Alketa liebt es zu pritscheln. Kaum steht die Schüssel mit Wasser vor ihr, sind schon die Finger drin. Jetzt noch duftenden Schaum einfüllen und ordentlich spritzen, dazu der leisen Entspannungsmusik lauschen - die Zwölfjährige ist begeistert. Die Pflegerin muss schnell sein, will sie alle Wünsche des Mädchens erfüllen und zugleich dafür sorgen, dass die Schülerin und ihre Umgebung halbwegs trocken bleiben.
Bei Wasser, weiß Cordula Birngruber, ist Alketa in ihrem Element. "Seit dem Tag, an dem wir eingezogen sind, macht sie jeden Tag Schwimmbewegungen", erzählt die Fachdienst-Leiterin bei den "Helfenden Händen" lachend. "Weil sie unbedingt wieder schwimmen will und weiß, dass es jetzt ein neues Becken gibt." In einem vor Kurzem fertiggestellten Neubau. Birngruber engagiert sich seit 13 Jahren für das Wohl von 74 Kindern und Jugendlichen im Förderzentrum für Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen in Neuaubing; sie kennt Alketa von klein auf. Mit zweieinhalb Jahren war das Mädchen das jüngste Kind, das je in der Einrichtung aufgenommen wurde.
Zehn Jahre ist das jetzt her. Damals stand auf dem vereinseigenen, rund 10 000 Quadratmeter großen Grundstück an der Köferinger Straße noch ein charmanter, verwinkelter Schulkomplex mit malerischem Garten und einem Schwimmbad. Doch der Bau war in die Jahre gekommen. Und weil räumliche Konstellationen wie gemeinsame Gruppenräume für Schule und Heilpädagogische Tagesstätte (HPT) inzwischen nicht mehr zulässig sind, musste der Altbau vor drei Jahren weichen.
Das neue Haus auf demselben Grundstück ist nun doppelt so groß und speziell auf die Bedürfnisse seiner jungen Bewohner im Alter zwischen drei und 21 Jahren zugeschnitten. "Trotzdem haben wir uns anfangs wirklich Sorgen gemacht, dass die Kinder Umstellungsprobleme haben könnten", sagt Tagesstätten-Leiterin Michaela Hoffstedt. "Aber dann kamen sie rein in das neue Gebäude und haben über das ganze Gesicht gestrahlt."
Denn der neue Komplex ist besonders. Nicht nur, weil er die "Riesenleistung eines kleinen Vereins" dokumentiert, der sich auf den Weg gemacht hat, ein Haus für 31 Millionen Euro hinzustellen, von denen er sieben Millionen selbst schultern muss, wie Schulleiterin Angelika Hillreiner sagt. Oder weil dieses Projekt zeigt, dass Kinder mit geistigen und körperlichen Einschränkungen ebenfalls ein Recht auf Bildung haben. Als der Verein "Helfende Hände" 1969 aus einer Selbsthilfegruppe engagierter Eltern hervorging, galten Kinder mit geistigen Behinderungen in Bayern noch als schul- und bildungsunfähig. Nun finanziert die Regierung von Oberbayern einen großen Teil des Schulbaus und der Bezirk Oberbayern unterstützt bei den Kosten für die HPT-Räume.
Der Neubau ist vor allem auch konzeptionell außergewöhnlich. Schon die Gänge. Sie sind extra breit, mit viel Platz zum selbständigen Rollifahren. Auf den Fluren gibt es Stellflächen an den Seiten, ausreichend groß für sämtliche Fortbewegungsmittel der Schülerinnen und Schüler. Die Hilfsmittel sind speziell für die jungen Menschen konzipiert, jede und jeder hat ein anderes Gefährt. Ähnlich übergroß wie die Flure sind auch Türen, Aufzüge und Duschen - damit auch Pflegebetten rein- und durchpassen.
Dazu leuchten die Nischen in Orange, Gelb, Blau, Grün, Rot und Lila. Die Farben finden sich auch an den Türen oder im Bad wieder, der einfacheren Orientierung halber. "Wir haben zwölf Klassengruppen, immer zwei Klassen teilen sich eine Farbe", sagt Rektorin Hillreiner. Die Gruppenbereiche selbst sind nochmals in einen Lern- und einen HPT-Raum unterteilt, verbunden durch eine Glastür. Damit alle Schülerinnen und Schüler wissen, wo sie sind, soll es außerdem haptisch lesbare Schilder geben.
Sämtliche Elemente in den Zimmern sind höhenverstellbar, die Böden haben Fußbodenheizung und die Wände absorbieren Schall. Und oft genug findet sich auch Ungewöhnliches in den Räumen. Die "Schlitztrommel" im Musikzimmer zum Beispiel, auf die man sich legen kann, um die Vibration der Klänge zu spüren. Oder die Rollenrutsche im Toberaum.
"Uns ist hier eine sehr barrierefreie Schule gelungen", sagt Hillreiner. Nicht zuletzt dank des Engagements des rund 70-köpfigen Mitarbeiterteams und des ehrenamtlichen Vereinsvorstands. Die "Helfenden Hände" spielten bei der Förderung von Menschen mit einer komplexen Behinderung stets eine Vorreiterrolle: "Eine Einrichtung wie unser Förderzentrum in Neuaubing gibt es außer bei der Janusz-Korczak-Schule in Freiburg nirgends", sagt Tagesstätten-Leiterin Hoffstedt.
"Die Kinder", betont auch Irakli Parjanadze, "können bei uns alles mitmachen". Der Heilerziehungspfleger zeigt innovative Hilfsmittel. Messer mit einem gebogenem Griff etwa oder Speichergeräte, die per Knopfdruck beim Morgenkreis Sprechaufnahmen der Eltern mit Erzählungen vom Wochenende abspielen.
Noch allerdings ist nicht alles ganz fertig auf dem Gelände an der Köferinger Straße. Im Garten fahren zur Freude der Kinder noch die Bagger auf und ab. Und aufs Schwimmen müssen Alketa und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler vorerst ebenfalls verzichten. Gefüllt mit Wasser ist das Therapiebad zwar schon. Auch die Schienen für den Lifter, mit dessen Hilfe die jungen Leute ohne großes Wuchten an der Beckenkante abgesetzt werden sollen, sind bereits an der Decke montiert. Aber die Technik ist komplex, und sie muss perfekt funktionieren. "Wir hoffen, das Bad zum neuen Schuljahr in Betrieb nehmen zu können", sagt Schulleiterin Angelika Hillreiner. Mit einer dann sicherlich vor Freude strahlenden Alketa.