Während draußen auf dem Lande die Wirtshäuser sterben, macht drinnen in der Stadt eins nach dem anderen auf: verkehrte Welt! Tatsächlich ist das bayerische Wirtshaus im Trend, in Schwabing hat erst kürzlich gar eines für die Jugend eröffnet. Und direkt am Hauptbahnhof, in der Bayerstraße, gibt es seit Ende August die Münchner Stubn, die sich im Untertitel "Wirtshaus & Speisemanufaktur" nennen. Die beiden Hoteliers Kathrin Wickenhäuser-Egger und Andreas Egger vom Hotel Cristal um die Ecke haben das Lokal aufgemacht, um gepflegte Münchner Gastlichkeit ins Bahnhofsviertel zu bringen.
"SZ Kostprobe":Wie Restaurant-Kritiken in die Zeitung kommen
Viele halten den Job des Restaurant-Kritikers für puren Luxus. Und, ja: Oft macht es Spaß. Ein Blick hinter die Kulissen der "SZ Kostprobe".
Der erste Eindruck ist recht positiv. Die große Schwemme ist im dezenten neobajuwarischen Stil eingerichtet, die Wände in dunklem Holz getäfelt. An den Wänden stehen, mit Kreide geschrieben, bayerische Sinnsprüche wie jener von Karl Valentin: "Leit, saufts ned so vui, trinkts liaba a Bier." Natürlich mangelt es noch an Patina, aber das typische Wirtshauswohlgefühl stellt sich hier durchaus ein. Sehr erfreulich auch, dass die Eggers in der Speisekarte nahezu völlig auf den für neuere bayerische Wirtschaften so typischen Deppenapostrophen verzichten.
Die Auswahl an selten gewordenen Gerichten überrascht positiv
Angenehm überrascht wird man auch durch eine Reihe selten gewordener Gerichte wie die sauren Knödel oder die Milzwurst sowie eine akzeptable Auswahl an Vegetarischem. Eingebremst wird man in seiner Freude aber durch die Preise: Die sind ganz schön happig. Das fängt bei den Getränken an. Die Halbe Helles von Paulaner für 4,30 Euro, frisch vom Holzfass sogar für 4,50 Euro, die sechs offenen Weine von normaler Qualität zu 7,40 bis 7,60 Euro pro 0,2 Liter - das nennt der Bayer "ausgschamt". Auch die Speisen sind vom Preisniveau her eher in der Maximilianstraße als im Bahnhofsviertel angesiedelt.
Restaurant "Drei Mühlen":Ein Wirtshaus vom alten Schlag
Im Schlachthofviertel toben längst Gentrifizierung und Szenelokalisierung. Aber es gibt nach wie vor kleine Oasen, wo sich noch ganz normale Münchner treffen und gut essen können.
Vorneweg versuchten wir es mit den sauren Knödeln. In der Münchner Stubn erinnern sie an ein Bild des alten Farben-Tröpflers Jackson Pollock, einem der Pioniere des Action Painting. Die fast schon carpacciohaft hauchdünn geschnittenen Semmelknödelscheiben in Essigmarinade dienen nur als Grundlage (vulgo Leinwand) für ein buntes vegetarisches Allerlei aus roten Zwiebeln, Schnittlauchröllchen, Paprika, Radieserl und Sprossen. Kunsthistorisch mag das interessant sein, kulinarisch aber ist es "um a Fünferl a Durchanand", wie der Münchner sagt, wobei die diversen Gemüsesorten den Geschmack der sauren Semmelknödel nahezu vollständig überdecken, was nicht Sinn der Sache sein kann. Das Kunstwerk vom Semmelknödel kostet dann doch stolze 9,50 Euro, nicht gerade wenig für ein traditionelles Resteessen.
Ein Unikat war es übrigens auch nicht. Beim nächsten Besuch fand sich fast haargenau die gleiche Deko beim gebeizten Saibling als Vorspeise (15,90), zu dem auch noch ein arg gesalzener Reiberdatschi von der Konsistenz eines stark aufgequollenen Bierfilzls gereicht wurde. Mit den Sprossen scheint es Küchenchef Stefan Meindl übrigens zu haben. Die finden sich nämlich auch im Münchner Tellerfleisch (17,90), wo sie nun wirklich nichts verloren haben.
Gegen das Gericht war ansonsten wenig einzuwenden, das Fleisch aus dem Bürgermeisterstück war fein, am gehobelten Meerrettich war nicht gespart worden, dafür gab es statt der auf der Karte versprochenen Bratkartoffeln in einer Extraschüssel Ofenkartoffeln. Im Grunde ist das einerlei, zum Tellerfleisch passen ja weder die einen noch die anderen. Die Brühe war nicht überragend kräftig. Das war uns schon bei der Rinderkraftbrühe mit Grießnockerln (6,50) aufgefallen. Wenigstens ein oder zwei Fettaugen hätten der Suppe wohlangestanden, und überhaupt stand die Frage im Raum, ob da nicht doch die Herren Maggi oder Knorr ihre Finger im Spiel gehabt hatten.
Zum Ferdinand:Da kriegst ein Vogerl
Das Restaurant Zum Ferdinand im Bamberger Haus bietet eine vorzügliche Wiener Küche - die hat allerdings ihren Preis. Der Service ist ungewöhnlich aufmerksam. Doch es gibt etwas, das den Gast in Bedrängnis bringt.
Ähnliches vermuten wir von den tennisballgroßen Kartoffelknödeln, die wohl wegen der Größe paarweise serviert werden. Beispielsweise zum Schweinekrustenbraten (14,30), der aus einem schmalen Streifen Kruste und zwei etwas trockenen Fleischscheiben bestand, immerhin der Speckkrautsalat war tadellos. Die Spanferkelhaxerl (16,50) waren zwei (ziemlich kleine) Stelzen mit schöner Kruste, zu denen einzig die Dunkelbiersoße nicht recht passen wollte.
"Schwoam mas owe!"
Das Entenbradl (23,80) in Gestalt zweier Entenhaxen war angemessen resch, das Apfelblaukraut schmeckte hingegen so penetrant nach Zimt und Lebkuchen, dass es Marcelinus Sturm schlagartig wieder weihnachtlich zumute wurde. Und das gebratene Saiblingsfilet (19,80) schien viele Stunden auf einer Warmhalteplatte verbracht zu haben, oder der Fisch schien an Trockenheit verendet zu sein. Ärgerlich. Das machte wenig Lust darauf, sich noch an so ein Experiment wie "Krautwickerl vom Zander" (24,80) zu wagen.
Bleibt noch zu sagen: Der Service ist in der Münchner Stubn bemüht und freundlich, auch wenn er einen schon mal eine geschlagene halbe Stunde vor dem abgegessenen Teller sitzen lässt. Aber das sind Petitessen, für die, wie für so vieles, jener Satz gilt, der an der Stirnseite zur Bayerstraße hin an der Wand steht: "Schwoam mas owe!"