Kunst im Allgäu:Abseits des Mainstreams

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Das Kunsthaus Kaufbeuren mit seinem markanten Turm hat sich in den fast 26 Jahren seines Bestehens zu einem zentralen Ort für das kulturelle Leben der Stadt entwickelt. (Foto: Matthias Wild)

Das Kunsthaus Kaufbeuren sorgt seit fast 26 Jahren mit hochwertigen Wechselausstellungen für lebhafte Debatten in der Provinz. Die Horst-Janssen-Sammlung, zu sehen in der aktuellen Schau, bewog einst den privaten Mäzen, das Haus zu bauen.

Von Sabine Reithmaier, Kaufbeuren

Eigentlich wollte das Kunsthaus Kaufbeuren im Vorjahr sein 25-jähriges Bestehen feiern. Aber die Pandemie wusste das geschickt zu verhindern. Was bleibt also anderes übrig, als das Jubiläum in diesem Sommer festlich zu begehen. Jan T. Wilms, seit sieben Jahren Chef des Hauses, sitzt gerade an der umfangreichen Festschrift, die die Geschichte des Kunstforums und der bislang fast 90 Ausstellungen beleuchtet. Und natürlich den Stifter würdigt, den 2003 verstorbenen Kaufbeurer Bauunternehmer Hans Dobler, der das markante Gebäude spendiert hat. Trotz der zeitgenössischen Materialsprache - Beton und Glas - fügt sich das Haus gut in die Altstadt ein, das steile Dach erinnert an einen Salzstadel.

So großzügige Mäzene wie Hans Dobler sind selten. Er schenkte Kaufbeuren nicht nur das Ausstellungshaus, sondern gründete auch eine Stiftung, die den laufenden Betrieb finanziert. Eröffnet wurde im Mai 1996, Gründungsdirektor Boris von Brauchitsch präsentierte farbstarke Bilder von Alexej Jawlensky und Masken aus Burkina Faso. Zum 25. respektive fast 26. Geburtstag lockt das Haus mit einer Horst-Janssen-Ausstellung. Denn Peter Dobler, der Bruder des Stifters, hatte der Stadt 400 Werke des Zeichners und Grafikers vermacht. Die besaß zwar ein Museum, aber keinen geeigneten Ort, um Janssen auszustellen. Sicher auch ein Umstand, der Hans Dobler zu seiner großzügigen Spende bewog. Das Kunsthaus selbst hat keine eigene Sammlung, ist aber laut Stiftungszweck für die Pflege, Aufarbeitung und regelmäßige Präsentation des Janssen-Konvoluts zuständig. Das Jubiläum sei doch ein guter Anlass, sich daran mal wieder zu erinnern, sagt Wilms. Zumal die letzte Janssen-Präsentation schon mehr als zehn Jahre zurückliegt. Unter dem Titel "Vom Werden und Vergehen" verdeutlicht er mühelos, was für einen großartigen Schatz Kaufbeuren mit dieser Sammlung besitzt.

Eine berühmte Radierung, die zur Sammlung der Stadt Kaufbeuren gehört: Horst Janssens Werk "o.T. (Klee und Ensor um einen Bückling streitend)" aus dem Jahr 1961. (Foto: Courtesy Stadtmuseum Kaufbeuren, Sammlung Horst Janssen, VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Zeitlebens schieden sich an Horst Janssen (1929-1995) die Geister. Dass er genial zeichnen, aquarellieren, lithographieren und radieren konnte, daran bestand kein Zweifel. Seinen Fans galt er als der wichtigste deutsche Zeichner der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; anderen war das Multitalent, zeitlebens dem Alkohol, Zigaretten und Frauen sehr zugeneigt, zu wenig intellektuell und zu derb. Im Augenblick ist der in den Achtziger- und Neunzigerjahren omnipräsente Künstler sogar ein wenig ins Abseits gerutscht, ist nicht mehr "up to date" (Wilms). Zu Unrecht, wie die Schau belegt.

Mit 150 Werken bietet sie einen guten Überblick über alle Themen, die Janssen wichtig waren, zeigt Landschaften, Porträts, Akte, Tiere, Traumbilder, Steine, Muscheln und natürlich die Selbstbildnisse - Janssen hat wohl mehr als 1000 davon gezeichnet. "Meine Selbstportraits sind - bei aller Vulgarität - Stillleben. Mitunter ist mein Gesicht so still wie ein fauler Apfel. Bon", zitiert ihn eine Wandtafel. Wie ein Besessener stellt er am Beispiel des eigenen Gesichts Deformation, Auflösung und Verfall dar, zu beobachten insbesondere im grandiosen Radierzyklus "Hanno's Tod" aus dem Jahr 1972, benannt nach dem jüngsten Spross der Familie Buddenbrook, den Schulangst, Alpträume und nächtliche Panikanfälle quälen. 16-jährig lässt ihn Thomas Mann an Typhus sterben.

