SZ-Adventskalender:"Armut ist immer eine Blamage für den Sozialstaat"

Lesezeit: 2 min

Karin Majewski, Geschäftsführerin des Paritätischen, Bezirksverband Oberbayern. (Foto: privat)

Karin Majewski ist Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Oberbayern. Fragen zu Armut und der Armutsbekämpfung gehören zu ihrem Arbeitsalltag. Im Interview spricht sie darüber, was in ihren Augen falsch läuft. Aber positive Botschaften hat sie auch.

Interview von Karin Kampwerth

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Oberbayern berät seine 420 Mitgliedsorganisationen in sozialpolitischen Fragen und vertritt deren Interessen. Außerdem unterhält der Paritätische, so die offizielle Bezeichnung, ortsnahe Dienstleistungen und führt regionale Einrichtungen und Beratungsstellen etwa für Familien, Senioren oder pflegende Angehörige auch in München.

SZ: Frau Majewski, werden die Münchnerinnen und Münchner ärmer?

Karin Majewski: Ja. Mit der Inflation und den dadurch gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreisen sind Menschen in die Armut gerutscht, die davor noch gut zurechtkamen.

Wer ist hauptsächlich betroffen?

Rentnerinnen und Rentner, die zum Beispiel mit einer Rente von 1000 oder 1100 Euro bislang gerade noch über die Runden gekommen sind, müssen sich jetzt oft entscheiden: Esse ich oder heize ich? Größere Anschaffungen wie eine vernünftige Matratze gegen Rückenschmerzen sind da nicht mehr drin. Aber auch Menschen, die sich mit zwei oder drei Jobs über Wasser gehalten haben, fühlen sich inzwischen arm.

Können Sie das auf Ihren Arbeitsalltag übertragen?

In unserer Beratung haben die wirtschaftlichen Themen stark zugenommen. Drehten sich 2022 noch etwa ein Drittel aller Fragen ums Geld, sind es in diesem Jahr zwei Drittel gewesen. Was den Menschen Sorgen bereitet, sind die teurer werdenden Energiekosten durch die steigenden Netzentgelte beim Strom und die Erhöhung der CO₂-Abgabe im kommenden Jahr. Wer Bürgergeld bezieht, erhält für Strom aber nur eine Pauschale, die zunächst nicht erhöht wird.

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Geringverdiener bekommen nichts. Beobachten Sie in diesem Zusammenhang eine Neiddebatte? Wer auf Empfänger von Bürgergeld schaut, fragt sich mitunter, ob Abrackern der richtige Weg ist?

Diese Debatte, die häufig auch von Politikern öffentlich ausgetragen wird, ist entwürdigend. Das Problem, dass der Abstand zwischen Bürgergeld und Einkommen durch Arbeit zu oft zu gering ist, lässt sich nicht durch die Kürzung des Bürgergeldes lösen, sondern durch die Erhöhung des Mindestlohns. Das unterstreichen die 800 000 Menschen in Deutschland, die teilweise in Vollzeit arbeiten und ihr Einkommen dennoch mit Bürgergeld aufstocken müssen, weil sie einfach zu wenig verdienen. Das widerspricht auch dem Bild von der sozialen Hängematte, in der es sich Bürgergeldbezieher angeblich bequem machen.

Wollen wirklich alle arbeiten?

Sicher gibt es unter Bürgergeldbeziehern auch ein paar, die schwindeln, die betrügen. Das sind aber die Wenigsten. Im Grundsatz gibt der Staat zu wenig aus, um Armut zu bekämpfen. Die Höhe des Bürgergeldes wird also von der falschen Seite aus diskutiert. Die Grundsicherung beträgt aktuell 502 Euro und von Januar an 563 Euro. Eigentlich wären 813 Euro angemessen. Das hat die Forschungsstelle des Paritätischen Gesamtverbandes mit amtlichen Zahlen errechnet. Man fragt sich also, warum nun schon wieder an den Armen gespart werden soll, obwohl bei Superreichen das Vermögen stetig anwächst.

Es gibt tatsächlich eine ganze Reihe sehr reicher Menschen, die gerne höhere Steuern bezahlen würden ...

... genau, "Tax me now". (Anm. der Redaktion: Dahinter verbirgt sich ein Verein für Steuergerechtigkeit, der von Vermögenden im deutschsprachigen Raum initiiert wurde). Stattdessen werden Stiftungen gegründet, um arme Menschen zu unterstützen. Bitte verstehen Sie das nicht falsch, es ist gut, dass es diese Stiftungen gibt. Wir sind auch sehr froh um die Zuwendungen aus dem SZ-Adventskalender, die wir für Einzelfallhilfen einsetzen. Aber Armut ist immer eine Blamage für den Sozialstaat. Arme Menschen sterben früher, armen Kindern werden Bildungschancen geraubt, Armut grenzt aus. Das Einzige, was gegen Armut hilft, ist in meinen Augen, die Armut abzuschaffen.

Wie hilft der Paritätische Wohlfahrtsverband in der Zwickmühle von politischen Entscheidungen und steigenden Kosten?

Konkret hilft der Wärmefonds, für den die Stadtwerke 20 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Dazu haben wir eine frühere Kooperation neu aufgelegt. So konnten wir in diesem Jahr 12 000 Münchnerinnen und Münchner mit 7,8 Millionen Euro für Heiz- und Warmwasserkosten unterstützen. Der Wärmefonds ist zunächst auf zwei Jahre befristet, bereits jetzt können Anträge für das kommende Jahr gestellt werden.

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