Kinderbetreuung:Für einen Kita-Platz braucht man Glück - trotz Rechtsanspruchs

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  • Den Rechtsanspruch der Kinder auf einen Betreuungsplatz hat die Stadt München seit 2013 wohl weitestgehend gewährleistet.
  • Kommunen sind seitdem verpflichtet, Eltern innerhalb von drei Monaten einen verfügbaren Betreuungsplatz zuzuweisen.
  • Dennoch müssen viele Eltern lange suchen, bis sie einen geeigneten Platz haben - denn nicht alle verfügbaren Plätze sind passgenau.

Von Jakob Wetzel

Was am Ende geholfen hat, sei Hartnäckigkeit gewesen, sagt Ann-Kathrin Stade. Wiederholt hat sie in den vergangenen Jahren über die Stadt München versucht, für ihre beiden Kinder Plätze in einer Krippe oder einem Kindergarten zu bekommen. Sie hat sich online über den Kita-Finder bei Tagesstätten angemeldet, erhielt aber nur Absagen. Sie hat sich an die städtische Beratungsstelle für Eltern gewandt. Dort sei sie auch sehr engagiert informiert worden, sagt sie, aber den vermittelten Platz habe sie abgelehnt, er hätte für sie eine Bring- und Holzeit mit dem Bus von jeweils einer Dreiviertelstunde bedeutet. Sie und ihr Mann hätten bereits überlegt, wie sie ohne einen Betreuungsplatz zurechtkämen, erzählt Stade. Doch dann hatten sie Glück.

Ann-Kathrin Stades Kinder sind beide untergekommen: Ihr einjähriger Sohn besucht eine Krippe der Diakonie, ihre vierjährige Tochter den Kindergarten einer Elterninitiative. Zu beiden Tagesstätten brauche sie zu Fuß nur fünf Minuten, sagt Stade. Doch gefunden hat sie die Plätze auf eigene Faust. Man müsse viel telefonieren, Klinken putzen und Hände schütteln, sagt sie. Richtiggehende Bewerbungen habe sie geschrieben, inklusive Fotos. "Die Einrichtungen haben Listen", sagt Stade, da müssten Eltern einen guten Eindruck machen und zeigen, dass sie sich engagieren wollen. So könne man das Glück vielleicht ein Stück weit erzwingen. Sie selbst sei am Ende einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Plätze wurden frei, das jeweilige Konzept habe ihr gefallen, menschlich habe es auch gepasst, "da sind wir reingerutscht", sagt sie. Die Plätze kosten sie im Monat derzeit etwa 650 Euro.

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Am 1. August jährt sich eine Regelung, die nicht weniger sein sollte als ein "Meilenstein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf", als solchen hat sie die frühere Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen einst bezeichnet. Seit fünf Jahren haben Ein- bis Dreijährige in Deutschland Anspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte oder bei einer Tagesmutter. Kommunen sind seitdem verpflichtet, Eltern innerhalb von drei Monaten einen verfügbaren Betreuungsplatz zuzuweisen. Das, schwärmte Von der Leyen 2008, "wird unser Land spürbar verändern". Eines freilich ist gleich geblieben: Wer in München einen Betreuungsplatz sucht, der braucht Glück, einen langen Atem - und muss am Ende häufig nehmen, was er eben kriegt, Rechtsanspruch hin oder her.

Dabei hat sich die Betreuungssituation mit dem Rechtsanspruch sehr wohl verbessert. Als der Bundestag das einschlägige Gesetz 2008 verabschiedete, gab es in der Stadt 8858 Betreuungsplätze für Kinder im Alter bis drei Jahre. Diese Zahl hat sich seitdem auf zuletzt 21 648 mehr als verdoppelt. Im selben Zeitraum ist in München durch Zuzüge und Geburten zwar auch die Zahl der Kleinkinder im Krippenalter deutlich gestiegen, um fast 10 000 von 38 290 auf 48 255 Kinder. Aber der Ausbau an Betreuungsplätzen geht darüber hinaus. Gab es 2008 nur für 23 Prozent der Münchner Kinder im Alter von null bis drei Jahren einen Platz in einer kommunalen oder privaten Krippe, einer Elterninitiative oder bei einer Tagesmutter, sind es nun 45 Prozent.

