Konzert:Die Lust der Improvisation

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Christina Pluhar macht mit ihrem Ensemble "L' Arpeggiata" die Alte Musik zu etwas Gegenwärtigem. (Foto: Michal Novak)

Für die österreichische Lautenistin und Dirigentin Christina Pluhar haben Barockmusik und der Jazz verblüffend viel gemeinsam. Eindrücke von einem Besuch bei der Wahl-Pariserin, die nun in München mit Countertenor Philippe Jaroussky auftritt.

Von Reinhard Brembeck

Paris ist im Gegensatz zu München eine Stadt für Radler, auf deren gut ausgebauten Wegen kaum ein Auto parkt. Also radelt man in knapp einer halben Stunde vom Prachtbau der Opéra Garnier auf einer der Ausfallstraßen bis zum Büro von "L' Arpeggiata" in einem Altbau. Dort empfängt die Chefin, Christina Pluhar, eine freundliche, aufmerksame Frau, ihr Markenzeichen sind die lang über die Schultern herabwallenden roten Haare.

Christina Pluhar, sie hat Laute und Harfe gelernt, kommt aus Graz, lebt seit über 30 Jahren in Paris. Sie ist eine der inspirierendsten Musikerinnen, zudem eine der ganz wenigen Frauen, die ein eigenes Ensemble leiten, "L' Arpeggiata". Jährlich bringt sie eines ihrer aufwändig gemachten Projekte erfolgreich auf CDs heraus, gewinnt dafür oft die besten Sänger. So auch den Countertenor Philippe Jaroussky. Mit dem arbeitet sie jetzt 20 Jahren zusammen, das Jubiläum feiern sie mit der neuen CD "Passacalle de la Follie" und am Dienstag, 4. April, mit einem Konzert in der Isarphilharmonie.

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"Philippe kenne ich seit 1999, er war damals 19 und ich ein bisschen älter." Sie traten gemeinsam in einer Tournee mit Claudio Monteverdis drei Opern auf. Im Jahr darauf gründete sie "L' Arpeggiata", und im ersten Pariser Konzert, Projekttitel "All' Improvviso", führten sie und Philippe erstmals Claudio Monteverdis laszives "Ohimè ch' io cado" auf. Diese frech angejazzte Version ist zum Markenzeichen des Duos Pluhar/Jaroussky geworden, zu hören auf "Teatro d' amore". In ihrer Küche im sechsten Stock über dem "L' Arpeggiata"-Büro erforschen die beiden neue Stücke. "Ich habe ihm vorgeschlagen, dass er ,Ohimè ch' io cado' mal ein bisschen anders probiert. Er probierte rum: Ja, das könnte funktionieren. Dann kam der Konzerttag, und da sagte er mir in der Generalprobe: Nee, ich trau' mich doch nicht, ich glaub', das geht ein bisschen zu weit, wir machen das barock." Sie darauf: "Ok, Philippe, machen' s wir barock." Sie kichert ihr kurzes amüsiertes Kichern.

Philippe Jaroussky disponiert um - während eines Konzerts

Faible für barocke Jamsessions: Seit 20 Jahren treten die Lautenistin und der Countertenor Philippe Jaroussky gemeinsam auf, hier beim Echo Klassik 2009 in Dresden. (Foto: imago stock&people)

Dann aber habe Philippe während des Konzerts seine Meinung geändert, jetzt lacht sie schallend: "Er hat losgelegt, die Musiker sind auf die Sekunde mit ihm mitgegangen, und die Leute waren total fix und fertig. Einer der Gründe, warum wir so gern zusammenarbeiten, ist dass Philippe so neugierig und experimentierfreudig ist und sich auf alles einlässt und weiterentwickeln möchte und Spaß hat, wenn um ihn herum musikalisch ganz viel passiert. Und dass er auch sehr lustig sein kann."

