Buchtipp:Demokratisches Grün

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Ein Ort, zugänglich für alle und nutzbar ohne zu viel Vorsicht und Regelwerk, das war Günther Grzimeks Vision. (Foto: Karsten de Riese/Hirmer Verlag)

Neue Seiten des Olympia-Jubiläums: Regine Kellers Bildband "Grün" stellt den visionären Landschaftsplaner hinter dem Olympia-Areal vor.

Von Magdalena Zumbusch, München

Das Olympia-Areal war zu seiner Entstehungszeit architektonisches Leitbild, noch heute wirkt es avantgardistisch. Insgesamt saßen 600 Architekten und Ingenieure an der Planung, 25 000 Mitarbeiter setzten die Planungen um. Zum 50. Olympia-Jubiläum hielt bereits die Fotografin Ines Jenewein in dem Bildband "Olympiapark München" das Gesamtkunstwerk Olympia-Areal fest. Neben der avantgardistischen Architektur der Olympia-Bauwerke war das Areal aber auch landschaftsplanerisch wegweisend. Dem Planer des Olympiaparks, Günther Grzimek, widmet sich nun der neue, minimalistisch betitelte Bildband "Grün": Mit interessanten Details zur Entstehungsgeschichte des Olympiaparks, Grzimeks größtem Projekt.

Der Band verwirklicht eine Idee Grzimeks, die er selbst nicht mehr umsetzen konnte. Zusammen mit dem Grafiker Otl Aicher wollte er eine Monographie zu seinen verschiedenen Lebens- und Schaffensphasen verfassen. Die Gliederung zu dem Buch war noch entstanden. Regine Keller bekam den Entwurf von ihrem Vorgänger am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur an der TU München, Christoph Valentien, ausgehändigt. Im Austausch mit Grzimek nahestehenden Personen versucht der nun erschienene Bildband fertigzustellen, was Grzimek im Kopf hatte. Keller startet in das Werk mit einer kurzen Biographie Günther Grzimeks: Für eine Gärtnerlehre im Berliner Tiergarten bricht er die Schule ab, das Abitur holt er später nach. Dann studiert er Gartengestaltung. Nach Ulm flieht er während des Zweiten Weltkriegs. Dort arbeitet er als Planer, außerdem als Dozent an der Volkshochschule Ulm. Dann geht er an die Hochschule für Bildende Künste in Kassel und schließlich an die TU München.

Benutzbarkeit statt Repräsentation, so sollte der Olympiapark sein. (Foto: Regine Keller/Hirmer Verlag)

In München startet Grzimek 1968 sein Großprojekt Olympiapark: Keller beschreibt Grzimeks Inspiration für die Anlage und deren Umsetzung. Eine Allgäuer Voralpenlandschaft in klein, mitten in der Stadt: Schnell und günstig erreichbar für alle, die es nicht oft aus der Stadt herausschaffen. Keller arbeitet anschaulich den demokratischen Geist Grzimeks heraus: Für Landschaftsgestalter in Deutschland waren lange Zeit vor allem die Fürsten Auftraggeber gewesen. Entsprechend hatte sich die Gartenkultur entwickelt: Repräsentation stand im Vordergrund, nicht die Benutzbarkeit.

Grzimek machte sich frei von diesem Einfluss. Er wollte Orte schaffen, die für alle zugänglich waren und allen dienten. Orte, die ohne zu viel Vorsicht und Regelwerk genutzt werden durften, "strapazierfähig wie ein guter Gebrauchsgegenstand", soll er gesagt haben. Nicht zu viel Pflegeaufwand sollten sie machen und ökologisch sinnvoll sein, Grzimek pflanzte fast nur heimische Pflanzen. So legte er im Olympiapark widerstandsfähige Blumenwiesen an statt Beeten und Zierbüschen. Margeriten und Klee blühen auf den Olympiahügeln, "billige" Blumen die auch gepflückt werden dürfen, so Grzimeks Vorstellung. Grünanlagen sollten aber nicht nur allen nutzen, es sollen auch alle mitentscheiden dürfen, was wo wie angelegt wird, fand Grzimek: Er setzt sich viele Jahre für eine größere Teilhabe der Bürger an den landschaftsbaulichen Planungen ihrer Städte ein, ganz besonders aber mit seiner Veröffentlichung "Die Besitzergreifung des Rasens".

Detailreich beschreibt der Band auch die weiteren Aktivitäten des unermüdlichen Planers Grzimek: Den Neuen Botanischen Garten in Marburg oder ein Grünflächenplan für das gesamte Stadtgebiet Darmstadts und andere Großprojekte. Grzimeks stetes Anliegen, nicht nur Ästhetisches zu schaffen, sondern einem gesellschaftlichen Zweck zu dienen, "soziale Freiräume" zu schaffen, in denen die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft für eine Weile keine Rolle spielen sollte, vermittelte er auch im Rahmen einiger Ausstellungen. In seiner Lehrtätigkeit war es eine zentrale Botschaft. Im Buch wird all das anschaulich beschrieben und mit vielen ausgewählten Fotos und Skizzen illustriert. Die Lektüre lässt einen starken Eindruck zurück von Grzimeks Vision von einem "Demokratischen Grün" - so der Titel seiner Ausstellung in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München im Jahr 1983. Von Erholungsorten für alle.

"Grün". Herausgegeben von Regine Keller, Hirmer Verlag, München 2022, 216 Seiten, 39,90 Euro

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