Klassik:Musik, die es ernst meint

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Das Hidalgo Festival widmete sich beim Abend "Rape & Culture" auch dem Thema Machtmissbrauch im Kulturbetrieb. (Foto: Max Ott)

Das Hidalgo-Festival löst seinen hohen Anspruch ein, wichtige Themen der jungen Generation aufzugreifen - vom Klimawandel bis zum Kampf gegen sexuelle Ausbeutung.

Von Rita Argauer und Paul Schäufele, München

Es ist ein großer Anspruch, den das Team von Hidalgo da erhebt: "Es geht um die wichtigen Themen unserer Generation", sagt der künstlerische Leiter Tom Wilmersdörffer zu Beginn des Auftaktkonzerts. Und ja, seiner Generation, der so oft nachgesagt wird, ihr sei die klassische Musik fremd, wird man gerecht: örtlich (im Sugar Mountain, einem alten Betonwerk in Obersendling, sehr cool, und von draußen stampfen die Techno-Beats hinein), geistig (ein paritätisch und jung besetztes Festivalorchester, von einer Frau, Johanna Malangré, dirigiert) und thematisch (es geht um die Gefahren für kommende Generationen durch den Klimawandel). Dass man dafür ausgerechnet Schostakowitschs 14. Symphonie - in der deutschsprachigen Fassung - wählt, ist so toll wie tollkühn. Denn dieser Todesliederreigen, famos gesungen von Mirjam Mesak und Oğulcan Yılmaz, hat natürlich etwas zutiefst Resigniertes, dann wieder Absurd-Makabres und Wehrhaftes, was gerade im Irrwitz dieser Kombination in den so ernst bewegten Diskursen der Millennials bisweilen fehlt.

Es ist ernst, es ist auch Schostakowitsch ernst, und das Orchester nimmt unter Malangré die Musik auch herrlich ernst. Es beginnt also zart, so zerbrechlich, so durchscheinend die Geigen. In dem alten Betonwerk sitzt das Publikum nah am Orchester, etwas zu nah vielleicht, denn die Stimmen können nicht recht zu einem Klang verfließen. Dafür hört man bestechend transparent. Das Festivalorchester spielt auf künstlerisch höchstem Niveau. Ein unheimlicher Schauer durchweht die Musik, die sich in immer groteskere Pizzicati und Percussions steigert, nachdem Mattias Kiefer für die Umweltbeauftragten der deutschen Bistümer über Klimawandel und Apokalypse gesprochen hat. Dann kommt die Schülerin Clara Bosch von Fridays for Future, so ehrlich, so ungefiltert klagt sie soziale und Generationsungerechtigkeit an. Es folgen intensive Cello-Passagen und warm schwimmende Vibraphonklänge, voll abgründiger Romantik, Todesschwaden von "drei Lilien" im "Selbstmörder", eindringlich gesungen von Mesak. Man hört den Musikern an, dass sie sich im romantischen Gestus wohler fühlen. Die dissonanten modernen Passagen sind indes etwas akademisch geraten und in der Folge etwas langweilig.

Doch die Idee, die Bedrohung durch die Klimakrise mit dieser Musik zu assoziieren, ist mächtig in der Wirkung. Die Positionen und Forderungen der Jungen sind akut. Der alte Schostakowitsch dazu wirkt wie eine Warnung: Es muss jetzt etwas geschehen, sonst tanzen als letzte Lösung bald alle wie er zwischen Verzweiflung und Endzeitfaszination.

Beim zweiten Abend geht es um sexualisierte Gewalt im Kulturbetrieb

Auch den zweiten Abend des Festivals überschreibt man mit einem Thema der Generation Y. "Rape & Culture" lautet der etwas fragwürdige Titel, unter dem ein Team unter Wilmersdörffer sich dem Themenkomplex um sexualisierte Gewalt im Kulturbetrieb nähert. Im Zentrum steht eine junge Sängerin, die sich in die hierarchischen Strukturen dieses Betriebs fügt und psychisch wie sexuell ausgebeutet wird von einem Dirigenten. Dargestellt wird die Szene durch vier Tänzerinnen und Tänzer (Choreografie: Francesco Vecchione) und vor allem durch die Sopranistin Ketevan Chuntishvili, die das Ganze in Liedgut von Beethoven bis Richard Strauss kleidet. Da ist nicht nur der Titel plakativ: die unschuldig weißen Luftballons, die mit den Hoffnungen der Protagonistin platzen; die hämmernden Soundscapes, die zu den besonders entsetzlichen Momenten eingespielt werden; Schuberts (respektive Goethes) "Heidenröslein", das nach einer gängigen Interpretation Vergewaltigung zu Poesie macht und hier quasi als Refrain dient.

Indes, der Abend verfehlt seine Wirkung nicht. Das hat mehrere Gründe. Zunächst wäre da Chuntashvilis Leistung zu nennen. Die Sängerin, begleitet von der exzellenten Brigitte Helbig, nimmt das Publikum für sich ein, mit ihrem dunkel glühenden Sopran ebenso wie schauspielerisch. Vielleicht noch wichtiger ist aber, dass Wilmersdörffer und sein Ensemble nicht beim symbolisch Evidenten verharren, sondern die Realität auf die Bühne zwingen. Immer wieder werden Ausschnitte aus Interviews mit Frauen eingespielt, die sich ebenso wie die namenlose Protagonistin des Abends unters Rad dieses Betriebs spannen mussten, der ihnen keine andere Wahl ließ, als sich den Machtverhältnissen auszuliefern. In diesem Kontext wirken Schuberts "An die Musik" und Strauss' "Morgen!" schockierend. Im Netz der Ausbeutungen bietet die Musik keinen Trost, und am nächsten Morgen wird die Sonne zwar wieder scheinen, doch über Opfer genauso wie über Täter. Das sind starke Momente. Am stärksten wirkt der Abend jedoch, wenn aus dem Off genau jener weltumarmende Eros aufgerufen wird, der im Zentrum des Problems steht. Denn hier deutet sich an, dass die Diskussion eine neue Phase findet - zur notwendigen Explizitmachung des Verbrechens, die den Opfern eine Stimme gibt, tritt der Versuch, die Hintergründe zu analysieren. Und darauf kommt es an.

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