Den Ausbau spürt die Stadt auch finanziell, schon alleine bei den Personalkosten bei ihren eigenen Kitas. Investierte sie 2013 noch 187,8 Millionen Euro, waren es 2017 schon 253,8 Millionen Euro. Das bedeutet eine Steigerung um gut ein Drittel, um 66 Millionen Euro. Und nicht nur in den laufenden Betrieb, sondern auch in den Ausbau von Schulen und Kindertagesstätten investierte und investiert die Stadt weiterhin Milliarden Euro. Besonders schwer tut sie sich, genügend Grundstücke gezielt in denjenigen Gegenden zu finden, in denen der Bedarf an Betreuungsplätzen besonders hoch ist. Denn nur so kann sie möglichst viele Eltern Betreuungsplätze in der Nähe anbieten - vorausgesetzt, die Stellen in den neuen Einrichtungen können wegen des Fachkräftemangels auch besetzt werden. Ende 2017 waren in den städtischen Kitas rund 200 Stellen für Erzieherinnen und Erzieher nicht besetzt, bei einem Personalstand von knapp 3200.

Der Rechtsanspruch hat einen Schönheitsfehler

Für die Stadt hat sich der Aufwand gelohnt: Den Rechtsanspruch der Kinder hat sie seit 2013 wohl weitestgehend gewährleistet. In diesem Sommer zog Münchens Stadtschulrätin Beatrix Zurek (SPD) vor dem Bildungsausschuss des Stadtrates eine juristische Bilanz. Demnach ist die Zahl der Kita-Fälle, mit denen sich die Rechtsabteilung des Bildungsreferats beschäftigt, von 338 im Jahr 2012 stark auf 865 im Jahr 2017 angestiegen. Von den bislang mehr als 150 Gerichtsverfahren wegen des neuen Rechtsanspruchs habe die Stadt aber 121 gewonnen. In einem Streitfall ist die Stadt unterlegen, die städtischen Juristen haben aber Berufung eingelegt und sind optimistisch. 30 Verfahren sind noch nicht entschieden.

Für Eltern dagegen hat der Rechtsanspruch einen Schönheitsfehler. Denn nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Oktober 2017 haben Kinder zwar einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz, aber nicht zwangsläufig auf einen, der dem Bedarf der Eltern gerecht wird. Konkret hatten die Bundesrichter entschieden, dass Eltern, die vom Bildungsreferat für sie unpassende Angebote erhalten und deswegen privat eine teure Krippe gebucht hatten, die Mehrkosten im Vergleich zu einer kommunalen Krippe nicht von der Stadt zurückverlangen durften. Die Argumentation der Richter aber hat es in sich: Der Rechtsanspruch ist auch erfüllt, wenn sich Eltern privat um einen Platz gekümmert haben. Die Stadt ist nicht verpflichtet, ihnen eine Wahl zwischen einer Krippe oder einer Tagesmutter zu bieten. Und sie muss ihnen nicht einmal einen kostengünstigen Platz zuweisen.

Tatsächlich ist der Rechtsanspruch den Richtern zufolge auch dann erfüllt, wenn die Stadt Eltern lediglich einen Platz in einer Krippe vorschlagen würde, die wie im vorliegenden Fall vierstellige Monatsgebühren erhebt. Aus dem Bildungsreferat heißt es dazu lediglich, wenn die Gebühren für eine Familie unzumutbar hoch sind, könne man einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. So würden soziale Härten abgemildert. Für die Stadt ist jenes Urteil viel Geld wert: Allein bis zu 66 Millionen Euro spare man sich für Kostenausgleichszahlungen, heißt es in Zureks Papier. Hinzu kommen weitere bis zu 400 Millionen Euro, mit denen die Stadt andernfalls genügend Tagespflege- und Krippenplätze hätte vorhalten müssen, damit Eltern zwischen den Betreuungsformen wählen können. Das ist nun nicht nötig. Denn Eltern, denen der zugewiesene Betreuungsplatz nicht passt, müssen sich ihre Krippe oder Tagesmutter selbst suchen.

© SZ vom 01.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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