Klassik:Voller Glück

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Julia Lezhneva und Herbert Blomstedt treten in diesem Jahr beim SZ-Benefizkonzert auf

Von Rita Argauer

Lieb gewonnene Routinen werden derzeit ganz schön umgekrempelt. Doch der Mensch gewöhnt sich schnell an Neues. Fußballspiele im leeren Stadion, Konzerte ohne Zuschauer. Für diejenigen aber, die Berufe ausüben, die jetzt eher nicht mehr ausgeübt werden können, haben die derzeitigen virusbedingten Einschnitte viel spürbarere Folgen. Klar, es fehlt etwas, ganz gewaltig. Dass Julia Lezhneva aber daraus auch etwas gewonnen hat, zeigt was für ein besonderes Gemüt die 31-Jährige russische Sopranistin doch hat. "Ich habe eine ganz wundervolle Zeit", antwortet sie auf die Frage, was sie denn gerade so mache. In den vergangenen Jahren sei sie eigentlich ständig auf Tournee gewesen. So war auch der November geplant: Mit dem Barockensemble "Il pomo d'oro" und Händels "Oreste" wäre sie in Paris oder Wien gewesen. "Das wäre eine schöne Tournee geworden", sagt Lezhneva, "ganz familiär mit diesem Ensemble". Aber alle Konzerte wurden verschoben. Sie ist also zu Hause, in Moskau. Und sie genießt es, erzählt mit leichter Stimme am Telefon, dass sie die freie und normale Zeit, die sie gerade habe, sehr schätze. Schon im Frühjahr, als Mitte März alle ihre Termine abgesagt worden waren, habe sie "wundervolle Dinge" gemacht. Etwa alte Hobbys wiederentdeckt wie Lesen, Nähen, Wandern.

Außerdem tun die Pausen ihrer Stimme gut. "Wenn ich singe und Konzerte gebe, dann arbeite ich 200 Prozent", sagt sie. Weniger kann sie nicht. Doch das ist auf Dauer anstrengend. So hat sie nach dem Lockdown im Frühjahr ihr erstes Konzert erst wieder im August bei den Salzburger Festspielen gegeben. Vergangene Woche hat sie ein Recital in Moskau gesungen, im Dezember stehen nun noch ein paar Termine an. Einer davon in München. Am Freitag, 18. Dezember, wird sie im Herkulessaal singen. Gemeinsam mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Herbert Blomstedt. Es ist das Benefizkonzert für den Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung. In diesem Jahr ohne Publikum, beziehungsweise: ohne Publikum vor Ort.

Mit dem BRSO singt Sopranistin Julia Lezhneva auch Mozarts Motette "Exsultate, jubilate". (Foto: Ksenia Zasetskaya)

Für Lezhneva wird es das erste Mal sein, dass sie vor leerem Raum auftritt. Sie habe ja ihre freie Zeit so sehr genossen, dass sie sich gar nicht darum bemüht hat, Stream-Konzerte zu geben. "Ich denke da jetzt erst einmal gar nicht daran, sonst werde ich nur nervös", antwortet sie auf die Frage, wie sie sich auf ein Konzert ohne Publikum vorbereite. Das werde schon gehen. Außerdem habe sie die Internet-Konzerte, die sie angeschaut hat - etwa von einem befreundeten Moskauer Musiker - sehr gemocht. "Man merkte, wie sich da etwas veränderte", erzählt sie. Am Anfang sei es ganz seltsam gewesen, doch dann habe sich der Spaß und die Freude des Musikers auch online übertragen. "Das war sehr schön und auf eine besondere Art ganz intim." Natürlich klingt es durch die Computerboxen nicht so gut. Aber Lezhneva schafft es auf eine faszinierend mitnehmende Art, die düsteren Dinge sehr wertungsfrei zu betrachten.

