Münchens Polizei beim Hitlerputsch:Die Männer, die für die Demokratie ihr Leben ließen

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Landespolizisten auf Pferden und mit Spießen bewaffnet räumen den Odeonsplatz nach der Vertreibung der Putschisten. (Foto: SZ Photo)

Einheiten der Landespolizei stellen sich am 9. November 1923 den Putschisten entgegen. Vier von ihnen fallen im Schusswechsel vor der Feldherrnhalle. Die Münchner Polizei gedenkt an diesem Donnerstag der damals getöteten Beamten.

Von Joachim Mölter

Wer an diesem 9. November vor 100 Jahren den ersten Schuss abgegeben hat beim Aufmarsch der Nationalsozialisten vor der Münchner Feldherrnhalle, beim sogenannten Hitlerputsch, hat sich später nicht mehr klären lassen. Nicht einmal Michael von Godin konnte etwas zur Identifizierung beitragen, obwohl der Schütze nur "einen Schritt halblinks vor mir stand", wie er am nächsten Tag in seinem Einsatzbericht zu Protokoll gab.

Michael Paul Ludwig Richard Freiherr von Godin, damals 27 Jahre alt, war Oberleutnant der Bayerischen Landespolizei und Zugführer jener Einheit, die sich den etwa 2000 von Adolf Hitler und dem Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff angeführten Männern entgegenstellte, die von München aus die Reichsregierung in Berlin stürzen wollten. Die Putschisten waren gegen Mittag vom Bürgerbräukeller in Haidhausen losgezogen, über die Ludwigsbrücke ins Tal und weiter zum Marienplatz marschiert und nun auf dem Weg zum Wehrkreiskommando in der Schönfeldstraße/Ecke Ludwigstraße, das SA-Männer in der Nacht besetzt hatten.

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An der Feldherrnhalle traf die Hitler-Truppe auf Einheiten der Landespolizei, etwa 130 Mann. Godin hatte den Befehl, die Putschisten auf keinen Fall zum Odeonsplatz durchzulassen. "Mit gefälltem Bajonett und entsichertem Gewehr und vorgehaltenen Pistolen", kurzum: "mit Kriegsmaterial jeglicher Art" seien die Hitler-Anhänger vorgedrungen, schrieb Godin später in seiner Stellungnahme, die im Hauptstaatsarchiv aufbewahrt wird. Er selbst habe zunächst mit "quer vorgehaltenem Karabiner" versucht, sie aufzuhalten, ehe der erste Schuss fiel. Der sei an seinem Kopf vorbeigezischt und habe den hinter ihm stehenden Unterwachtmeister Nikolaus Hollweg getroffen.

Ohne einen Befehl abzuwarten, eröffneten daraufhin die Polizisten das Feuer. Es kam zu einer Schießerei, die keine Minute gedauert habe, ehe Hitlers Leute davongerannt seien, wie Godin anderntags notierte. Damit war der Putsch gescheitert. 13 Aufrührer waren an der Feldherrnhalle ums Leben gekommen, dazu ein unbeteiligter Passant - und vier Polizisten. Neben Hollweg noch der Hauptmann Rudolf Schraut, der Oberwachtmeister Friedrich Fink und der Hilfswachtmeister Max Schoberth.

Die Polizei veranstaltet eine Gedenkfeier in der Residenzstraße

An diesem Donnerstag gedenkt die Münchner Polizei der damals getöteten Beamten, zunächst um 13 Uhr - der Zeit des damaligen Schusswechsels - in einer internen Veranstaltung im Präsidium in der Ettstraße. Später, um 14 Uhr, findet am Ort des Geschehens in der Residenzstraße noch eine kleine Gedenkfeier mit Kranzniederlegung statt. Dort erinnert nur eine eher unscheinbare Tafel an die Männer, die bei der Verteidigung der Demokratie ihr Leben gelassen hatten.

Der ehemalige Polizeibeamte Walter Nickmann hat sich intensiv mit dieser Zeit beschäftigt, er gehörte zu der Arbeitsgruppe, die im Jahr 2012 eine Ausstellung zur Rolle der Münchner Polizei während des Nationalsozialismus kuratiert hat. Noch heute als Pensionär referiert er darüber vor jungen Polizisten und Polizistinnen, aber auch im NS-Dokumentationszentrum. Nickmann sagt: "Der Putsch konnte nur von der Landespolizei niedergeschlagen werden, von geschlossenen, kasernierten Einheiten." Die Stadtpolizei mit ihren Einzelbeamten, so Nickmann, sei dazu organisatorisch nicht in der Lage gewesen. Zudem stand sie in jener November-Nacht 1923 unter dem Einfluss der Putschisten, zumindest kurzzeitig.

Weil Münchens Polizeipräsident Karl Mantel, ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten, am Abend des 8. November mit seinen engsten Mitarbeitern im Bürgerbräukeller als Geisel festgehalten wurde, wähnte sich Wilhelm Frick, Chef der Politischen Polizei und Hitler-Anhänger, bereits als neuer Polizeipräsident, als er über das angebliche Gelingen des Putsches informiert worden war.

Während im ersten Stock die Machtübernahme anläuft, plant man darüber Gegenmaßnahmen

Während Frick also im ersten Stock des Gebäudes an der Ettstraße noch alles für die Machtübernahme vorbereitete, leitete die seinerzeit im zweiten Stock untergebrachte und dem Innenministerium unterstehende Landespolizei bereits Gegenmaßnahmen ein, um Hitlers Absichten zu vereiteln. Frick wurde noch in der Nacht festgenommen, der von den Putschisten als Bayerns Ministerpräsident vorgesehene Ernst Pöhner dann in den frühen Morgenstunden. Pöhner war von 1919 bis 1921 Münchens Polizeipräsident gewesen und hatte seine Leute stark nach rechts getrimmt.

Zehn Jahre später, nach der dann gelungenen Machtergreifung, versuchten die Nazis, sich an Godin zu rächen. Im Mai 1933 steckten sie ihn zur sogenannten Schutzhaft ins Konzentrationslager Dachau. Nachdem er im Januar 1934 freigelassen worden war, setzte er sich erst nach Österreich und später in die Schweiz ab. Nach Kriegsende kehrte er im Juni 1945 nach München zurück, wo er zum Präsidenten der Bayerischen Landespolizei ernannt wurde. Der Mann, der 1923 an der Spitze der Männer stand, die sich Hitler entgegenstellten, stand dann noch bis 1959 an der Spitze der Behörde.

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