Kritik:König der Raserei

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Matthias Egersdörfer stellt in seinem neuen Programm "Nachrichten aus dem Hinterhaus" im Garten der Seidl-Villa den ganz normalen Nachbarschafts-Wahnsinn bloß

Von Thomas Becker, München

Ganz ehrlich? Man ist schon froh, wenn es vorbei ist. Nicht dass "Nachrichten aus dem Hinterhaus", das neue Programm von Matthias Egersdörfer, fad oder unlustig wäre, ganz im Gegenteil. Es ist nur so: Da sitzt man statt in der Lach- und Schießgesellschaft im maximal lauschigen Garten der Seidl-Villa, unterm Fuß Wiese, überm Kopf der Ahorn, ein Oachkatzl, gestirnter Himmel, später dann Vollmond - Sommer in der Stadt. Und dann zieht einen dieser Egersdörfer heimlich, still und natürlich gar nicht leise immer tiefer hinein in das kaputte Innere seiner jämmerlichen Hauptfigur.

Die erzählt vom Leben im Hinterhaus, lästert erst mal über die gar fürchterlichen Nachbarn, den Rumpler im ersten Stock, die mehr kotzende als hustende Frau Schlitzbier im Vorderhaus und die sieben oder acht Schmuddelkinder zählende Großfamilie im dritten Stock. Erst allmählich, dann aber immer eindrücklicher (Regie: Claudia Schulz) wird klar, wer hier wirklich die menschliche Katastrophe ist: natürlich Egersdörfers namenloser Protagonist.

Samenstau im Endstadium

Wie es bei ihm in der Wohnung aussieht, erfährt man nicht, will man auch gar nicht wissen, denn schon in der Seele dieses armen Tropfes tun sich Zustände auf wie bei Hempels unterm Sofa: Lebensunfähigkeit, Selbstmitleid, nicht vorhandenes Selbstwertgefühl, Psychopharmaka, Samenstau im Endstadium. Das traurige Resultat von Mamas Overprotecting. Obwohl schon tot, ist Muttern noch präsent: als Handpuppe, die der Sohn gebastelt hat, damit er wenigstens mal irgendeinen Gesprächspartner hat.

Sein Lebensunglück ist ihm bewusst, etwas dagegen zu tun, erscheint ihm aber unmöglich. Typischer Satz: "Ich mache jede Gelegenheit zunichte." Sehnlichster Wunsch: "Dass ich freundlicher werde." Ha, sehr lustig! Kann er sich doch schon über wortlose Kommunikation, nur über einen Blick, derart aufregen, dass ihm die Galle überläuft. Ein echter Aufreger, der Typ. Kurzum: mal wieder ein theatrales Meisterwerk von Egersdörfer, diesem so empfindsamen König der Raserei.

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