Heinz Ratz entdeckte die Bilder des Surrealisten Wolfgang Lettl im Jahr 1992 in der toskanischen Säulenhalle des Augsburger Zeughaus. Aufgewühlt schrieb er dem Maler (1919 - 2008) anschließend sofort einen Brief. "Wie eine Feuerwerksrakete bin ich durch Ihre Ausstellung gerast, von einem Bild in das andere stürzend, wild emportauchend und mich ins nächste verlierend." In der Folge lernten sich die beiden kennen und blieben im Gespräch, da Ratz mit Gedichten auf die Gemälde reagierte.
Die Bilder hätten auf ihn gewirkt wie eine Sammlung von Geschichten, in ihrer Bewegung eingefroren und dadurch ins Gleichnishafte und Dauernde gehoben, schreibt der Liedermacher und Schriftsteller rückblickend im Katalog zur aktuellen Ausstellung im Lettl-Museum. "Unendliche Möglichkeiten taten sich auf, ein Vorher oder Nachher dazuzudichten." Was Ratz - lang vor seiner Karriere als Liedermacher, Autor oder Bandgründer - auch tat. Jetzt kehrt er nach Augsburg zurück, um im Lettl-Museum vor den Gemälden, die ihn einst so begeisterten, einige der frühen, aber auch neue Gedichte zu lesen.
Anfang der Neunzigerjahre führte Ratz, Jahrgang 1968, ein sehr unruhiges Leben. Geboren als Sohn eines deutschen Arztes und einer Peruanerin indianischer Herkunft lebt er mit seinen Eltern, später auch allein, in acht verschiedenen Ländern. Fast 50 Umzüge und 16 Schulen sind in seiner Vita überliefert. Eine Weile - eine Station in dieser Zeit ist Augsburg - verdient er sein Geld als Straßenkünstler, macht Spanischübersetzungen oder spielt in freien Theatergruppen. Und er beginnt, Gedichte zu schreiben und sie zu vertonen. 2002 gründet er als Songschreiber, Sänger und Bassist die Band Strom & Wasser, mit der er bis heute unterwegs ist.
Moralischer Triathlon
Ratz fragt sich früh, was in dieser Gesellschaft besser laufen müsste, damit sie etwas menschlicher wird. Erfindet den "moralischen Triathlon", läuft 1000 Kilometer für Obdachlose zu Fuß durch Deutschland, schwimmt für die Umwelt 1000 Kilometer durch deutsche Flüsse, radelt 7000 Kilometer von Flüchtlingsheim zu Flüchtlingsheim, um auf deren Nöte aufmerksam zu machen. 2016 gründete er mit Konstantin Wecker "BOK", das Büro für Offensivkultur zum Schutze von Demokratie und Umwelt, ein bundesweites Bündnis von Künstlern aller Genres.
Nachvollziehbar, dass er sich mit Wolfgang Lettl, der ebenfalls eine bewegte Jugend hinter sich hatte, gut verstanden hat. Auch der Augsburger brach sein Studium ab, verdiente sein Geld als Bau- und Lagerarbeiter, experimentierte als Maler mit verschiedenen Stilrichtungen, bevor er sich seinen surrealistischen Bildwelten zuwandte. Und wertete den Umgang der Menschen mit seinen Bildern als einen Intelligenztest, wie er Ratz im Januar 1992 schrieb.
Viele große Themen unserer Zeit fänden sich in seiner Malerei wieder, findet Ratz heute, nennt die "Vernichtung und Ausbeutung unserer Mitlebewesen, die Vergiftung der Erde, die Vermassung und gleichzeitige Vereinsamung der Menschen ... die Schwierigkeit, Brücken zu schlagen zwischen den Staaten, zwischen Frau und Mann ..." Lettls surreale Erzählart lasse es dem Betrachter offen, die Bilder als politische Vorschläge, als spitzfindige Fingerzeige eines Ironikers oder als persönliche Nöte eines Menschen zu sehen. Und seine Gedichte? "Nichts anderes als ein Zeichen eigener Nachdenklichkeit, Heiterkeit und Betroffenheit."
Seine Name ist Zeiger - Gedichte von Heinz Ratz zu Bildern von Wolfgang Lettl, Lesung, Samstag, 5.3., 20 Uhr, Lettl Museum für surreale Kunst, Augsburg. Die gleichnamige Ausstellung läuft noch bis 20.3.