Justiz:"Ich bin glücklich, wenn andere glücklich sind"

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Nach 20 Jahren als Anwältin sagt Birgit Schwerdt immer noch, dass sie diesen Beruf liebt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Birgit Schwerdt ist eine der wenigen Verteidigerinnen bei Kapitaldelikten am Landgericht München I. Sie bewahrte unter anderem Gabi P. im Kreissägen-Prozess vor einer Verurteilung wegen Mordes.

Von Susi Wimmer, München

Wenn Birgit Schwerdt verteidigt, dann macht sie das ohne großes Brimborium. Keine Gerichtsshow, keine Fensterreden fürs Publikum, aber auch weit entfernt von Wurschtigkeit und Lethargie. Die zierliche Frau notiert in Schwurgerichtsprozessen jedes Wort mit, scrollt auf ihrem iPad durch die Gerichtsakte, ständig die Ohren wie ein Luchs gespitzt, wirkt ruhig und gelassen, um dann im entscheidenden Augenblick mit Fragen oder Anträgen in die Bresche zu springen.

Die 48-Jährige ist eine der ganz wenigen Frauen, die am Landgericht München I bei Kapitaldelikten als Verteidigerinnen auftreten - und das, aus der Sicht ihrer Mandanten, auch noch äußerst erfolgreich. Birgit Schwerdt hat im vergangenen Jahr im spektakulären Kreissägen-Prozess die Angeklagte Gabi P. vor einer Verurteilung wegen Mordes bewahrt.

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Sie sorgte auch dafür, dass Robert B., der seine vermögende Schwester mit der Kordel eines Designer-Schuhsacks erdrosselt hatte, mit einer milden Strafe davonkam. Ihr neuester Mandant heißt Mohamed E.. Er ist der Mann, der im November 2016 den Brand in der Dachauer Straße gelegt haben soll, bei dem ein Vater und seine beiden Töchter starben. "Der Ausgang des Indizienprozesses ist absolut offen", sagt sie. Und das klingt schon wie ein Versprechen.

Birgit Schwerdt überhaupt zu einem Interview zu bewegen, erfordert schon Beharrlichkeit. Ihre Mandanten stehen für sie im Vordergrund, "das Beste für sie rauszuholen", wie sie sagt. Wenn sie selbst, wie etwa beim Kreissägen-Prozess, im Blitzlichtgewitter der Kameras steht, dann ist ihr das eher zuwider. Vielleicht muss man, um diesen Wesenszug zu verstehen, in ihre niederbayerische Heimat zurückkehren, wo sie in Passau ein Kloster-Gymnasium besuchte. Oder zu ihren Eltern, wo sie in einer kleinen Ortschaft mit dem klingenden Namen Dommelstadl nahe Passau aufwuchs, zwischen Pferden und Tennisplatz.

Und dann sagt sie einen Satz, der in der heutigen Ego- und Selbstoptimierungsgesellschaft wie aus der Zeit gefallen scheint: "Ich bin glücklich, wenn andere glücklich sind." Gleichzeitig erwächst daraus ihre Stärke. Mit unterschiedlichen Menschen unterschiedlicher Herkunft gut umgehen zu können, das reklamiert sie für sich.

Ob Zuhälter, Bettler oder Unternehmer: Die Strafrechtlerin hört sich ihre Geschichten an und hinterfragt, warum es zu der betreffenden Tat kommen konnte. "Ich will es verstehen und nachvollziehen", sagt sie. Darauf baut sie dann ihre Verteidigung auf, stellt ihre Sicht der rechtlichen Würdigung dar und hofft, dass sie so die Zukunft ihrer Mandantschaft "positiv mitsteuern", kann.

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Wie etwa bei Robert B. im vergangenen Jahr. Sie arbeitete die grausame Kindheit des Ungarn heraus, erklärte, wie er sein Leben lang von seiner Schwester erniedrigt, benutzt und gequält worden war, wie er versucht hatte, die negativen Gefühle zu verdrängen, "bis es aus ihm herausbrach" - und er sie während eines Streits erdrosselte. Am Ende des Prozesses waberte eine Mitleidswelle durch den Gerichtssaal, auch wenn die Tat aufs Schärfste zu verurteilen war. Robert B. erhielt eine Haftstrafe von acht Jahren wegen Totschlags.

Birgit Schwerdt kann man übrigens als Zuhörer bei Gericht sofort mit geschlossenen Augen erkennen. Ihr niederbayerisches Idiom hebt sich ab von der ansonsten strengen und sachlichen hochdeutschen Gerichtswelt. "Ich habe anfangs versucht, mich umzustellen", sagt sie. Aber ihre Sprache, ihre Person, ihre Erscheinung wirkte damit gekünstelt. "Ich bin, wie ich bin. Und das bin ich."

Um den Menschen helfen zu können, bedarf es aber auch einer gewissen Zähigkeit. Und die hat Birgit Schwerdt auch in der erzkatholischen und konservativen Enge von Dommelstadl mitbekommen. "Wos muaß sie jetzt aufs Gymnasium geh'", bekam sie zu hören. Wo doch ihr Lebensweg eh schon vorbestimmt war: Heirat, Kinder, Hausfrau. Aus, Äpfel, Amen. "Eich zoag es", dachte sie damals, "Frauen san mehr wert."

Als ausgezeichnete Lateinerin studierte sie in Regensburg, um später Gymnasiallehrerin zu werden. Doch es haperte mit dem Griechischen, und als sie ein Jurastudent aus ihrem Wohnheim mit zu einer Vorlesung nahm, kam sie auf den Geschmack. Nach anfänglichem Liebäugeln mit dem internationalen Zivilprozessrecht in einer Londoner Kanzlei rutschte sie später in einer Münchner Sozietät ins Strafrecht, und das lässt sie bis heute nicht mehr los.

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Nach 20 Jahren als Anwältin sagt sie immer noch aus tiefstem Herzen, dass sie diesen Beruf zwischen Knast, Kanzlei und Gerichtssaal liebt. Via Mundpropaganda hinter Gittern oder über die Beiordnung als Pflichtverteidigerin kommt Birgit Schwerdt an ihre Klienten. Bevor sie überhaupt eine Akte liest, bittet sie ihre Mandanten, ihre Version aufzuschreiben, was sie erlebt haben. Das ist das Erste, was sie lesen oder hören will. In den kleinen Anwaltszimmern in Stadelheim, wo sie sich mit den Klienten trifft, hatte sie noch nie ein komisches Gefühl oder Angst, egal ob Mörder oder Vergewaltiger vor ihr saßen. "Die freuen sich, wenn ich komme, weil sie wissen, dass ich helfen kann."

Gabi P., die ihren gefesselten Freund während eines Liebesspiels mit einer Kreissäge getötet hatte, konnte zur Tat nichts aufschreiben. "Die hat das definitiv verdrängt", ist sich Schwerdt bis heute sicher. Sie habe Stunden, Tage mit Gabi P. gearbeitet, es auf die sanfte und auf die harte Tour probiert. Die grausame Tat blieb im Nebel verborgen. Aber es entstand ein Bild von der Persönlichkeit der Täterin, von ihrer Kindheit, ihrem Selbsthass.

"Sie hat sich einen Partner ausgesucht, der sie über lange Zeit schlecht behandelt hat", sagt die Anwältin. "Dann, in Sekundenbruchteilen, brach die Aggression durch." Und genau das dröselte sie in ihrem Plädoyer auf, an dem sie drei volle Tage geschrieben hatte. Gabi P. hatte nicht heimtückisch die Wehrlosigkeit des Gefesselten ausgenutzt und ihn in die Falle gelockt. So sah es am Ende auch das Gericht und Gabi P. blieb eine lebenslange Haftstrafe erspart.

Sich in Menschen einfühlen, kühl argumentieren, vor allem auch immer wieder straffälligen Jugendlichen beistehen und sie auf den richtigen Weg führen, daraus zieht Birgit Schwerdt auch Energie, sagt sie. Anders ist es nicht zu erklären, warum sie beispielsweise bei Pflichtverteidigungen ihre Freizeit opfert, Nächte durcharbeitet, um das Beste für die Mandanten herauszuholen. Anders kann man auch nicht nachvollziehen, warum sie bis zum Einsetzen ihrer Wehen noch Schriftsätze diktierte, ihr Mann einmal sogar mit zum Gericht fuhr, damit sie ihre Tochter während der Verhandlungspause stillen konnte.

Zwei Mädchen hat die Anwältin, mittlerweile sieben und elf Jahre alt. Sie steht um 5.30 Uhr auf, um zumindest 20 Minuten bei einer Tasse Kaffee für sich zu haben, dann rauscht der Alltag mit Kindern, Knast und Kanzlei durch bis spät in den Abend. Aber sie hat das gewuppt, wovor viele ihrer Kolleginnen kapituliert haben. "Viele Anwältinnen hören mit den Kindern auf", sagt sie.

Das ist der Grund, warum Verteidigerinnen so rar gesät sind. Vielleicht liegt es auch ein Stück weit daran, dass kurioserweise viele Frauen im Gefängnis sich Männer als Verteidiger suchen, "weil sie glauben, die können das besser". Und Männer denken natürlich ähnlich. Männer, sagt sie, die zweifeln nicht so an sich selbst. Frauen hinterfragen viel mehr, "aber das macht uns letztendlich in gewisser Hinsicht auch stark".

© SZ vom 13.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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