Festival-Bilanz:Konzept gesucht

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Ein Soul-Star als Gesicht der 51. Internationalen Jazzwoche Burghausen: Joy Denalane beim Eröffnungskonzert in der Wackerhalle. (Foto: Ralf Dombrowski)

Bei der 51. Internationalen Jazzwoche Burghausen setzt sich leider der Vor-Corona-Trend zu Populistischem fort.

Von Oliver Hochkeppel, Burghausen

Stolzgeschwellt war die Brust bei den Verantwortlichen der Internationalen Jazzwoche Burghausen bei der Abschluss-Pressekonferenz am Sonntagmittag: Nach drei Jahren Zwangspause hatte man die 51. Ausgabe von Bayerns größtem, wichtigstem und ältestem Jazzfestival über die Bühne gebracht, mit mehr als 6000 Zuschauern, zu Kaiserwetter und dank der gewohnt aufopferungsvollen Arbeit der vielen freiwilligen Helfer reibungslos. Bürgermeister Florian Schneider bilanzierte gar: "Es war perfekt. Wir machen einfach so weiter."

Hoffentlich nicht. Denn bei aller Nachsicht mit den von Planungsunsicherheit und Corona-Absagen gebeutelten Machern der IG Jazz trat doch in aller Deutlichkeit das den Markenkern betreffende Dilemma zutage, das dem Festival schon in den Jahren vor Corona anzumerken war. Es geht ums Konzept und um den Umgang mit dem schwierig gewordenen Begriff Jazz. Denn dass "Jazz heute alles ist", wie ein IG-Jazz-Vorstand mal im Vorbeigehen behauptete, stimmt natürlich nicht. Zwar bedient sich der Jazz inzwischen bei jeder Art von Musik, doch in einem grenzt er sich nach wie vor ab: in der Musizierhaltung, im Spirit des offenen, gleichberechtigten Spiels im und für den Moment. In diesem Sinne gibt es mehr herausragende Jazzmusiker denn je - technisch sowieso -, nur erreichen sie angesichts der Veränderungen der Musik- und Medienlandschaft nur noch selten die Prominenz früherer Jazzstars.

Für die Jazzwochen-Konzerte in der riesigen Wackerhalle ist das zum Problem geworden: Die meisten Musiker, die auf den Bronzetafeln der Burghauser "Street of Fame" verewigt sind und an große Festival-Zeiten erinnern, sind tot. Neue, die die Halle allein durch ihren Namen füllen, sind rar. Ein neues Konzept tut seit langem not. Corona wäre eine Chance gewesen, drei Jahre hätte man Zeit gehabt für eine Neuausrichtung, stattdessen ist man beim Name-Dropping geblieben und landet so mehr und mehr in der Pop-Falle. Und lässt sich obendrein manche Katalog-Mogelpackung andrehen. Heuer zum Beispiel die jungen Niederländer von Jungle By Night: ein reiner Disco-Dance-Act, der auf der Hauptbühne eines Jazzfestivals komplett deplatziert ist. Was man leicht hätte erkennen können, wenn man sie sich vorher einmal live angesehen hätte.

Am falschen Ort: "Soulmates"-Direktor Leslie Mandoki und die ukrainische Sängerin Kamaliya. (Foto: Elmar Petzold)

Gravierender noch war der Fall der danach angekündigten Band: Die Mandoki Soulmates des Tutzinger Schlagzeugers und Produzenten Leslie Mandoki sind zwar gespickt mit Jazzstars, das Ganze ist aber trotzdem eine Rockshow, die prima auf eine Open-Air-Bühne vor 30000 hüpfende Zuschauer passt, nicht aber in ein bestuhltes Jazz-Format. Schon gar nicht, wenn dann die Hälfte der angekündigten Stars, namentlich Al DiMeola, Richard Bona, Till Brönner und John Helliwell, gar nicht dabei ist. Dafür holte Mandoki als Überraschungsgast einen "ukrainischen Superstar" aus der Tasche. Rein musikalisch war die Sängerin Kamaliya allerdings eher peinlich. Bei allem Mitgefühl und Bewusstsein für die Situation: für diese "Botschaft aus Burghausen" (Mandoki) war es der falsche Ort, die falsche Zeit und der falsche Zusammenhang.

