Italiener-Wochenende:"Kannst du was organisieren?"

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Geht da noch was? An den Wiesn-Samstagen werden die Zelte meist gleich nach der Öffnung wieder geschlossen - wegen Überfüllung. (Foto: dpa/dpaweb)

Kein vernünftiger Münchner geht am mittleren Wochenende auf die Wiesn - es sei denn, er hat Besuch. Den muss er natürlich ins Zelt bringen. Die Frage ist nur: wie?

Von Thomas Hummel

Gute Wiesn-Geschichten bleiben gut. Wir haben die schönsten Texte der vergangenen Jahre aus dem Archiv gekramt. Dieser Artikel erschien 2014.

Wenn doch schon Montag wäre. Oder wenigstens Sonntagabend, ein bisschen Tatort, ein bisschen Bundesliga. Vielleicht ein bisschen TV München, wo natürlich live von der Wiesn gesendet wird. Am Sonntagabend ist das Oktoberfest wunderbar anzusehen, luftig, leicht und so entspannt. Aber bis dahin sind es noch zwei Tage. Zwei Tage im Gedränge, im Stress. Zwei Tage zwischen Enthusiasmus und den Abgründen menschlichen Daseins. Es ist das mittlere Wiesn-Wochenende.

Kein Münchner mit halbwegs ausgeprägtem Verstand geht am zweiten Samstag Richtung Theresienwiese. Dort spielt sich eine wilde, gewaltige, für Körper und Geist schier unerträgliche Feierei ab. Es gibt allerdings Münchner, die keine Wahl haben. Sie müssen raus: Sie haben Wiesn-Besuch. Irgendwann im Juni kommt alljährlich die SMS: "Habe gebucht, komme am Freitag gegen 10 Uhr, Rückflug am Sonntagnachmittag, bringe noch drei Freunde mit." Wenig später der Zusatz: "Wir wollen in ein Party-Zelt. Kannst du was organisieren?" Klar.

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Münchner stehen in der Pflicht, ihren Gästen das volle Wiesn-Erlebnis zu bieten. Doch wie sollen sie das anstellen? Plätze in einem der großen Zelte mit Musik, Gesang, Bier und Schnupftabak? Eine Tisch-Reservierung ist nicht zu kriegen und die Plätze ohne Reservierung sind begehrter als ein Ticket für das WM-Finale. Eine Anfrage bei Hans Spindler, Leiter der Festorganisation, hilft da wenig. "Das ist schwierig", sagt er und räuspert sich. Der einzige Tipp sei, sehr früh zu kommen, "doch das ist eher was für junge Leute".

Von drinnen dröhnt die Party

Aus dem Kapuzinerhölzl, einer einfachen und billigen Übernachtungsmöglichkeit mit Stockbetten und Zeltplätzen, ist zu hören, dass am vergangenen Samstag die ersten um 4.30 Uhr aufgebrochen sind, um sich vor den Zelten zu postieren. Offiziell öffnen diese die Tore am Samstag um neun Uhr - um kurz darauf wegen Überfüllung wieder zu schließen. Seit einigen Jahren sperren die Ordner auch die Biergärten, weil sonst die Fluchtwege total überfüllt wären.

Wer zu einer humanen Zeit am Samstag eintrifft, also spätvormittags, der steht vor einem scheinbar unlösbaren Problem. Einfügen in die Menschenknäuel vor den Zelteingängen? Sehr langwierig und nervig. Einschmeicheln bei den Ordnern? Sinnlos. Was tun? Von drinnen dröhnt die Party heraus, das Verlangen der Besucher, bitteschön auch mitmachen zu dürfen, wird dringlicher. Wofür sind sie so weit gereist?

Wer jetzt eine Chance haben will, braucht Geduld und Optimismus. Er muss kreativ sein, auch mutig und dreist. Bisweilen hat ein Münchner das Glück, irgendjemanden zu kennen, der die paar Leute hineinschleust. Und manchmal fließt schlicht Geld. Dann stecken ein Ordner und ein Wiesnbesucher hinter einem Zelt die Köpfe zusammen, ein paar Geldscheine wechseln den Besitzer. Oder einer der Mittelsmänner wird engagiert, die hier und da rund um die Zelte streichen. Das ist für die Einlasskräfte riskant. Wie häufig so etwas vorkommt, ist schwer zu sagen. Aber Realität ist: Es passiert. Und es ist längst nicht so teuer, wie man annehmen könnte.

