Integration:"Ich dachte, ich bleibe einfach immer nur Mitarbeiter"

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Vor dem beruflichen Aufstieg: Mohammed Al Kadri arbeitet sich im Paketzentrum in Aschheim Schritt für Schritt nach oben. (Foto: Sebastian Gabriel)

Mohammed Al Kadri kam vor sieben Jahren aus Syrien nach Deutschland. Inzwischen führt der 32-Jährige im Paketzentrum der Post in Aschheim Aufsicht über seine Kollegen und hat die nächste Karrierestufe im Blick.

Von Anna-Maria Salmen  , Aschheim

Über dem Kopf von Mohammad Al Kadri rattert ein Labyrinth aus Fließbändern dahin, das Dröhnen der Maschinen übertönt beinahe seine Stimme. Die Pakete und Päckchen von den Rollwagen auf die Bänder zu legen, sei seine erste Aufgabe gewesen, die er übernommen habe, erzählt er. An großen offenen Toren werden die Pakete mit Lastwagen angeliefert, um in der Halle weiterbefördert und sortiert zu werden. Seit sieben Jahren arbeitet Al Kadri im Paketzentrum der Deutschen Post in Aschheim. Kurz nach seiner Flucht hat der gebürtige Syrer hier angefangen, inzwischen ist der mittlerweile 32-Jährige für mehrere Mitarbeiter verantwortlich und will es als nächstes zum Schichtleiter in dem Unternehmen schaffen. Eine Erfolgsgeschichte.

Nach der es zunächst nicht unbedingt aussah. Von Libyen aus war er 2014 zunächst wie so viele über das Mittelmeer nach Italien gekommen. Die Überfahrt sei dramatisch gewesen: Fast 300 Menschen hätten sich in einem Boot gedrängt, das eigentlich nur für etwa 100 gemacht gewesen sei. "Das waren zu viele, es war sehr gefährlich." Al Kadri sucht immer wieder nach Worten, um seine Erlebnisse zu beschreiben. Sein Blick ist in die Ferne gerichtet, ganz so, als sähe er die Bilder von damals erneut vor seinem inneren Auge.

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Mehr als 100 Millionen Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen momentan weltweit auf der Flucht - so viele wie nie zuvor seit dem zweiten Weltkrieg. Nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine trägt zu dem Negativrekord bei. Angesichts dieser dramatischen aktuellen Entwicklungen scheinen die Ereignisse der Flüchtlingskrise im Jahr 2015, bei der mehr als eine Million Menschen vor allem aus Syrien nach Europa kamen, in vielen Köpfen beinahe verdrängt.

Nicht so bei Mohammad Al Kadri, der bereits 2014 aus seiner Heimat Syrien flüchtete. Wenn der 32-Jährige heute seine Geschichte erzählt, merkt man ihm an, dass seine Erfahrungen ihn noch immer prägen - auch wenn er sich mittlerweile in Deutschland integriert fühlt und bei seinem Arbeitgeber, dem Paketzentrum in Aschheim, auf einen Aufstieg blicken kann.

Mit dem eigenhändigen Verladen der Pakete aufs Fließband ging es für Mohammed Al Kadri in Aschheim los. (Foto: Sebastian Gabriel)

Einen Tag lang dauerte die Reise seinerzeit über das Mittelmeer, doch nach all den Strapazen wurde Al Kadri in Italien alles andere als herzlich aufgenommen, wie er erzählt. "Ich habe dort fast Schläge von der Polizei bekommen, ich weiß nicht warum." Mit dem Zug fuhr er schließlich weiter nach Deutschland, wo er am Münchner Hauptbahnhof deutlich freundlicher empfangen wurde: "Alle waren sehr nett und haben mir geholfen." Nach seiner Familie gefragt, wird Al Kadri leise. Sie sei ebenfalls geflüchtet, doch wo sie heute lebt, kann er nicht sagen. Der Kontakt sei auf der Flucht vollständig abgebrochen.

Als er vor knapp sieben Jahren von der Arbeitsagentur die Anstellung im Aschheimer Paketzentrum vermittelt bekam, fand Al Kadri schnell Anschluss: Ein Mitarbeiter habe ihn unter seine Fittiche genommen, "er war wie ein Vater". Aus einigen Monaten, in denen er lediglich zur Probe arbeitete, wurde schließlich eine Festanstellung.

Die Arbeit hat ihm geholfen, Deutsch zu lernen

Die Anfangszeit sei durchaus schwierig gewesen, denn Al Kadri sprach kein Deutsch. "Das habe ich in Deutschland gelernt, erst habe ich einen Kurs gemacht und dann selber weitergelernt." Seine deutschen Kollegen zu verstehen und sich selbst in der fremden Sprache zu verständigen, sei damals die größte Herausforderung gewesen. Die Arbeit habe ihm allerdings geholfen, schneller Fortschritte zu machen.

Wegen seiner mangelnden Deutschkenntnisse war der heute 32-Jährige zunächst wenig zuversichtlich, im Paketzentrum Karriere zu machen: "Ich dachte, ich bleibe einfach immer nur Mitarbeiter." Doch er irrte sich: Zunächst stieg Al Kadri zum Gruppenführer auf, vor zwei Jahren wurde er Aufseher über die anderen Mitarbeiter. Die Männer, die die Pakete auf die Rollbänder legen, sind nun ihm unterstellt. Ihr Verhältnis ist dennoch weiterhin kollegial, das merkt man beim Rundgang durch die Halle. Al Kadri scherzt mit ihnen, sie lachen, als er für Fotos vor den Paketen posiert.

300 bis 350 Menschen arbeiten laut Al Kadri täglich in der riesigen Halle, aufgeteilt in Tag- und Nachtschicht. Al Kadri selbst muss sie beaufsichtigen, das Personal an die verschiedenen Stationen aufteilen und auf die Pausen achten. Auch Störungen behebt er, um für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen.

Heute hat der gebürtige Syrer in der großen Pakethalle die Arbeit seiner Kollegen im Blick. (Foto: Sebastian Gabriel)

Damit trägt der ehemalige Flüchtling keine geringe Verantwortung: Das Aschheimer Paketzentrum ist eines der größten in Deutschland mit einem der höchsten Durchgänge an Paketen. Rund 400 000 Pakete werden hier innerhalb von 24 Stunden bearbeitet, zu Spitzenzeiten wie beispielsweise vor Weihnachten sind es noch mehr. Al Kadri ist nach eigenen Worten stolz, mithelfen zu können, dass so viele Menschen ihre Pakete erhalten. Dass er in Aschheim noch weiter aufsteigen kann, davon ist er inzwischen überzeugt: Sein Ziel ist es, eines Tages Schichtleiter zu werden.

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