch. 2019 wurde laut Stephan Paul als Zeitpunkt für die Schließung gewählt, weil da die Excellenzcluster endeten, die mit der Anlage verbunden waren. Wenn jetzt noch einmal Umbauten erfolgen sollten, "dann müsste sofort auf den heutigen Brandschutzstandard umgerüstet werden. Bei einem Gebäude, das 50 Jahre alt ist, ist das völlig unwirtschaftlich", sagt Marsch.

Weil die Anlage unter die Strahlenschutzverordnung fällt, ist der Rückbau nach seiner Aussage "eine Riesenaufgabe". (Foto: Robert Haas)

Der Betriebsleiter kennt diese Argumentation und beklagt, dass viele Jahre nichts unternommen worden sei, um das Gebäude zu erhalten. Beck fand es vernünftig, dass 2015 noch einmal investiert wurde. Zumal das Labor viele Nutzer gehabt habe, "und viele Dinge, die Zukunft haben" dort erforscht würden. Versuche, die Hochschulleitung auf das Problem des maroden Hauses aufmerksam zu machen, seien jedoch nicht gehört worden, so Beck.

Marsch verneint dagegen den wissenschaftlichen Nutzen. Er spricht davon, dass "keine wissenschaftlichen Nutzungspläne mehr vorliegen". Weder bei der LMU noch bei der TU gebe es wissenschaftlich belastbare Pläne. Es gibt jedoch durchaus Forscher der beiden Universitäten, die von der Schließung betroffen sind. So müssen etwa die Mitarbeiter des Forschungsreaktors München II künftig ihre Untersuchungen zur Umstellung des Reaktorbrennstoffs auf niedriger angereichertes Uran in den USA vornehmen. "Wir bedauern die Schließung", heißt es von Seiten des FRM II, man habe mit dem Argonne National Laboratory in den USA eine enge Kooperation für zukünftige Bestrahlungstests vereinbart. "Dies ist aufgrund der großen Entfernung eine nicht so komfortable Alternative zum MLL-Beschleuniger hier vor Ort."

Kopfschütteln über die Entscheidung

Betroffen ist auch Günther Dollinger. Der Professor am Institut für angewandte Physik der Bundeswehr-Universität in Neubiberg hat seine Versuchsanlage in dem Beschleunigerlabor stehen. Mit einer Mikrostrahlanlage macht er dort strahlenbiologische und medizinische Experimente, zum Beispiel zur Tumor-Bestrahlung. Er hat nur "großes Kopfschütteln" für die Entscheidung von LMU und TU übrig und muss sich einen anderen Beschleuniger suchen. "Einen Beschleuniger in dieser Größe für interdisziplinäre Forschung gibt es in Deutschland nicht mehr", sagt Dollinger und ist um so mehr enttäuscht, als es von seiner Uni den Vorschlag gab, das Labor zu erhalten. 2018 habe man versucht, Kontakt zur Hochschulleitung aufzunehmen, auch mit dem Wunsch, das Gebäude zu übernehmen, sagt Dollinger, "aber die TU ist nicht auf das Angebot eingegangen." Wenn er jetzt ein neues Labor aufbauen müsse, rechnet er mit Kosten um die 50 Millionen Euro. Das Labor in Garching zu ertüchtigen würde seiner Meinung nach nur einen Bruchteil davon kosten.

Der Teilchenbeschleuniger ist von enormer Bedeutung: Die Physiker haben beispielsweise erst jüngst mithilfe des Geräts nachweisen können, dass vor etwa 2,5 Millionen Jahren in Erdnähe eine Supernova explodiert ist. (Foto: Robert Haas)

Mit Kosten von 50 Millionen Euro rechnet auch Ludwig Beck. So viel könnte seines Erachtens der Rückbau des Gebäudes kosten, denn der Kontrollbereich des Labors unterliege der Strahlenschutzverordnung. Das bedeutet, alle Gegenstände würden als potenziell radioaktiv angesehen und müssten beim Abbau freigemessen werden. "Das wird eine Riesenaufgabe", sagt Beck, der davon ausgeht, dass seine acht Kollegen und er eingebunden werden, zusätzlich zu einer externen Firma. Zu solchen Zahlen gibt es allerdings von den Universitäten keine Angaben. Das Staatliche Bauamt München 2 werde den Abbau vorbereiten, gegebenenfalls unter Hinzuziehung externer Sachverständiger. "Die Kosten hierfür liegen noch nicht vor", sagt Clemens Grosse, Pressesprecher der LMU.

Das Gebäude um den Teilchenbeschleuniger ist 50 Jahre alt und genügt modernen Brandschutzanforderungen nicht. (Foto: Robert Haas)

Der 15. Januar kommt schnell näher. Günther Dollinger hat sich mittlerweile zwei Anlagen in Italien angeschaut, mit denen er seine Experimente fortführen könnte. Aber er wisse nicht, ob er da überhaupt Zeiten und den Platz bekomme und seine Versuchsanlage anderswo wieder aufzubauen sei sehr schwierig, betont er. Der Professor der Bundeswehruni hat gerade einen weiteren Brief an die Hochschulleitung der TU geschickt, mit dem Ziel, die Schließung zu verhindern. Eines seiner Argumente: Erst kürzlich hätten 23 deutsche und internationale Institute ihr Interesse bekundet, das Beschleunigerlabor in Garching für ihre Forschung zu nutzen.

© SZ vom 03.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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