Ein zufällig belauschter Dialog: Wie viel kostet das? "50 Euro pro Person." - "Hm, wir geben dir zehn Euro pro Person." - "Gebt mir 20." - "Nein, zehn." - "Okay." Wenig später öffnet sich ein Seiteneingang. Ganz Raffinierte müssen nicht einmal selber zahlen: Wenn ein Ordner vor einer Tür eine Gasse zwischen den wartenden Menschen bildet, um die Zahler einzulassen, schließen sie sich rasch dem Menschenzug an. Dass da einfach vier Fremde mitgehen, merkt keiner. Es muss ja schnell gehen, denn das alles ist natürlich verboten und könnte viel Ärger verursachen.

Im Innern einen Platz zu finden, ist wegen der rigiden Einlasspolitik inzwischen kaum mehr ein Problem. Da sich die Menschen schon seit dem frühen Morgen dem Alkohol hingeben, herrscht hier und da solch ein Chaos, dass teilweise halbe Tische frei sind. Mit der Geselligkeit nimmt auch auf den reservierten Plätzen die gewohnte Tisch-Arroganz ab und Fremde sind willkommen.

Wenn eine Gruppe drin sitzt, draußen aber Freunde warten oder erst später kommen, muss ein Plan her. Es gibt viele Türen und Notausgänge in so einem Zelt, die mit einer kurzen Ellbogenbewegung geöffnet werden können. Sehen darf es halt niemand, sonst fliegen gleich alle raus. Wer selbst herumpirscht um so ein riesiges Bierzelt, der findet immer wieder mal ein kleines Loch. Es kann ihm nur passieren, dass er in der Küche landet, von wo er recht unsanft entfernt wird.

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Mit Ordnern zu verhandeln, kann bei zu viel Elan dazu führen, dass einem der Arm nach hinten gedreht wird. Dumm nur für den Ordner, wenn kurz darauf ein Gast aus dem Inneren des Zeltes vor ihm steht mit einer Reservierungsbestätigung für zehn Leute und wenn er sagt, die Person, dem er gerade den Arm umgedreht hat, sei doch bitte hereinzulassen. Dass diese Reservierungsbestätigung eine Leihgabe netter Tischnachbarn ist, muss er ja nicht wissen.

Das entspricht schon eher dem Gedanken des Abenteuers und der Geselligkeit, als Schmiergeld zu zahlen. Und am schönsten ist es für den Münchner, sich privilegiert fühlen zu dürfen. Wenn er jemanden kennt: eine Wiesn-Bedienung zum Beispiel. Die kann, wenn die Ordner mitmachen, immer ein paar Vertraute hereinwinken. Das Trinkgeld sollte später entsprechend sein, sonst klappt es im Folgejahr nicht mehr. Am allerbesten ist es freilich, man kennt die Ordner selbst. Dann ist es sogar möglich, am Samstagabend inmitten des allergrößten Tumults vom Inneren eines Zelts zum anderen persönlich geleitet zu werden.

Alles schon erlebt. Und wenn doch kein Trick weiterhilft? Wenn alle legalen und halb illegalen Wege an den Außenwänden enden? Dann greifen wohl die Tipps von Festorganisator Spindler. Er rät zu den kleineren Betrieben wie der Hühnerbraterei oder dem Glöckle Wirt. Oder gleich zur Oidn Wiesn. "Die kostet Eintritt, das hält die Laufkundschaft ab", sagt Spindler, "und in den Zelten ist die Verweildauer längst nicht so lange."

Es ist das etwas andere Wiesn-Wochenend-Erlebnis. Doch auch dort gibt es Bier und Schnupftabak, Musik und Gesang. Getanzt wird auch. Das ist in jedem Fall sehr viel besser, als stundenlang vor einem Zelteingang zu stehen.

© SZ vom 26.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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