Seither sind Jazz-Elemente in Pluhars Projekten häufig. Aber: "Ich bin keine Jazzmusikerin." Der Zusammenhang von Jazz und Barock "ist für mich offensichtlich, wenn ich mir diese Basslinien angucke", die sich in der Barockmusik und im Jazz verblüffend ähneln. Also hat sie für "All' improvviso" erstmals einen Jazz-Musiker eingeladen, den legendären Saxophonisten und Klarinettisten Gianluigi Trovesi. Schließlich haben alle ihre Barockmusiker an der Hochschule Improvisieren gelernt. "Ich wollte uns die Möglichkeit geben, mit jemanden auf der Bühne zu stehen, der seit 45 Jahren nichts anderes macht als Improvisieren. Und nachdem wir keinen solchen Meister in der alten Musik hatten, habe ich uns einen Meister aus dem Jazz geholt."

Die Gründung von "L' Arpeggiata" war für Pluhar nur konsequent: "Es war der Wunsch, auf eine noch einmal gesteigerte Art kreativ zu sein. Wenn Sie ein eigenes Ensemble haben, haben Sie noch einmal eine andere Palette an Möglichkeiten." Dazu kommt das Repertoire, "etwas zu machen, was die anderen noch nicht gemacht haben, und es dann so zu machen, wie es noch niemand gemacht hat." Bis heute ist Christina Pluhar vor allem an italienscher Musik des 17. Jahrhunderts interessiert, an Luigi Rossi oder Stefano Landi. Vor zwanzig Jahren hätten sich da nur wenige rangetraut. "Weil so wenig in den Noten geschrieben ist, und weil es viel Know-how braucht, um diese Noten schön klingen zu lassen." Händel und Bach wurden sehr viel mehr gespielt, "weil so viel in den Noten steht, und man das quasi nur noch interpretieren muss."

Pluhar durchforstet Bibliotheken nach neuen Stücken

Wobei sie die Schattenseiten der Ensembleleitung nicht unterschlägt: "Es ist ein extrem harter Job, der extrem viel Durchhaltevermögen verlangt. Anders als in Klassik, wo sie als Dirigent nur fürs Dirigieren zuständig sind, sind Sie in der Alten Musik, in unserer komischen kleinen Welt (sie lacht ihr typisches kurzes Lachen), fürs ganze Management zuständig: Geld auftreiben, Buchung der Musiker, dass sich die Konzerte gut verkaufen." Dazu kommt noch das Künstlerische, "von dem reden wir nicht. Ich bin es mein Leben lang gewohnt, meine Partituren für mein Ensemble einzurichten." Nach wie vor durchforstet sie Bibliotheken auf der Suche nach neue Stücken und unbekannten Quellen, die für die Aufführung wichtige Hinweise geben können. Aber nicht alles ist gut, was alt ist: "Es sind nicht alles Meisterwerke."

Dabei weiß sie genau um die Grenzen ihres Tuns: "Kultur muss Bestandteil der politischen Entscheidung sein. Wenn Politik nicht die Kultur verteidigt, dann gibt es sie nicht. Sie können es nicht über den Ticketverkauf einspielen, was Kultur kostet. Kultur ist systemrelevant." Dazu kommt, dass seit Corona, während der Seuche wurde die Kulturszene brutal eingeschränkt, der gesamte Betrieb instabil ist, Inflation und Energiekrise verstärken die Zögerlichkeit des Publikums. "Das junge Publikum geht im Moment gar nicht mehr in die Konzerte, weil die Ticketpreise zu hoch sind. Es wird alles noch elitärer, als es je war. Am liebsten wäre es mir, wenn die Tickets gratis wären. Oder zu einem geringen Preis, so dass jeder ins Museum oder ins Konzert kann, der möchte."

Christina Pluhar, Philippe Jaroussky, L'Arpeggiata, Di., 4. April, 20 Uhr, Isarphilharmonie (ausverkauft), ihre CD "Passacalle de la Follie" ist im Handel erhältlich.

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