Insolvente Textilfirma:Der Mann, der Wöhrl rocken soll

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Christian Greiner ist niemand, den es vor die Kamera zieht. Er will, dass Wöhrl sich wieder auf das Wesentliche konzentriert: verkaufen und beraten. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Christian Greiner, Enkel des Gründers Rudolf Wöhrl, übernimmt nun die verschuldete Textilkette seiner Familie. Es ist bei weitem nicht sein einziger Job.

Von Pia Ratzesberger

Es ist jetzt schon mehr als zehn Jahre her, da eröffnete in Nürnberg ein neuer Laden mit DJ-Pult und Sushi-Theke. Das war damals eine große Sache. Erstens, weil Sushi noch an "Sex and the City" erinnerte und nicht ans Kühlregal, zweitens, weil zwischen Pullovern von Esprit und Parkas mit Rolling-Stones-Aufnähern ein Mann namens Gunther auftrat, zumindest in Nürnberg bekannt aus der zweiten Staffel "Deutschland sucht den Superstar".

Und drittens, weil sich der Laden im Untergeschoss des Wöhrl-Hauses am Ludwigsplatz befand und das so gar nicht passen wollte. Wöhrl war eher Rollkragenpullover und nicht Parka. Den Shop im Keller aber hatte Christian Greiner aufgezogen, der Enkel von Gründer Rudolf Wöhrl, und das sagt schon viel aus über den Mann, der die Firma nun übernimmt. Die Wöhrl AG mit den 45 Millionen Euro Schulden und dem Insolvenzverfahren.

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Christian Greiner, 38 Jahre alt, sitzt im Vorstand von Ludwig Beck in München, ist Geschäftsführer von Wormland in Hannover, Geschäftsführer der Beteiligungsgesellschaft Intro, Geschäftsführer und Mitinhaber der Kreativagentur Nuts Communications, Mitinhaber der Agentur We love PR, er hat sein eigenes Plattenlabel Consens Music und, ach ja, dann wäre da noch die Band. Christian Greiner hat also eigentlich genug zu tun, hat sich auch schon bewiesen, hatte den Shop aus Nürnberg in alle 34 Wöhrl-Filialen gebracht, ist später bei Ludwig Beck vom Aufsichtsrat in den Vorstand gezogen. Greiner müsste für seinen Lebenslauf nicht noch ein verschuldetes Unternehmen voran bringen, aber es ist eben nicht irgendeines.

Als Kind hat er am Ludwigsplatz Ware verpackt und Kundendaten eingetippt. Mit 14 Jahren räumte er die damals neue Wöhrl-Filiale in Dresden mit ein, niemand wusste, dass er der Enkel aus der Unternehmerdynastie ist. Fragt man Greiner, was für ihn Wöhrl bedeute, sagt er: "Familie".

Er trägt den Namen seiner Mutter, weil sie und sein Vater Hans Rudolf Wöhrl nie verheiratet waren. Hätte Ludwig Beck am Marienplatz, wo Greiner heute in der sechsten Etage sitzt, seine Mutter in den Siebzigerjahren nicht als Dekorateurin abgelehnt, hätte sie Hans Rudolf Wöhrl wahrscheinlich nie kennengelernt. Sie wollte eigentlich zu Beck, bewarb sich nach der Absage bei Wöhrl. Hans Rudolf stellte sie ein.

Greiner ist der einzige in der Familie, der wirklich modeaffin ist

Mehr als dreißig Jahre später gehört Christian Greiner nun also zum Vorstand des Hauses, in das seine Mutter immer wollte. In seinem Büro stapeln sich Fotografiebände, Alexander McQueen und Steve McCurry, an der Wand lehnen zwei Gitarren, eine Western, eine elektrische. Greiner spielt in einer Band, den Chillout Rockerz.

Die "Ludwig Beck Lounge Music Volumen 3", die sie unten in der Musikabteilung verkaufen, hat er aufgenommen, im "Utopic Studio Nuremberg". Auf seinem Schreibtisch brennt eine Kerze von La Bruket, einer schwedischen Luxusmarke. "Wenn man keine Affinität zu schönen Dingen entwickelt, ist man falsch in dem Job", sagte Greiner einmal.

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Sein Vater scherzte immer wieder, der Sohn sei der einzige in der Familie, der einen ausgeprägten Sinn für Mode habe. "Für meinen Vater wäre es auch okay gewesen, wenn er einen Schraubenladen übernommen hätte." Vielleicht ist Greiner auch deshalb so wichtig, dass Wöhrl wieder das macht, was Wöhrl immer am besten konnte: Mode verkaufen, und die Leute beraten, welche Jeans, welcher Pullover besser sitzt. Genau wie früher, als der Großvater noch am Eingang stand und seine Kunden mit Handschlag begrüßte, so erzählt es zumindest der Enkel.

Kaum eine Familie ist in Nürnberg so bekannt wie die Wöhrls, der Großvater Rudolf eröffnete 1933 sein erstes Geschäft in der Ludwigsstraße 18, 1970 übernahmen die Söhne Hans Rudolf und Gerhard 500 Mitarbeiter, vier Filialen und einen Jahresumsatz von etwa 35 Millionen Mark. Hans Rudolf und Gerhard waren nie innige Geschwister, vor sechs Jahren verkaufte Hans Rudolf seine letzten Aktien an den Bruder.

