Alkoholismus in München:Die Stadt muss mehr für Alkoholabhängige tun

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München verbietet Alkohol am Hauptbahnhof und verlagert Probleme damit nur.

Kommentar von Thomas Anlauf

Das Angebot klingt zunächst bescheiden. Zehn Menschen mit massiven Alkoholproblemen, die häufig am Hauptbahnhof oder den nahegelegenen Parks herumstehen und trinken, können sich künftig in neuen Räumen an der Lindwurmstraße aufhalten und dort andere Leute treffen - jenseits der Straße. Doch das, was der Träger Soziale Dienste mit dieser Kontakt- und Begegnungsstätte speziell für Trinker schafft, ist angesichts der von Teilen des Stadtrats aufgeheizten Diskussion um eine Art Bannmeile rund um den Hauptbahnhof besonders wertvoll: Da bemüht sich ein Träger, Menschen mit Problemen einen Schutz- und Kontaktraum zu bieten, damit diese sich ein Stück Menschlichkeit bewahren.

Es ist aber nicht die Stadt München, die ein solches Projekt im Herbst startet, sondern mit den Sozialen Diensten eben eine gemeinnützige GmbH, die Finanzierung läuft über den Bezirk Oberbayern. Ein derartiges Angebot gibt es in München bislang nicht. Wer vom Hauptbahnhof wieder einmal vertrieben worden ist, kann sonst nirgends unterkommen. Es geht, wohlgemerkt, nicht um Obdachlose, sondern um Menschen, die ins Straucheln geraten sind und nun tagsüber an öffentlichen Orten mit anderen trinken und diskutieren, weil ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Das städtische Gesundheitsreferat will das neue Projekt zunächst beobachten und dann entscheiden, ob auch die Stadt selbst ähnliche Angebote schaffen soll.

Die Antwort kann jetzt schon gegeben werden: Ja, das muss sie. Denn der Alkoholbann im, am und um den Hauptbahnhof herum bringt nur vordergründig etwas. Das Problem ist verlagert und mit dem Verschwinden der sogenannten Stammsteherszene aus dem Bewusstsein verdrängt. Manche wütende Wahlkämpfer gefallen sich zwar derzeit darin, die Stadt in Angsträume einzuteilen, wo vielleicht gar keine sind. Mit Angst und Abscheu lässt sich eben gut billige Politik machen. Aber wer es wirklich mit den Menschen gut meint, der hilft ihnen, statt sie in die Unsichtbarkeit zu vertreiben. Schutz-, Kontakt- und Begegnungsräume für die Schwächsten und Gefährdetsten in der gesellschaftlichen Kette sollten deshalb für eine wohlhabende Stadt wie München eine Selbstverständlichkeit sein.

© SZ vom 17.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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