Arm trotz Mindestlohns:8,50 Euro sind im Landkreis zu wenig

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Seit Januar 2015 gilt deutschlandweit ein Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Die SPD feiert die Einführung des Mindestlohns als Erfolg. Doch im Landkreis reicht der festgeschriebene Betrag nicht allen zum Leben.

Von Markus Mayr, Landkreis

Die SPD in Taufkirchen hat unlängst den Mindestlohn als einen "sozialdemokratischen Erfolg" gefeiert. Doch ein gutes Jahr nach seiner Einführung wünschen sich manche Genossen bereits, dass die Lohnuntergrenze angehoben wird. Die Mindestlohn-Kommission berät heuer über eine bundesweite Erhöhung in 2017. In der teuren Region München wäre ein sattes Lohnplus sicherlich im Sinne der Geringverdiener. Denn dort reicht der Mindestlohn sowieso kaum zum Leben.

Ballungsraumzuschläge regt die Kreisvorsitzende des DGB an

Die Lebenshaltungskosten in der gesamten Metropolregion sind zu hoch für jemanden, der brutto 8,50 in der Stunde verdient. "In München-Land brauchen Menschen einen Stundenlohn von 11,50 Euro, um aus der Armut zu kommen", sagt Simone Burger, die Vorsitzende des Münchner Kreisverbands des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Man müsse den Mindestlohn anheben und auch über Ballungsraumzuschläge nachdenken.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung klassifiziert in einem aktuellen Bericht den deutschen Mindestlohn als Armutslohn. Das muss um so mehr im Landkreis München gelten, in dem die Kosten zur Lebenshaltung weit über dem bundesweiten Durchschnitt liegen. Als Armutslohn gilt der Lohn, der weniger als die Hälfte des Medianlohns ausmacht. Der Median wiederum verläuft auf dem Verdienst-Niveau, das die Hälfte der Deutschen unter- und die andere Hälfte überschreitet.

Das Jobcenter im Landratsamt München, das für die Grundsicherung der Arbeitssuchenden und Geringverdiener zuständig ist, verzeichnet wegen des Mindestlohns "nicht mehr oder weniger Leistungsbezieher", wie Geschäftsführer Bernhard Sexl sagt: "Es gibt keinen merkbaren Effekt." Das Niveau des Mindestlohns sei auch nicht das Problem. "Vielmehr mangelt es im Landkreis München etwa an günstigem Wohnraum, weshalb Menschen - je nach Bedarf - trotz Arbeit Leistungen bei uns beantragen müssen."

Der Bedarf steigt mit der Miete und der Größe der Bedarfsgemeinschaft, also zum Beispiel der Familie. Wer einen hohen Bedarf hat, muss also mitunter trotz Arbeit Stütze beziehen. Dennoch meint Sexl, dass dieses Problem im Landkreis nicht stärker ausgeprägt ist als anderswo: "Dass jemand Vollzeit arbeitet, und trotzdem Leistungen vom Jobcenter bezieht, ist hier nicht signifikant höher als im Rest von Deutschland."

27 Prozent der arbeitsfähigen Leistungsbezieher im Landkreis haben einen Job

Der DGB zitiert dazu eine Statistik für den Landkreis München: 27 Prozent aller Menschen, die arbeitsfähig sind und Leistungen vom Jobcenter beziehen, haben demnach einen Job. In absoluten Zahlen: 1339. Ein knappes Drittel davon verdient mehr als 1200 Euro im Monat. "Es ist davon auszugehen", sagt Burger, "dass sie in Vollzeit arbeiten." Das sei bayernweit negative Spitze. Bei annähernder Vollbeschäftigung im Landkreis - zu Löhnen, die meist weit über dem Mindestlohn liegen - sind diese Zahlen verschwindend gering. Dennoch zeigen sie: Armut trotz Arbeit ist Realität im Landkreis, selbst mit Mindestlohn.

Das Schreckensszenario vom massiven Stellenabbau, das vor allem Arbeitgeber und Wirtschaftsvertreter vor der Einführung des Mindestlohns gezeichnet haben, hat sich im Landkreis München zumindest bisher nicht bestätigt. Simone Burger vom DGB sagt: "Das sehen wir überhaupt nicht, dass das eingetreten ist." Der DGB habe von Juni 2014 auf Juni 2015 im Landkreis München einen vierprozentigen Anstieg von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen festgestellt. In der Gastronomie sei die Anzahl solcher Arbeitsverhältnisse sogar um mehr als acht Prozent gestiegen, im Bereich der sonstigen Dienstleistungen gar um knapp 14 Prozent.

Die Meinungen über den Mindeslohn sind gespalten

Bertram Brossardt, der Geschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), hält den Mindestlohn dennoch für grundsätzlich "falsch" und beklagt "schwere handwerkliche Fehler" in dem Gesetz, etwa bei den Regelungen zu Praktika. Der Mindestlohn, sagt Brossardt, "vernichtet Beschäftigungschancen, vor allem von Geringqualifzierten und Langzeitarbeitslosen."

Brossardt verweist darauf, dass konkrete Effekte "sich erst nach einer längeren Zeit zeigen" werden. Bundesweit sei aber bereits die Zahl der Mini-Jobs um vier Prozent zurückgegangen.

Die Gewerkschafterin Burger allerdings sieht die 40 000 Mini-Jobber in München-Land als mit die größten Profiteure des Mindestlohns: "Weil wir auch hier massiv niedrige Löhne hatten." Doch der Gewinn ist relativ. Als Mini-Jobber ist man weder sozialversichert noch reichen 450 Euro monatlich irgendwo in Deutschland zum Leben, geschweige denn im Landkreis München.

Immerhin, so Burger, sei mit dem Mindestlohn erstmals eine Trendwende zu beobachten gewesen. Hätten vor 2015 hauptsächlich gut qualifizierte Arbeitnehmer von Lohnsteigerungen profitiert, erklärt Burger, so profitierten nun erstmals auch gering Qualifizierte.

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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