Kinderbetreuung:Eltern-Kind-Initiativen haben in München ein Problem

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Katharina H. sagt, sie könnte mehr als 35000 Euro sparen, wenn sie ihre vier Kinder in eine städtische Kita geben würde. (Foto: Florian Peljak)

Das jahrzehntealte Modell läuft Gefahr, ein Luxusangebot für Gutverdiener zu werden. Das Paradoxe: Je mehr Geld die Stadt für Kinderbetreuung bereitstellt, desto schlimmer wird es.

Von Jakob Wetzel

Katharina H. zahlt drauf. Die Mutter von drei Söhnen und einer Tochter hat nachgerechnet. Ihre drei Buben besuchen derzeit das Kinderhaus Topolinos in Laim, das kleine Mädchen soll im September 2019 folgen. Die dafür fälligen Gebühren wären eigentlich nicht wesentlich höher als in anderen Einrichtungen. Und trotzdem wird Katharina H. erheblich mehr zahlen müssen als andere Familien. Denn sie bekommt weniger Zuschüsse von der Stadt - und das einfach nur deswegen, weil ihre Kita von einer Elterninitiative betrieben wird. Bei der Förderung misst die Stadt mit zweierlei Maß.

So müssen Eltern, egal wie viel sie verdienen, zum Beispiel in einigen Tagesstätten grundsätzlich geringere Gebühren für Geschwisterkinder bezahlen. Das dritte und jedes weitere Kind sind in diesen Kitas kostenlos, alles auf Kosten der Stadt. In anderen Tagesstätten gewährt die Stadt diese Zuschüsse jedoch nicht, und das betrifft fast alle Elterninitiativen, auch die von Katharina H. Für sie geht es um sehr viel Geld. Mehr als 35 000 Euro würde sie über die Jahre hinweg sparen, hat sie ausgerechnet, wären ihre Kinder in einer der von der Stadt begünstigten Tagesstätten untergebracht.

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Die Stadt bietet so attraktive Fördermodelle wie kaum eine andere Kommune in Deutschland. Die Einrichtungen müssen allerdings einige Bedingungen erfüllen, um an Gelder zu kommen.

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Die Stadt will Eltern künftig sogar noch stärker entlasten - doch auch das soll nur für manche gelten: Eltern sollen überhaupt nur noch dann für die Kinderbetreuung bezahlen müssen, wenn sie im Jahr mehr als 50 000 Euro zur Verfügung haben; bisher lag die Grenze bei 15 000 Euro. Zudem soll der Höchstbeitrag nicht mehr schon ab einem Jahreseinkommen von 60 000 Euro fällig werden, sondern erst ab 80 000 Euro. Noch in diesem Herbst will der Stadtrat darüber beraten, bereits im September 2019 soll die Reform in Kraft treten. Viele Familien mit mittleren und niedrigen Einkommen werden dann deutlich weniger zahlen müssen. Für Katharina H. aber wird das nicht gelten, denn erneut bleiben fast alle Elterninitiativen außen vor. Betroffen sind derzeit 4837 Kinder. Und unter deren Eltern regt sich zunehmend Protest.

"Wir wollen gleich behandelt und gleich gefördert werden", fordert beispielsweise Klaus Winkler, der Sprecher des Arbeitskreises der Münchner Eltern-Kind-Initiativen. "Wir müssen ja auch die gleichen Qualitätsanforderungen erfüllen." Elterninitiativen würden der Stadt durch ihr ehrenamtliches Engagement viel Verwaltungsaufwand ersparen. Im Gegenzug aber würden sie benachteiligt. Das sei ungerecht, findet Winkler. Und andere Eltern fürchten gar: Wenn die Stadt Elterninitiativen weiterhin schlechter behandle als andere Träger, dann sei fraglich, ob das jahrzehntealte Modell der Eltern-Kind-Initiativen in München noch eine Zukunft habe. Dabei dreht sich der Streit paradoxerweise im Kern darum, dass die Stadt die Kinderbetreuung gerechter machen will.

