Gesundheit:Wie München den Bedarf an Ärzten ermittelt, ist absurd

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Auf dem Papier ist München geradezu üppig mit Medizinern ausgestattet. (Foto: dpa)

In der Stadt leben immer mehr Menschen, die alle irgendwann einmal krank werden. Doch weil noch Kriterien von 1992 gelten, dürfen sich keine neuen Ärzte niederlassen.

Kommentar von Ralf Wiegand

Eines der kompliziertesten Geschäfte ist zweifelsohne das der Prophezeiung. Glaskugeln haben sich nicht bewährt, der Beruf des Sehers ist schon lange ausgestorben, und Politiker wissen ohnehin seit jeher, dass Prognosen schwierig sind - vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Dieses geflügelte Wort wird mal Mark Twain, mal Winston Churchill zugeschrieben, vielleicht stammt es auch von Kurt Tucholsky. Wer es auch gesagt haben mag: Er konnte in die Zukunft schauen, denn das gilt offensichtlich noch immer.

Bis heute haben aktuelle Probleme der Verwaltung auch darin ihre Ursache, dass irgendjemand irgendwann mal die Zukunft vorhergesagt hat, ohne später nachzubessern. Besonders absurd sichtbar wird das gerade bei der ärztlichen Versorgung in München. Auf dem Papier ist die Stadt geradezu üppig mit Medizinern ausgestattet.

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Seltsamerweise passt das überhaupt nicht zur Lebenswirklichkeit Tausender Eltern, die ihren nächsten Termin beim Kinderarzt für 2019 vereinbart haben, weil vorher keiner mehr frei war. Neue Ärzte dürfen sich in München aber nicht niederlassen, weil eine Bedarfsplanungsrichtlinie den Bedarf an Ärzten als überfüllt ansieht - berechnet nach Kriterien des Jahres 1992. Dass sich seitdem sowohl die Anforderungen an Ärzte, die Geburtenrate, der Zuzug, man könnte kurz sagen: die ganze Welt verändert hat, ist in diese Prognose offensichtlich nie eingespeist worden. Nach 26 Jahren wird die damals unter dem Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer verabschiedete Richtlinie nun überprüft. Es wird Zeit.

Der Ärztebedarf ist ja nicht das einzige Beispiel, in dem die zur Gegenwart gewordene Zukunft die Prognosen so alt aussehen lassen, wie sie meistens sind. Moderne Verkehrssysteme werden oft auf der Basis uralter Fahrgast- und Bevölkerungsprognosen entwickelt, heute noch. Lehrerbedarf wird langfristig berechnet und nur hektisch nachgebessert, wenn kurzfristig die Schülerzahlen steigen. Sogar das Abwassersystem der Stadt München ist so dimensioniert, als würde die Stadt im Jahr 2020 einmal sagenhafte 1,4 Millionen Einwohner haben - tatsächlich hat sie heute schon viel mehr.

Im Datensammelzeitalter des dritten Jahrtausends würde man sich wünschen, dass der Staat damit beginnt, endlich mal die richtigen Daten zu sammeln und den Bedarf der Bürger, dem Stand der Technik entsprechend, in Echtzeit fortzuschreiben. Denn merke: Oft ist die Zukunft schon da, ehe wir ihr gewachsen sind. Ist weder von Twain noch von Churchill. Stammt von John Steinbeck.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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