Auch Christian Greiner verließ Wöhrl in dieser Zeit, er wollte nicht nur in den Untergeschossen der Filialen bleiben, mit seinem U1 concept store eigene Geschäfte aufmachen, "aber das wollte man nicht mehr", sagt er. "Das ärgert mich heute noch sehr", das habe sicher auch "persönliche Gründe gehabt".

Greiner spricht ruhig, auch wenn er sich ärgert. Er ist niemand, der aufbraust. Muss er für ein Foto posieren, macht er das, aber er blickt immer wieder nach links und nach rechts, er scheint Öffentlichkeit nicht zu genießen, ganz anders als sein prominenter Vater. 2007 verließ er die Firma, genau zehn Jahre später ist er nun zurück, aber ohne Hans Rudolf Wöhrl hätte er das nicht gewagt. "Er ist mein internes Wikipedia."

Vater und Sohn machen seit Jahrzehnten Geschäfte miteinander, der Vater ist Großaktionär von Ludwig Beck, ihm gehört die Beteiligungsgesellschaft Intro, dessen Geschäftsführer ja wiederum Greiner ist. Er kenne niemanden, der so viel Wissen habe wie sein Vater, sagt Greiner, auch wenn ihm wichtig ist, dass er auf die Familie seiner Mutter genauso stolz ist wie auf die Unternehmerdynastie.

Er sei froh, dass er den Namen Greiner bewahre, außerdem laufe bei neuen Bekanntschaften nicht gleich "der Wöhrl-Film" im Kopf ab. Auf Events sei das manchmal zu beobachten, da verhielten sich die Leute erst distanziert und wenn er dann erwähne, dass er zu den Wöhrls gehöre, fänden die doch spannend, was er zu erzählen habe. Sympathisch findet er das zwar nicht. Aber manchmal hilfreich. "Es geht bei Geschäftskontakten ja nicht darum, gemeinsam ein Bier trinken zu gehen." Greiner ist Künstler, aber eben auch Pragmatiker, er will, dass ein Laden Style hat, aber er muss auch Geld einbringen. Sein Büro sieht aus wie das eines Galeristen, aber ist eben das eines Vorstands. "Nur abends in die Kneipe gehen und Gitarre spielen, das wäre nichts für mich, es muss schon auch was dabei rumkommen."

Der Lieferant bei Beck sagt: "Ich gehe immer gern zu Wöhrl"

15 Millionen Euro hat er den Gläubigern geboten, das Geld kommt nicht nur von ihm, sondern auch aus Darlehen, von seinem Vater und seiner Großmutter. Es war im Gespräch, dass sich sieben Enkel von Wöhrl zusammentun, das scheiterte an der Zeit, sagt Greiner, Gläubiger hätten nicht viel davon. Ein großer Fehler sei die Anleihe gewesen, davon war er schon immer überzeugt, vor vier Jahren gab Wöhrl eine eigene heraus, 30 Millionen der 45 Millionen Schulden entfallen heute auf deren Zeichner, viele Privatleute, die der Marke Wöhrl vertrauten.

Ob die 15 Millionen reichen werden, wahrscheinlich nicht, man müsse sehen, wie sich das entwickle, sagt Greiner. Er bringt gerne einen Vergleich mit Mercedes: Die hatten früher super Autos, der Stern stand für diese Qualität, doch dann pappten die den überall drauf, sie verstanden nicht, dass der Stern an sich keinen Wert hat, sondern nur, wenn die Autos gut sind. "Man hat sich gefragt, worum geht es bei uns eigentlich? Und die Antwort war, super Autos zu bauen." Worum also geht es bei Wöhrl? Um super Shops? Greiner sagt: "Ein super Shop ist relativ."

Er will das große Wöhrl-Haus am Ludwigsplatz nicht zu einem Nürnberger Luxuskaufhaus machen, zu einem zweiten Ludwig Beck, nur in Franken. Beck komme aus München. Wöhrl aus Nürnberg. Das Haus soll auch kein Concept Store werden, mit Sushi-Theke oder einem Manikürestand für Männer, wie er ihn neulich zu Wormland gebracht hat. Wöhrl gebe es fast 85 Jahre, das heißt, man habe deutlich mehr richtig gemacht als falsch. Gerade unten im Ludwig Beck, da hat er mit einem seiner Lieferanten geredet, der hat gesagt: "Ich gehe immer gern zu Wöhrl." Darum geht es, sagt Greiner, die Leute müssen gerne in den Laden gehen, er setze nicht auf den Onlinehandel. Wöhrl habe sich schon zu lange mit Nebenkriegsschauplätzen beschäftigt.

Die "Lounge Music Volume 3" hat Greiner zusammen mit Gunter Göbbel aufgenommen, dem Musiker, der bei "Deutschland sucht den Superstar" auftrat und danach im U1 in Nürnberg. Sie seien seitdem beste Freunde, zusammen sind sie die Chillout Rockerz. Auf der Platte gibt es einen Track, es ist der zehnte von zehn, der vielleicht gut beschreibt, was Christian Greiner mit Wöhrl vorhat. Er heißt "Simple Sounds".

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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