Viele Jahre lang hat die Stadt Elterninitiativen generell nach dem sogenannten Fördermodell für Eltern-Kind-Initiativen (EKI) bezuschusst. Dabei übernimmt sie den Großteil der Kosten für Räume und Personal. 2011 aber rief die Stadt die Münchner Förderformel (MFF) ins Leben, um Familien stärker und zielgerichteter unterstützen zu können. Die Höhe der Förderung errechnet sich durch diverse Faktoren sowie pro Kind. Die Kitas müssen sich dafür bei der Aufnahme von Kindern an städtische Vorgaben halten, eine Obergrenze für Gebühren einhalten und die Gebühren nach dem Einkommen der Eltern staffeln, wofür dann wiederum die Stadt bezahlt. Die MFF ist als Schritt zu mehr Bildungsgerechtigkeit gedacht - und seit es sie gibt, koppelt die Stadt alle ihre Bemühungen, Eltern zusätzlich zu entlasten, an dieses neue Fördermodell.

Für die meisten Elterninitiativen aber kommt diese Förderformel aus rein praktischen Gründen nicht infrage: Sie sind mit ihr überfordert. Die MFF bedeutet mehr Aufwand bei weniger Planungssicherheit. Jede Fluktuation in der Gruppe wirkt sich auf die Fördersumme aus. Bei kleinen Kitas, wie sie von vielen Elterninitiativen organisiert werden, wiegt das besonders schwer. Und wenn jedes einzelne Kind berücksichtigt werden muss, ist die Berechnung deutlich komplexer. Dabei darf man nicht vergessen: Elterninitiativen werden in der Regel nicht von Profis verwaltet, sondern von Ehrenamtlichen in ihrer Freizeit.

Wie schwierig es ist, sich der MFF anzupassen, weiß Christiane Albert. Ihr dreijähriger Sohn besucht das Kinderhaus an der Spervogelstraße in Oberföhring. Als das Gebäude saniert wurde, verlagerte die Elterninitiative die Kita vorübergehend an die Denninger Straße - und dabei probierte sie die Förderformel aus. Als das Kinderhaus dann im vergangenen Winter zurückzog, kehrte die Initiative zur bewährten EKI-Förderung zurück. Die Eltern mussten zwar wieder mehr Gebühren bezahlen - und einige mussten ihren Platz deshalb aufgeben -, aber es ging nicht anders. Die MFF habe einfach zu viel Arbeit gemacht, sagt Albert. "Unser Vorstand für Zuschüsse hat 20 Stunden in der Woche in die Verwaltung gesteckt." Das sei nicht zu stemmen gewesen. Außerdem sei die Finanzierung immer nur unter Vorbehalt gestanden. "Jetzt ist die Berechnung viel einfacher."

Die Stadt habe selbst erkannt, dass die MFF viel mehr Aufwand bedeute, sagt Silke Rudolph, Fachberaterin beim Kleinkindertagesstättenverein KKT, der Elterninitiativen berät. "Demnach braucht jede Einrichtung mehrere Tausend Stunden pro Jahr für die Verwaltung", sagt sie. Der KKT empfiehlt Elterninitiativen deshalb die Förderung nach EKI. So sind von derzeit 224 Elterninitiativen auch nur 14 der Förderformel beigetreten. Und von diesen kämen Anfragen, ob sie einen Geschäftsführer einstellen sollen, sagt Rudolph.

Der KKT verweist auf eine Einigung aus dem Jahr 2015. Anfangs nämlich wollte die Stadt die EKI-Förderung komplett auslaufen lassen und durch die MFF ersetzen. Viele Elterninitiativen aber fürchteten daraufhin um ihr Überleben, sie wehrten sich und hatten - eigentlich - Erfolg. 2015 beschloss der Stadtrat, dass beide Fördermodelle nebeneinander existieren sollen. In einem Handzettel des Bildungsreferats zur EKI-Förderung ist zu lesen, der Stadtrat fördere Elterninitiativen "in besonderem Maße", und die Stadt "braucht Sie als engagierte Eltern, um das gute Angebot an Plätzen für Kinder in München bedarfsgerecht und flexibel weiter auszubauen". Doch wenn es um finanzielle Entlastungen geht, bleiben Elterninitiativen zunehmend außen vor.