Schon das Eröffnungskonzert war mit Joy Denalane fehlbesetzt. Dabei war es vermutlich noch ein glücklicher Umstand, dass ihr Schlagzeuger wegen Covid ausfiel. Statt einer völlig abgezirkelten Soul-Nummer - wie dann am Samstag bei Ona Onabulé - kam man so in den einmaligen Genuss eines Duos von Denalane mit dem Keyboarder Roberto Di Gioia, bei dem der Charme des Ungeplanten, Improvisierten mitspielte. Weitere Wackerhallen-Hits? Die Zwanzigerjahre-Filmmusik-Band ("Babylon Berlin") Moka Efti - okay. Die Latin-Jazz-Veteranen Wilson De Oliveira und Joe Gallardo - solide, aber nicht gerade innovativ. Es sagt einiges über das diesjährige Wackerhallen-Programm aus, dass es der alte Fusion-Recke Bill Evans herausriss: Der Saxofonist legte mit seinen deutschen Spy-Killers Wolfgang Haffner, Simon Oslender und Claus Fischer einen grandiosen, weil abwechslungsreichen und mitreißenden Auftritt hin.

Und was war mit dem weltweit boomenden jungen, tollen Anything-Goes-Jazz? Natürlich gab es den auch, aber dazu musste man in den Stadtsaal. Am Samstag brillierte da die immer "Harfenrevoluzzerin" genannte, dabei einfach nur das ganze Spektrum ihres Instruments wie der Musik ausschöpfende Julie Campiche und die in Ton und Kraft eindrucksvolle Londoner Saxofonistin Chelsea Carmichael, die freilich mit einer besseren Band wiederkommen sollte. Und zum Abschluss am Sonntag gleich ein Dreierpack: das hochinteressante Schweizer Quintett Ikarus aus der minimalistischen Nik-Bärtsch-Schule; die Münchner Gesangshoffnung Alma Naidu, die im Gespann mit dem schon jetzt einmaligen Gitarristen Phillip Schiepek ihr durchaus poppiges Programm so intensiv und ausdrucksvoll vortrug, dass einem vor purer Schönheit mitunter die Tränen kamen; und im grande finale die österreichischen Shooting Stars Shake Stew des Bassisten Lukas Kranzelbinder, die mit ihrer solistischen, melodischen, rhythmischen wie konzeptionellen Generalüberwältigung bei Jazzfans wie -gegnern gleichermaßen vor Begeisterung den Draht aus der Mütze springen lassen.

Schluss- und Höhepunkt: Bassist Lukas Kranzelbinder (hier mit einer Gimbri) und sein Septett "Shake Stew". (Foto: Elmar Petzold)

Dieser Abschluss widerlegte eindrucksvoll die Stunden zuvor in der Pressekonferenz geäußerte Ausrede, in diesem Jahr seien keine "großen" Acts verfügbar gewesen: Hätte man Shake Stew in der Wackerhalle angesetzt, wäre die ebenso explodiert wie der Stadtsaal. Solche Abende muss man sich dort wieder erarbeiten, mit den reichlich vorhandenen jungen Ausnahme-Jazzern und mit Themen statt Namen, am besten gleich mit beidem zusammen: Warum zum Beispiel nicht Auftragskompositionen uraufführen? Jedenfalls muss die selbstverschuldete, immer offenere Spaltung in zwei Parallelfestivals, ein populistisches und ein spannendes, aufhören. Noch heißt es Jazzwoche, und dabei sollte es auch bleiben.

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