Oktoberfest:"Manche Leute tragen ein Monatsgehalt hin"

Lesezeit: 3 min

Für jede getrunkene Mass Bier sollte mindestens ein Euro an die Münchner Tafel gespendet werden, findet Liesl Weapon. (Foto: Getty Images)

Das Oktoberfest steht für Völlerei, Überfluss und sehr viel Geld. Wie wäre es, wenn für jede getrunkene Mass ein Euro gespendet würde? Aktivistin Liesl Weapon erklärt ihre Idee "Prostspenden".

Interview von Elisa Britzelmeier

Liesl Weapon liebt die Wiesn, und sie erträgt sie kaum. Weil auf der Wiesn so viele Lebensmittel verschwendet werden, und weil so gedankenlos konsumiert wird. Die Kabarettistin, eigentlich heißt sie Amelie Magdeburg, hat darum eine Aktion angestoßen: "Prostspenden". Sie ruft dazu auf, für jede getrunkene Mass Bier mindestens einen Euro an die Münchner Tafel zu spenden. Um bei allem Spaß nicht zu vergessen, dass es auch im reichen München Armut gibt. Spenden geht online, vor, während oder nach dem Oktoberfest-Besuch. Die meisten spenden um die zehn Euro. Was nicht unbedingt heißt, dass sie zehn Mass getrunken haben.

SZ.de: Frau Magdeburg, woher kam die Idee zum "Prostspenden"?

Amelie Magdeburg: Ich bin ein echtes Münchner Kindl, ich liebe die Wiesn und gehe jedes Jahr hin. Gleichzeitig bin ich Vegetarierin und in einer Bio-Welt aufgewachsen, in der man sehr achtsam mit Lebensmitteln umgeht. Irgendwann habe ich gesehen, wie meine Idealvorstellungen nicht zusammenpassen mit dem Konsum, der auf der Wiesn vorherrscht. Die Aktion ist ein Stück weit auch meine Legitimierung, um selbst hinzugehen und es weiter genießen zu können.

Oktoberfest
:"Die Leute zeigen auf mich und lachen"

Sultan H. sammelt während des Oktoberfests Flaschen, immer am Haupteingang. 15 bis 20 Euro verdient er pro Tag - wenn er nicht beklaut wird.

Protokoll von Franziska Stadlmayer

Man feiert und tut dabei etwas Gutes.

Es ist der Versuch, die Wiesnliebe mit dem sozialen Gedanken zusammenzubringen. Nicht nur wegen der Spenden, auch zur Sensibilisierung. Natürlich gibt es bereits ein paar wohltätige Aktionen auf dem Oktoberfest. Aber bei den meisten ist die Wiesn eher damit verknüpft, das Geld nur so rauszuhauen. Manche Leute tragen ein Monatsgehalt hin, mit Freude. Wir zahlen zwölf Euro für eine Mass, und wenn man daran denkt, was allein für Reservierungen ausgegeben wird - das ist doch absurd! Aber die meisten Münchner tun es ohne große Schmerzen. Andere dagegen müssen lange sparen für einen Besuch. Oder können es sich gar nicht leisten. Ich dachte jedenfalls: Wenn bei sechs Millionen Besucher nur jeder Zweite einen Euro spenden würde - was da ginge!

Und, was geht bisher so?

Mehr als 6000 Euro wurden dieses Jahr schon von etwas mehr als 200 Wiesnbesuchern gespendet. Ein paar mehr sollten es noch werden. Dazu kommen Spenden vom Verein der Münchner Brauereien und von der Wiesnstiftung.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Inzwischen haben sie Paul Breitner gewonnen, um für Ihre Aktion zu werben. Und Rosalie Thomass, Harry G., die Spider Murphy Gang ...

Außerdem sind die Spendenaufrufe auf den Speisekarten von vielen großen Zelten abgedruckt und manche Unterstützer verteilen unsere 40 000 Flyer. Große Plakate dürfen wir nicht aushängen, weil auf der Wiesn ein striktes Werbeverbot gilt. Auch deswegen können wir keine Sparbüchsen für Barspenden aufstellen. Und weil viele fragen: Es wäre schon logistisch unmöglich, der Wiesnbedienung einen Euro mehr zu geben. Wie sortiert die das im Geldbeutel? Was macht sie, wenn jemand 100 Euro gibt und eine Spendenquittung will?

Wieso haben Sie sich für die Münchner Tafel entschieden?

Die Tafel ist eine unabhängige private Inititative. Es geht mir aber auch um die örtliche und die thematische Nähe. Zwei Kilometer von der Theresienwiese entfernt, an der Großmarkthalle, stehen die einen für das an, was die anderen wegwerfen. Die Tafel versorgt 20 000 Münchner jede Woche. Während wir auf der Wiesn 15 Euro für Kässpatzen zahlen und sich alles ums Essen und Trinken dreht - oder, wie man auf der Wiesn fast korrekter sagen muss: ums Fressen und Saufen. Das Schlimmste an der Lebensmittelverschwendung finde ich, dass Wegschmeißen Teil des Wirtschaftskreislaufs ist. Es werden aus den Supermärkten ja Sachen entsorgt, die eigentlich noch gut sind.

Das Prinzip der Tafel ist, dass diese Lebensmittel, die ansonsten vernichtet würden, an Bedürftige ausgegeben werden. Die Tafeln bekommen also Sachspenden von Supermärkten. Die Mitarbeiter sind ehrenamtlich dort. Wozu brauchen sie das Geld?

Die Münchner Tafel hat 18 Transporter, davon die meisten Kühltransporter. Damit die in der Stadt rumfahren können, kosten sie schon 5000 bis 6000 Euro im Monat. Außerdem muss die Tafel Lagerhallen anmieten. Und ab und zu wird ein geringer Prozentsatz an Lebensmitteln zugekauft.

An den Tafeln gab es zuletzt auch viel Kritik, angestoßen durch die Essener Tafel, die Lebensmittel nicht mehr an Ausländer vergeben wollte.

Abgesehen davon, dass ich das befremdlich fand: Das Gute an der Diskussion war, dass die Leute inzwischen mehr Ahnung vom Prinzip der Tafel haben. Viele stellten sich darunter eine Suppen-Essensausgabe für Obdachlose vor. In München ist die Vergabe sehr stark geregelt. Man muss die Bedürftigkeit nachweisen, bekommt einen Ausweis und an der Ausgabe gibt es eine festgelegte Reihenfolge. Wenn ich das richtig verfolgt habe, war das bei der Essener Tafel anders. Insofern fühle ich mich als Tafel-Botschafterin von der Kritik nicht betroffen.

Von der Münchner Tafel hieß es zuletzt, dass die Nachfrage ständig zunimmt.

Ich bin öfter dort und jedes Mal stark beeindruckt. Etwa von den Omis, die ihr ganzes Leben geschuftet haben und sich jetzt das Leben in München nicht mehr leisten können. Es sind herzzerreißende Szenen, die man da erlebt.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wiesn und Kultur
:Gleichmacherin und Klischeefabrik

Zusammen mit dem Bier bekommen die Gäste auf der Wiesn das Bild eines weltoffenen Deutschlands serviert. Doch das Image des Oktoberfestes und damit einhergehend das Bild von Bayern ist im Ausland meist positiver als im restlichen Deutschland.

Von Oliver Klasen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: