"Unkontrollierte Machtausübung im Namen des Heiligen Geistes":Geistlicher Missbrauch: Kirche löst Gruppierung auf

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat die Katholische Integrierte Gemeinde kirchenrechtlich aufgelöst. Ehemalige Mitglieder werfen der Gemeinschaft mit Sitz in Baierbrunn geistlichen Missbrauch in einem System von psychischer und finanzieller Abhängigkeit vor, was die Integrierte Gemeinde als "böswillige Verleumdung" zurückgewiesen hat. Vor wenigen Wochen war der emeritierte Papst Benedikt XVI. auf Distanz zur Integrierten Gemeinde gegangen. Der Verein hatte zuletzt weder Leitungsorgane noch Mitglieder, wie das Erzbistum München und Freising am Freitag mitteilte; die beim Amtsgericht München registrierten weltlichen Rechtsträger der Gemeinschaft hatten sich im Mai umbenannt.

Marx hatte nach Klagen ehemaliger Mitglieder über missbräuchliche Praktiken im Februar 2019 eine Untersuchung angeordnet. Die drei sogenannten Visitatoren benennen in ihrem Bericht einige "strukturelle Defizite": überzogene Gehorsamsforderungen, undurchsichtiges wirtschaftliches Handeln, kompromisslose Ausgrenzung von Kritikern sowie "unkontrollierte Machtausübung im Namen des Heiligen Geistes". Etliche ehemalige Mitglieder seien dadurch in Not geraten. "Ich bedaure sehr, dass ehemalige Mitglieder in der Auseinandersetzung mit der Katholischen Integrierten Gemeinde Leid erfahren mussten", so Marx. Die 1948 von dem Ehepaar Traudl und Herbert Wallbrecher gegründete Gemeinschaft wollte nach eigener Darstellung "ein Ort für ein aufgeklärtes und unverkürztes Christentum" sein und zog namhafte Theologen an. 1978 sprach der damalige Münchner Kardinal Joseph Ratzinger die kirchliche Anerkennung aus und stand Jahrzehnte in engem Kontakt mit der Gruppe.

© SZ vom 21.11.2020 / kna - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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