Kunstaktion in München:3000 Mohnblumen aus Seide für den Königsplatz

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Der Künstler Walter Kühn will mehrere Tausend rote Mohnblumen auf dem Königsplatz aufststellen. (Foto: Catherina Hess)
  • Der Künstler Walter Kuhn will im November mit Mohnblumen aus Seide auf dem Königsplatz an die Toten des Ersten Weltkriegs erinnern.
  • Auf den vier zentralen Grünflächen zwischen Glyptothek und Antikensammlung sollen dazu die 3000 fast hüfthohen Blumen aufgestellt werden.
  • Die Stoffkreise lässt Kuhn in der Nähe von Sarajewo produzieren.

Von Ulrike Steinbacher

Eigentlich ist er ein Sommerbote, verheißt Sonnentage, Gräserduft, Leben. Doch auf den Schlachtfeldern von Ypern in Belgien, wo im Ersten Weltkrieg Hunderttausende Soldaten starben, wurde der rote Klatschmohn zum Symbol für Blutvergießen, Schmerz und Tod, verewigt im berühmten Gedicht eines kanadischen Offiziers für seinen gefallenen Freund. "In Flanders' fields the poppies blow", lautet die erste Zeile. In englischsprachigen Ländern gilt Mohn seit damals als Gedenkblume für Kriegsopfer. Der zugehörige Gedenktag ist als "Poppy Day" bekannt und wird in Großbritannien feierlich begangen, genau wie in Belgien und Frankreich. In Deutschland dagegen ist dieser 11. November 1918, der Tag, an dem mit dem Waffenstillstand von Compiègne der Erste Weltkrieg endete, ziemlich in Vergessenheit geraten. Walter Kuhn möchte das ändern - mit Mohnblumen.

Im November, wenn sich das Kriegsende zum 100. Mal jährt, will der Aktionskünstler mit einem spektakulären Open-Air-Projekt auf dem Königsplatz der Gefallenen und der zivilen Opfer von Kriegen auf der ganzen Welt gedenken: An sie sollen auf den vier zentralen Grünflächen zwischen Glyptothek und Antikensammlung 3000 künstliche, fast hüfthohe Mohnblumen erinnern. "Never Again" nennt Kuhn das Projekt. "Ein Meer von im Wind sich wiegenden roten Blumen in den oft grauen Tagen des Monats der Trauer", so beschreibt der 71-Jährige seine Idee auf der Website www.niemalswieder.com.

Den Königsplatz findet er dafür perfekt. Der hat zwar wenig mit dem Ersten Weltkrieg zu tun, dafür aber umso mehr mit den Nationalsozialisten, die den Zweiten Weltkrieg begannen. Sie ließen das Grün des klassizistischen Platzes unter Granitplatten verschwinden und missbrauchten ihn für ihre Machtdemonstrationen.

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Was Krieg anrichtet, hat Walter Kuhn schon als Kind gesehen. Er wurde 1946 geboren und wuchs im völlig zerstörten Nürnberg auf. Sein Schulweg führte durch eine Trümmerlandschaft. Später im Leben begegnete ihm das Thema immer wieder, etwa im Massif central, wo Frankreich traditionell besonders viele Soldaten rekrutierte und wo die Spätfolgen der Kriegsverluste in den sterbenden Dörfern noch heute spürbar sind. Walter Kuhns Projekt hat aber auch eine aktuelle politische Dimension. Er sieht es als "stille Demonstration gegen die noch immer stattfindenden Heldengedenkfeiern rechtslastiger Traditionsverbände mit militärischem Gepränge und klingendem Spiel". Gerade weil sich revanchistisches Gedankengut wieder breitmache, sei eine klare ästhetische Intervention notwendig, denkt er. "München kann mit dieser Aktion ein Zeichen setzen."

München, besser gesagt die städtischen Genehmigungsbehörden, von dem Projekt zu überzeugen, erwies sich dann aber als recht aufwendig: Das Kulturreferat lehnte den Antrag des Künstlers zweimal ohne Begründung ab, letztlich landete er beim Baureferat, das für Sondernutzung des öffentlichen Raums zuständig ist. Dessen Kunst-am-Bau-Kommission Quivid stimmte zwar dem Projekt an sich zu, der schwarze Infocontainer aber, der optisch einen Kontrast zum roten Mohn bilden und für Lesungen genutzt werden soll, musste wiederum vom Kreisverwaltungsreferat (KVR) abgesegnet werden.