Das Bildungsreferat rechtfertigt das damit, dass die zusätzliche Förderung eine freiwillige Leistung sei. Es sei zweckmäßig, diese an die Vorgaben der Förderformel zu knüpfen, denn so könne man Familien zielgerichtet unterstützen. Den Elterninitiativen stehe es frei, auch an der MFF teilzunehmen. Und gegebenenfalls, erklärt das Referat ganz offen, bewirke die zusätzliche Förderung ja auch, dass sich mehr Träger für die MFF entscheiden.

Mara Funk, Christiane Albert und Martin Bögle (von links) bringen ihre Kinder ins Haus an der Spervogelstraße. (Foto: Florian Peljak)

In den Augen der Berater vom KKT geht dieser Gedanke fehl. "Es geht nicht darum, Elterninitiativen zu fördern. Es geht darum, Familien zu fördern", sagt Geschäftsführerin Beate Frank. Der Verband unterstützt Elterninitiativen in ihrer Forderung nach Gleichbehandlung und hat sich bereits mit einem Appell an den Stadtrat gewandt. Erfolg hatte der Protest freilich bislang nicht. Zuletzt beantragte die Rathaus-SPD zwar, Eltern auch in EKI-geförderten Einrichtungen zu entlasten. Doch die SPD will, dass die Elternbeiträge überall gedeckelt werden und für alle Eltern dieselben Beitragshöhen gelten - und das wollen die protestierenden Eltern explizit nicht. Entlastungen seien gut, Elterninitiativen müssten die Beiträge aber frei bestimmen können, schrieb Frank zuletzt an die SPD-Fraktion und an SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter. Einer Deckelung könne man nicht zustimmen.

Tatsächlich nehmen viele Elterninitiativen bewusst höhere Beiträge in Kauf, weil sie sich davon eine bessere Pädagogik versprechen, zum Beispiel durch mehr Personal. Bei niedrigeren Gebühren könnten sie das nicht mehr bezahlen. "Die meisten Eltern-Kind-Initiativen wären in der MFF gar nicht überlebensfähig, weil sie niedrigere Beiträge erheben müssten", sagt etwa Ulrich Dietze, erster Vorstand im Kindergarten Pusteblume an der Schwanthalerstraße. Die Eltern wollen nicht gleiche Gebühren zahlen, sondern gleich gefördert werden.

Das ganze Modell der ehrenamtlichen Initiativen könnte auf der Kippe stehen

Stellt die Stadt EKI-Kitas hingegen weiterhin zunehmend schlechter als andere, stehe womöglich das ganze Modell der ehrenamtlichen Initiativen auf der Kippe, fürchten betroffene Eltern. Denn für Familien mit mittleren Einkommen wären sie kaum noch attraktiv. Allein die jetzt geplante Gebührenreform würde Eltern in MFF-Einrichtungen dramatisch besserstellen, berichtet der KKT. Eine Familie mit einem Krippenkind und einem Jahreseinkommen von 39 000 Euro würde dann in einer MFF-Einrichtung um etwa 4000 Euro im Jahr entlastet, hat der Verband berechnet. Bei einem Kindergartenkind wären es noch 3000 Euro. In einer Elterninitiative bliebe hingegen alles beim Alten.

"Ich sehe die Gefahr, dass die Mittelschicht aus den Eltern-Kind-Initiativen wegbricht und nur noch gut und sehr gut Verdienende kommen", sagt Mara Funk, die ebenfalls eine Tochter im Kinderhaus an der Spervogelstraße hat. Der Trend zeichne sich bereits ab. Funk hat den Wechsel von der Förderformel zurück zu EKI mitgemacht. Sie bezahle nun 280 Euro im Monat, sagt sie. Wäre die Kindertagesstätte immer noch nach MFF gefördert, wären es nur 49 Euro. Nach der geplanten Reform wäre es gar nichts mehr.

"Elterninitiativen kommen aus der Nachbarschaftshilfe im Stadtteil, aus der Selbsthilfe", sagt auch Pusteblume-Vorstand Ulrich Dietze. "Mittlerweile aber kommen kaum noch Anfragen aus sozial schwachen Familien, weil die bei der Stadt ja viel weniger oder gar nichts zahlen müssen. Wir können es bald nicht mehr leisten, ein Abbild der Gesellschaft zu sein."

© SZ vom 25.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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