Klassik:Wilder Haufen, beseelte Gemeinde

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Die Klangverwaltung führt Bachs Weihnachtsoratorium in der Isarphilharmonie auf. Chor und Solisten agieren herausragend, Countertenor Andreas Scholl hat die Doppelrolle als Sänger und Orchesterleiter. Das klappt nicht immer gut, schadet aber der Stimmung nicht.

Von Paul Schäufele, München

Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium ist ein Werk der Gegensätze. Sakrale Innerlichkeit und opernhafte Brillanz, Vorantreiben der biblischen Geschichte und reflektierendes Innehalten, Einzelrede und Gemeindechor sind einige der Pole, zwischen denen Spannung entsteht. Andreas Scholl, der Chor und Orchester der Klangverwaltung leitet, entscheidet sich für den Blick nach vorne, der das bekannte Handlungsgerüst hervortreten lässt. In bisweilen unbarmherzig schnellen Tempi lotet er das dramatische Potenzial der Kantaten aus, was vor allem in den nicht immer gespielten letzten drei Kantaten zur Geltung kommt.

Ludwig Mittelhammer und sein aus der Tiefe strahlender Bass taugen bestens, um die Verschlagenheit des Königs Herodes auszugestalten und damit eine Opernfigur en miniature auf die Bühne der Isarphilharmonie zu bringen. Das Terzett aus Julia Sophie Wagners glockenhell prägnantem Sopran, dem üppigen Alt von Ulrike Malotta und Patrick Grahls Tenor wird in diesem Zusammenhang zur echten Ensembleszene. Letzterer ist als Evangelist sowieso wichtig für den Handlungsablauf und füllt diese Rolle ideal aus: Helle, kernige Stimme, makellose Diktion und sensible Textgestaltung kommen bei diesem jungen Sänger zusammen. Die halsbrecherischen Melismen der Solo-Arien formt er mit Leichtigkeit.

Überhaupt ist das stimmliche Niveau dieses Weihnachtsoratoriums herausragend. Der Chor der Klangverwaltung agiert homogen, präzise und vermag auch in den bewegtesten Momenten dynamisch differenziert vorzugehen. Als Turba-Chor gibt er einen wilden Haufen, in den Choralsätzen tritt er als beseelte Gemeinde auf. Doch auch das muss gesagt werden: Die Klangverwaltung ist ein versiertes Weihnachtsoratorien-Ensemble, und so mag es sich hier auch eher um einen Akt klanglicher Selbstverwaltung handeln, wenn das Ergebnis überzeugt. Denn vor allem in den instrumentalen Episoden wird eines deutlich: Andreas Scholl ist ein begnadeter Countertenor, aber wenn er vor einem Ensemble steht, bleibt er ein ausnahmsweise mal dirigierender Sänger. Einige Einsätze sind ganz daneben, der Orchesterklang manchmal arg unausgeglichen. Indes, darunter leidet niemandes Stimmung. Dazu ist das Gesamtbild zu stimmig, Chor, Solisten und Orchester zu engagiert und das Publikum zu froh, überhaupt ein Oratorium hören zu können.

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