Einen Vogel, in dem Janssens Gesicht auftaucht, zeigt die Radierung "o.T. (Selbst mit Vogel)" aus dem Jahr 1973. (Foto: Courtesy Stadtmuseum Kaufbeuren, Sammlung Horst Janssen, VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Die verfremdeten, wie zerflossen wirkenden Selbstbildnisse fordern die Phantasie des Betrachters. Manchmal erkennt man nur ein Auge, alles andere löst sich auf. Die Vergänglichkeit ist ein Zentralmotiv der Werke. Nicht überraschend, Janssen hat den Tod früh kennengelernt. Er ist erst zehn Jahre alt, als sein Großvater stirbt, bei dem er in Oldenburg aufwuchs. Vier Jahre später verliert er seine Mutter. Sein Talent freilich wurde früh erkannt und gefördert, noch minderjährig wird Janssen nach dem Krieg an der Landeskunstschule in Hamburg aufgenommen. Dort experimentiert er von 1947 an mit Farbholzschnitten. Vier großformatige Drucke aus der frühen Zeit hängen in der Ausstellung. Mit ihnen erzielte Janssens erster Galerist, Hans Brockstedt, in Hannover 1957 erste Verkaufserfolge. Janssen selbst ist zu dem Zeitpunkt längst bei Radierung und Lithografie angelangt.

Die berühmten erotischen, teils auch pornografischen Arbeiten sind übrigens in Doblers Sammlung kaum vertreten, dafür umso mehr Landschaften. Kopfweiden in öder Landschaft, die Elbniederungen mit wildem Gestrüpp und verkrüppelter Birke. Oft bannt Janssen fast idyllische Momente aufs Papier, Verwüstung und Chaos bleiben trotzdem spürbar. Wenn ihn etwas faszinierte, spielte er das Sujet x-fach durch, zeichnete Steine und Muscheln in allen Abstraktionsformen. Die Textzeilen, meist mitten im Bild, beziehen sich nicht unbedingt auf das Dargestellte, sind aber oft witzig. "Sie sagt, sie könne auch mit einem Ornithologen auf einer Insel zusammenleben - bis die Katze kommt ..." steht auf einem Blatt aus der Serie "Svanshall", einem kleinen schwedischen Fischerdorf, in dem Janssen sich mehrmals aufhielt.

Neben den Motiven des Verfalls hält Janssen starke Erneuerungskräfte fest. Hier "o.T. (Rabarber, Blätter)", eine mit Buntstift und Gouachefarben bearbeitete Radierung. (Foto: Courtesy Stadtmuseum Kaufbeuren, Sammlung Horst Janssen, VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Knappe Kasse

Inzwischen besitzt das Kunsthaus auch eigene Bilder, meist Ankäufe aus Ausstellungen. "Vielleicht 90 Werke", schätzt Wilms. Damit könne er nicht groß arbeiten, höchstens mal ein Bild verwenden, wenn es in einen Ausstellungskontext passt. Ansonsten muss er für jede Ausstellung von vorn anfangen, muss Institutionen oder Sammler davon überzeugen, ihre Werke auszuleihen und nach Kaufbeuren zu geben. Das gelingt inzwischen gut, denn das Kunsthaus hat sich durch seine mutigen Ausstellungen und gewagten Dialoge - jüngst kombinierte Wilms etwa den Maler Shannon Finley mit den Werken Rupprecht Geigers - einen ausgezeichneten überregionalen Ruf erarbeitet. Freilich sind Versicherungen und Transporte nicht billig. Und da ein Haus mit Wechselausstellungen nicht als Museum gilt, erhält es vergleichsweise wenig staatliche Fördermittel. "Unfair", findet Wilms, "wir haben ungleich höhere Hürden finanzieller Art zu bewältigen und können, anders als klamme Museen, nie eine Schau aus der eigenen Sammlung bestreiten."

Ein Format, das sich bewährt hat, ist "BlickFang", eine 2016 eingeführte Präsentation aktueller Kunst im Allgäu. In zweijährigem Rhythmus präsentiert diese Verkaufsausstellung Werke von jungen Künstlerinnen und Künstlern aus dem gesamten deutschsprachigen Raum der EU. Eine Fachjury entscheidet über die Zulassung zur Schau, die in diesem Herbst unter dem Motto "Verbotenes Terrain" steht.

Das passt irgendwie gut zur nächsten Ausstellung: "Terra Infirma" (3.6. bis 11.9.) mit der Berliner Videokünstlerin Nathalie Grenzhaeuser, der Bildhauerin und Fotografin Magdalena Jetelová und der irischen Filmemacherin Clare Langan. Drei Frauen, die in ihrer Kunst ebenso feinsinnig wie poetisch den globalen klimatischen Veränderungen nachspüren.

Horst Janssen: Vom Werden und Vergehen, verlängert bis 15.Mai, Kunsthaus Kaufbeuren , Spitaltor 2, Kaufbeuren

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