Dass sie in München Mozarts Mottete "Exsultate, jubilate" singen wird, passt zu dieser Haltung auch ganz wunderbar. Denn so eine gewisse Leichtigkeit über schwere Dinge zu legen, ohne die Schwere dabei zu banalisieren, gehört zur großen Außergewöhnlichkeit von Mozarts Schaffen. Technisch gilt die Musik von Mozart für Sänger als schwierig. Aber Lezhneva, die auch viel ältere Musik singt, ist besonders dieses Stück sehr vertraut. Sie hat es auf CD veröffentlicht, es war ihr Debüt bei einem großen Label: "Es ist ein Stück über die Jugend und die Liebe. Die Liebe zu Gott. Wenn ich dieses Stück singe, bleibe ich jung im Herzen." Das Wort schwierig mag sie in Bezug auf Mozart nicht, sie nennt die Musik aber anspruchsvoll. Mozart habe auch als Erwachsener eine jungenhafte Psyche gehabt. Seine Musik sei sehr freudvoll, wenn er über Liebe komponiert. Und "supertragisch", wenn sie Trauriges zum Thema habe. Ein bisschen außerhalb der emotionalen Relativierungen eines Erwachsenen befinde sich das, meint sie. Lezhneva erinnert es an den Gefühlshaushalt eines Kindes. Doch gleichzeitig sei die Musik für sie wie eine Kur für die Stimme. Anspruchsvoll, man müsse sich sehr konzentrieren. "Aber nach Mozart ist die Stimme neu gestimmt", sagt sie.

Dirigiert wird das Konzert von Herbert Blomstedt. (Foto: Peter Meisel)

Eigentlich hätte die Motette von Mozart im Konzert mit Mendelssohns "Lobgesang" erklingen sollen und danach Bruckners "Te Deum". "Das war nicht möglich", sagt Dirigent Herbert Blomstedt, es wären da zu viele Musiker auf der Bühne gewesen. Deshalb gibt es jetzt zu Beginn zwei Psalm-Vertonungen von Edvard Grieg - "ganz wunderbare Musik", sagt Blomstedt - und danach Schuberts achte Symphonie. Wenn der 93-jährige Herbert Blomstedt so etwas erklärt, wird die Musik sofort ganz konkret greifbar. Er erzählt etwa von den "Gebirgsmelodien", die sich sowohl bei Schubert als auch bei Grieg finden, obwohl der Norweger Grieg ja in ganz anderen Bergen unterwegs war als der Österreicher Schubert.

Herbert Blomstedt wirkt von Krise und Lockdown ebenfalls nicht völlig niedergeschlagen. Er habe viel zu tun, auch wenn sich alles ständig ändere. Etwa zuletzt in Stockholm, wo er das Philharmonische Orchester dirigierte. Die zugelassene Zuschauerzahl hat sich ständig geändert und schließlich spielten sie ganz ohne Publikum. "Ich habe dieses Orchester noch nie so wunderbar spielen hören", sagt er dazu.

Und Blomstedt hat viel gehört in seinem Leben. Eigentlich war der 1927 in den USA geborene Schwede zunächst Musikwissenschaftler, studierte anschließend aber auch Dirigieren und gab 1954 sein Debüt. Nach diversen Stellen als Chefdirigent, etwa in Dresden und zuletzt beim Gewandhausorchester Leipzig, ist er seit 25 Jahren pensioniert. "Die Jahre seit meiner Pensionierung sind die schönsten", sagt er, "man ist gut, man kann das Repertoire." Er ist aber freier, kann sich mehr aussuchen, was er macht. "Alle Musiker, mit denen ich arbeite, sind jünger als ich, das bin ich seit 50 Jahren gewohnt", sagt er. Trotzdem tritt er den Klangkörpern immer noch offen, fragend entgegen. Und: "Die Qualität der Musiker steigt mit jedem Jahr." Die Ausbildung wird immer besser. Heute können die Musiker problemlos zwischen den Stilen wechseln. Sie spielen Barockmusik anders als Klassisches oder Modernes. Das war dem Musikwissenschaftler Blomstedt schon in den 50er Jahren wichtig. Damals haben sie aber selbst noch die Striche aus den Partituren ausradieren müssen, die der Musik Bachs einen zu romantischen Anstrich gegeben hätten.

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Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist er oft aufgetreten. Er schätzt das Orchester sehr. So wie Julia Lezhneva auch. Die freut sich aber besonders, wieder mit Herbert Blomstedt zu arbeiten. "Seine Anwesenheit tut den Menschen gut", sagt sie. Er schwebe ein bisschen über allem, ist in seiner Kunst aber ganz da und sei "fast ein Heiliger", wie es die so schön überschwängliche Lezhneva ausdrückt. "Ich fühle eine unglaubliche Ruhe, wenn ich mit ihm arbeite", erklärt sie, sie habe "wunderschöne musikalische Momente mit ihm erlebt."

© SZ vom 05.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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