Ein halbes Jahr dauerte der bürokratische Rundlauf, die schriftliche Zusage kam erst Mitte Januar dieses Jahres. Da überlegte Walter Kuhn schon, nach Berlin auszuweichen, weil die Vorbereitungszeit langsam knapp wurde. Inzwischen fehlt ihm nur noch das Extra-Plazet des Kreisverwaltungsreferats für die Vernissage.

Anderswo stößt der Aktionskünstler auf mehr Unterstützung: Der Bezirksausschuss Maxvorstadt steht geschlossen hinter dem Projekt und bietet Mithilfe an, Winfried Nerdinger, der Gründungsdirektor des NS-Dokuzentrums, befürwortet es, und auch der leitende Sammlungsdirektor der Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek, Florian S. Knauß, gab seine anfängliche Skepsis auf. Kulturinstitute und kirchliche Hochschulgemeinden überlegen, zum Rahmenprogramm beizutragen, und die TU München, die dieses Jahr 150-jähriges Bestehen feiert, macht Kuhn zum Projektpartner. Sie bietet ihm das Audimax als Ausweichquartier an, falls das Wetter im November für eine Open-Air-Vernissage zu schlecht ist.

Gut 60 000 Euro wird die Mohnblumen-Aktion nach Kuhns Kalkulation kosten, weniger, wenn er auf sein Honorar verzichtet und viele ehrenamtliche Helfer findet. Gerade sucht er Sponsoren, prüft Vermarktungsmöglichkeiten, wirbt um Zuschüsse. Eine Stiftung hat zugesagt, ein eventuelles Defizit zu übernehmen. Für die Produktion der Blumen hat Kuhn schon Mitstreiter gefunden - und dabei gleich noch einen Bogen zu seinem Thema geschlagen. Er lässt die 80 Zentimeter großen Kunstseide-Kreise von einer deutsch-bosnischen Firma in Prijedor produzieren: "Das ist nicht weit weg von Sarajewo, wo der Erste Weltkrieg seinen Ausgang nahm", sagt er. Und noch ein Anknüpfungspunkt hat sich ergeben: Die Firma Muc-Tex näht zum Selbstkostenpreis, denn Gründerin Amra Kosaric identifiziert sich mit der Mohnblumen-Symbolik. Die Lebensgeschichte der Bosnierin ist von Krieg und Vertreibung geprägt.

Um die 3000 Stoffkreise aus Prijedor in Blumen zu verwandeln, wird ein fünf Millimeter dicker, biegsamer Draht eingezogen, der die Kunstseide zum Blütenkelch rafft und sich dann zum Stengel verlängert. Bald muss Kuhn entscheiden, ob er die circa eineinhalb Tonnen schweren Drahtstängel von Oberfranken, wo sie hergestellt werden, nach Bosnien transportiert und dort auffädeln lässt, oder ob er in München genug Freiwillige für diese Arbeit findet.

Das "Pflanzen" seiner Blumen im November auf dem Königsplatz soll auf alle Fälle eine große Gemeinschaftsaktion werden. Damit der Mohn die Herbststürme übersteht, muss er regelrecht eingesetzt werden: Mit Pressluftbohrern sollen Freiwillige 30 bis 40 Zentimeter tiefe Löcher bohren, in die wiederum hohle Eisenrohre gesteckt werden, die dann die Drahtstängel aufnehmen und stabilisieren. Sollte das rote Mohnblumenmeer auf dem Königsplatz am Ende schwarze Zahlen schreiben, geht der Überschuss übrigens an die interkulturelle Stiftung Kolibri - für Flüchtlingsprojekte. Denn da schlägt Walter Kuhn noch einmal einen Bogen zwischen Kunst und Wirklichkeit: "Es ist wichtig und moralisch geboten", schreibt der Künstler, "sehr konkret den Opfern gegenwärtiger Kriege zu helfen."

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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